Laufen auf Reisen – Verabredung um fünf

Gestern Abend habe ich im Bahir Dar Hotel im schönen Innenhof gesessen und zu Abend gegessen, denn die Küche des Ghion- Hotel, wo ich abgestiegen bin, hat eher zweifelhaften Ruf. Ich war schon fertig, als sich ein junger Mann zu mir setzte und mich fragte, wie es mir gefällt. Er sei Ashenawi, außerdem der Cousin des Managers und sie befragten gerne die Gäste. Wir unterhielten uns eine Weile, er erzählte, er sei ein Sports Addict und ginge jeden Tag zum Workout im Gym. Das fand ich mehr als glaubwürdig, denn unterm figurbetonten T-Shirt hatte er einen sehr definierten Oberkörper und ebensolche Arme. Ich erwähnte, dass ich lieber laufe, und fragte, ob er mir nicht für morgen früh eine Laufstrecke empfehlen könne. Darauf hin sagte er, er laufe jeden Tag um fünf Uhr morgens und ginge anschließend zum Workout, und er lade mich ein, einfach mitzukommen. Ich gab zu Bedenken, dass ich langsam laufe, aber das sei kein Problem, er würde sich nach mir richten. Wie lange wolle ich laufen? Naja, eine Stunde mindestens. Alles bestens, dann laufen wir Richtung Flughafen, da ist es nicht busy. Wir plaudern noch eine Weile, dann begleitet er mich zu meinem Hotel zurück.

Ein bisschen frage ich mich schon, ob es sicherheitstechnisch opportun ist, mit einem wildfremden jungen Mann im Finstern rumzurennen, aber andererseits ist er total bekannt hier, er wurde auf dem Weg ständig gegrüßt, und zur Sicherheit klopfe ich nochmal kurz bei den Nachbarinnen, drei jungen Israelinnen, damit die einen Suchtrupp losschicken können, falls ich nicht wieder auftauche.

Um Punkt fünf stehe ich innen vor dem verschlossenen Tor. Der Wächter steht aus seinem Liegestuhl auf und lässt mich hinaus. Gut, da sieht der auch gleich, mit wem ich unterwegs bin. Ich warte vor dem Tor, zwei Läufer kommen vorbei. Ich glaube, ich bin einfach immer zu spät gelaufen und habe deshalb nie andere Leute laufen gesehen. Ashenawi erscheint ein paar Minuten später, in beigen Shorts, weißem Poloshirt und Laufschuhen. Wir begrüßen uns und gehen los Richtung Flughafen.

Öh, wieso gehen wir? Weil wir erst einmal ein Stück mit dem Bus fahren und die Haltestelle ist da hinten. Aber da können wir ja auch hinlaufen. Ok, wir traben an. Ich plappere ihm die Hucke voll, frage, was und wie er so trainiert, er ist ziemlich einsilbig. Nach relativ kurzer Zeit fängt er ziemlich an zu schnaufen. Er erklärt mir, dass es sehr ungewohnt für ihn ist, so langsam zu laufen, aber er stellt sich gerne auf mich ein.

Nach nicht mal einem Kilometer wechselt er die Strasenseite. Was jetzt? Wir laufen zurück. Komisch, wieso ist die Bushaltestelle jetzt auf der anderen Seite? Ich frage aber nicht, denn mir kommt schon der Verdacht, dass die Unternehmung anders verläuft als er sich das vorgestellt hat. Das sieht nach Planänderung aus. Er fordert mich auf zu gehen, denn hier ist ein Büro des Präsidenten von Äthiopien, da ist es nicht erlaubt, vorbeizulaufen. Gut, Gehpause. Nach hundert Metern dürfen wir wieder traben. Mein Begleiter schnauft und schwitzt. Ehrlich gesagt, glaube ich ihm das Präsidentenbüro nicht. Nach kurzer Zeit kommen wir wieder an einem angeblich offziellen Gelände vorbei, dieses Mal schaue ich genauer hin, kann aber weder ein Schild, noch auch nur ein halbwegs repräsentabel aussehendes Gebäude sehen. Nach zwei Kilometern sind wir wieder am Hotel, wo er mich zum Frühstück schicken will. Es ist nicht mal halb sechs. Er versichert ein weiteres Mal, dass er vollkommen anders trainiere. Ich versichere, dass ich das gut verstehen kann und bedanke mich noch einmal, dass er auf mich Rücksicht genommen hat, ich werde aber noch weiter laufen.

Es ist immer noch stockfinster. Alle Läufer, die ich bisher gesehen habe, laufen auf der Straße, es geht eben nichts über Qualitätsasphalt. Die Strecke parallel zum See ist die, auf der ich gestern aus Gondar kam. Zum Laufen ist es total langweilig. In der Nähe muss eine Kirche sein, denn ich höre wieder die Priester singen, über die sich H. in Addis immer so ärgert. Ich habe gelernt, sie singen auf Ge’ez, einer Art liturgisches Altäthiopisch. Das ist richtig laut und klingt so ähnlich wie „Waaa-äööööoooo, waaa-ääöööooo“ und soll bestimmt allen ein schlechtes Gewissen machen, die sich jetzt nicht auf den Weg zur Kirch begeben.

Irgendwann kehre ich um, es ist jetzt hell, das ist gut so, denn es gibt Leute, die zu meiner Unterhaltung beitragen: ein Mann, vermutlich in meinem Alter, der an den Füßen Sandalen, in der Hand eine Tüte mit einer kleinen Schüssel drin trägt – Frühstück? – fängt an zu laufen und überholt mich. Läuft der wegen mir? Ich laufe am rechten Fahrbahnrand, er auf der anderen Seite am Mittelstreifen. Der Abstand wird nicht größer, und er sieht sich öfter um, ob ich noch da bin. Da fängt ein zweiter an zu laufen, ein junger Mann, an dem ich eben vorbeigekommen bin. Bei dem ist es noch offensichtlicher – hihi, gleich trete ich der Machojägergruppe bei – immer kurz vor mir, dreht er sich öfter mal um, ob ich noch da bin. Das zieht sich fast einen Kilometer, bis der erste sich noch einmal  umsieht, und dann wieder geht. Der zweite stellt sich beim Umlaufen einer Fußgängergruppe ein bisschen ungeschickt an, und ich ziehe wieder vorbei. Das geht ja mal gar nicht, er beschleunigt und übernimmt wieder die Führung. Ich amüsiere mich köstlich. Da kommt plötzlich ein echter Läufer entgegen: doppelt so lange Beine wie normale Menschen, eine unglaubliche Leichtigkeit, große Schritte, aber die kommen daher, dass seine Flugphase so lang ist. Wow, der schwebt! Schon ist er vorbei, und ich beschäftige mich wieder mit meinem Begleiter. Auch der schnauft nicht schlecht, während es mir auf 1800 m viel besser geht als die letzten Tage. Tja mein Lieber, dann zeig mal, wie lange du das durchhältst. Genau bis zur nächsten Abzweigung, die nimmt er dann auch, und gibt sich sogar die Blöße noch in Sichtweite in Schritttempo zu verfallen. Nochmal: hihi!

Einem Impuls und dem Schild zum Shore Resort folge ich Richtung Tana-See. Dort beginnt das schönste Stück. Die haben einen Betonplattenweg am Ufer entlang gebaut. Ich folge ihm stadtauswärts. Wow, das Schilfzeug muss Papyrus sein, das sieht genau aus wie auf Bildern, dickes Gras mit ganz filigranen Puscheln oben. Zwischen Weg und See gibt es einen schmalen Streifen mit Gemüsebeeten, hier sind schon Leute unterwegs, die in ihren Gärtchen arbeiten. Der Weg führt an einem großen Hotelrohbau vorbei, der noch mit Eukalyptusstämmen eingerüstet ist (diese Gerüste sehen oft abenteuerlich aus!). Hier wächst noch mehr Tourismus. Einige hundert Meter später ist der Ort zu Ende, hinter einer riesigen Sykomore (danke, Strider!) geht die Sonne auf, und der Weg hört einfach auf. Ich mache ein Päuschen, um den Sonnenaufgang hinter dem tollen Baum und den Blick uber den See zu genießen. Dann geht es zurück. Am Eingang der Kirche in der Nähe der Bootsanlegestelle hat sich eine lange Schlange gebildet, fast alles Frauen. Die wollen da offensichtlich rein. Außen herum gibt es einen Holzzaun, da stehen ganz viele Männer mit weißen Tüchern um die Schultern geschlungen mit Gesicht zum Zaun, die Hände zum Beten erhoben. Ob das die Schnellversion für diejenigen ist, die nicht an der mehrere Stunden dauernden Messe teilnehmen wollen? Die Lautsprecher sind inzwischen verstummt, es sind wohl alle da.

Heute habe ich es immerhin auf rund 12 km gebracht. Es wäre auch noch weiter gegangen, aber der Tourismus ruft mal wieder – zur Bootsfahrt über den See. Bevor ich zum Frühstück gehe, schiebe ich noch wie verabredet einen Zettel bei meinen Nachbarinnen unter der Tür durch, dass alles in Ordnung ist.

P.S.: Nicht alle Äthiopier sind Lauftalente, aber es gibt ganz unglaubliche!

P.P.S.: Duschwertung (Copyright MC) – es gibt eine Art Minidurchlauferhitzer. Gestern war mir noch nicht aufgefallen, dass die Drähte, die in diesen merkwürdigen Duschkopf führen, offen liegen und nur ein wenig mit Isolierband umwickelt sind. Auch nicht, dass das Wasser am Duschkopf entlang zurück Richtung Wand fließt und nur Milimeter vom blanken Draht entfernt spratzelt. Heute ist es mir aufgefallen, und ich habe kalt geduscht.

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