Laufen auf Reisen – Hawassa Halbmarathon

Nein, ein Start um 6:30 ist nichts für mich. Es macht mir überhaupt nichts aus, wenn um 4:45 der Wecker klingelt, aber Frühstück bringe ich um die Zeit nicht wirklich runter. Ich habe mir ein paar kleine Hefebrötchen von gestern aufgehoben, H. hat mir extra noch die Marmelade aus dem Auto gebracht, aber ich habe so gar keinen Appetit. Im Gepäck steckt noch ein Kohlenhydratriegel, den zwinge ich mir rein, dazu noch eine kleine Banane und ein paar Schlucke Wasser. Brrrr. (Note to self: Nächstes Mal egal! Vor dem Wettkampf wird gefrühstückt, mit oder ohne Appetit). In die Laufhose passen mit ein wenig Quetschen zwei Gels, mal sehen, wie weit ich damit komme, B. hat auch noch eins, das sie mir unterwegs reichen kann.

Es ist noch dunkel, als ich aus dem Hotel trete. Der Parkplatzwächter fragt, ob ich laufen werde, ja genau, deshalb habe ich eine Startnummer ans Shirt gepinnt. Das findet er very good. Es sind schon einige Leute unterwegs zur St.-Gabriels-Kathedrale, wo Start und Ziel aufgebaut sind. 

An zwei Tischen sitzen Helfer, die Papierchips für die Schuhe ausgeben und die Empfänger auf der Liste abhaken. Die mit Startnummern für den EveryOne-Lauf sind fast alles Ferenjis – so nennen sie hier Ausländer, das ist eine Verballhornung von „Foreigner“. Die meisten sind Amerikaner, fast alle sind Residents, also Leute, die in Äthiopien leben und arbeiten. Aber da ist ein Shirt von der Berliner City Nacht 2011. Der Träger gehört zu einer Reisegruppe, die mit einem Laufreiseveranstalter hier sind. Sie sind am Donnerstag angekommen, hatten gestern ein Treffen mit Haile Gebrselassie, der alle ihre Startnummern signiert hat (boah, darauf bin ich ja ein bisschen neidisch!), nach dem Lauf geht es zurück nach Addis, und am Dienstag nach Hause (ok, ich bin doch nicht neidisch). Heike hat ein Foto von zwei Babies auf dem Shirt, auf dem Rücken steht „Schnellste Zwillingsoma der Welt“. Das kann gut sein, neulich in Berlin ist sie knapp 1:50 gelaufen.

Insgesamt sind wir 250 Läuferinnen und Läufer. Wir werden aufgefordert, uns in den Startblock zu begeben. Auf einer kleinen Trittleiter steht ein Mann mit einer Luftdrucktröte. Er drückt auf den Knopf, aber es macht kein Geräusch. Er drückt nochmal, schüttelt, drückt… Nichts. Da pfeift er laut auf den Fingern und ruft „Go, go, go!“ das ist das Startsignal. Alle rennen wie die Irren den einzigen Hügel der Strecke hinunter, ich renne mit, Garmine sagt, 4:28, da rufe ich mich zur Ordnung und bremse mich an der ersten Ecke, wo es wieder eben wird, auf 5:30. Mal sehen, wie sich das anfühlt. Erstmal nicht schlecht. Ich habe den Eindruck, dass ich tue, was ich immer mache: irgendwo im Mittelfeld mitlaufen.

Wir laufen auf einem Dreirundenkurs. Auf der ersten Runde ist noch nicht viel los. Ungefähr bei KM 3 gibt es eine Wasserstation, wo nette Helfer uns Plastikbeutel mit Wasser reichen. Die sind prima, man kann mit den Zähnen ein kleines Loch reinreißen und bequem im Laufen trinken. Wir verlassen die Straße und laufen einen schmalen, etwas schlammigen Trampelpfad zum Seeufer. 

Dort biegen wir in den Uferweg ein. Da steht ein Schild KM 4. Ich bin empört. Garmine zeigt erst 3,2 km. Mir war gleich so, als wären wir zu früh abgebogen, denn sollte die erste Runde am Wasserstand nicht noch nach rechts führen? Wir sind geradeaus gelaufen. So was blödes. Ich frage mich, ob die Sreckenposten verschlafen haben und finde es einen Moment lang einfach nur doof. Aber zum Dooffinden ist keine Zeit, denn die Berge am gegenüberliegenden Ufer bekommen gerade die ersten Sonnenstrahlen ab. Das sieht einfach wunderschön aus. Vorne zartgrünes Schilf, glitzerndes Wasser und eine sonnenbeschienene Bergkette. 

An der Anlegestelle für die Boote, die zu den Hippos fahren, geht’s zurück auf die Straße. Ich laufe neben einem Ferenji, der sagt, „There are my wife and kids“. Stimmt, da stehen sie und jubeln Daddy zu. Ich stelle mich vor, er sagt, er heiße Dan, aber mehr mag er nicht plaudern. Ist ja auch schwer, er hat Stöpsel in den Ohren. An der nächsten Kurve überhole ich ihn ein bisschen, weil ich finde, dass er keine unterhaltsame Gesellschaft ist, aber das lässt er nicht auf sich sitzen, er überholt zurück und wird schneller, so dass ich nicht dranbleiben kann. Es geht an unserem Hotel und der Winners‘ Chapel – Home of Signs and Wonders vorbei, meine Supporter sind noch nicht zu sehen. Aber wir sind ja auch erst auf der zweiten Runde verabredet.

Die erste Runde ist geschafft, eine Frau hält ein Schild hoch „Laps to go: 2“ noch läuft es ganz gleichmäßig mit ungefähr 5:30er Pace. Aber jetzt bekomme ich Hunger. Das ist richtig blöd. Auf der Strecke ist jetzt etwas mehr los, es sind Leute da, die uns so mittelenthusiastisch anfeuern. Jetzt laufe ich hinter einem indisch aussehenden Mann, der sich irgendwann zu mir umdreht und sich beschwert „You’re getting all the claps!“ Stimmt, mir jubeln die Leute etwas mehr zu als ihm, ich höre auch einige „Aisosh“, über die ich mich immer besonders freue. Schon viel zu früh vor dem Wasserstand fummele ich das erste Gel aus der Hose, reiße es auf und quetsche es mir in den Mund. Buhäää, ist das fies. Wo bleibt denn der Wasserstand? Da ist er endlich, ein Helfere reicht mir ein Tütchen, ich reiße es auf, trinke die Hälfte und schütte mir den Rest den Nacken hinab, denn es wird schon ziemlich warm.

Wieder geht’s über den Trampelpfad auf den Lehmweg am Ufer. Hier überhole ich die ersten Gehenden. Aber ich habe keinen Anlass zu Übermut, mein Magen versucht gerade aus Gel kleine Klümpchen zu formen, das fühlt sich gar nicht gut an. Die Sonne scheint, es wird wärmer. Zurück auf der Straße, als ich mich dem Kreisel nähere, sind da plötzlich zwei Fahrräder, die einen Läufer begleiten. Ist der Elitelauf schon gestartet? Der Streckenveraluf ist anders als bei uns, aber das kann nicht sein, es ist noch nicht 8:00 Uhr. Das ist dann wohl einer der Schnellen, der sich einläuft. Ich werde kurz langsamer, um ihm nachzuschauen, wie er um den Kreisel fliegt und Richtung Kathedrale verschwindet. Die EveryOnes müssen erst noch nach Süden. Durch diese kurze Verzögerung hat mein indischer Hase einen gewissen Vorsprung erlaufen, den ich auch nicht mehr aufholen kann. Im Gegenteil, ich lasse nach. Dennoch überhole ich einen jungen Koreaner (auf seinem Shirt steht KOREA), den ich gestern schon im Hotel gesehen habe. Viele Kinder stehen jetzt an der Strecke, ich frage mich, was sie hier machen, wenn sie doch gleich da hinten den Eliteläufern zujubeln könnten. Trotzdem bin ich natürlich froh, dass sie da sind, denn sie lenken vom Magen ab. So viele Kinderhände habe ich noch nie abgeklatscht. Nebenbei überhole ich mal wieder eine Läuferin, das Feld ist ziemlich auseinandergezogen, aber wir sind ja auch nicht so viele. Es geht wieder Richtung Norden, am Hotel vorbei. Hier hängt ein KM-Schild 15. Oh, laut Garmine stimmt das wieder. Vielleicht hing ja nur das eine Schild vorhin falsch? Vorne an der Hauptstraße stehen meine SupporterInnen. B. drückt mir das Geltütchen in die Hand, ich frage noch nach einem Schluck Wasser. Mir doch egal, wenn es ein bisschen dauert, bis die Flasche aus dem Rucksack gefummelt ist. Ich nehme ein paar Schluck und laufe weiter. Das Gel ist noch zu, das kann ich also erst an der Wasserstation nehmen. 

Da ist die Frau mit dem Schild „Laps to go: 1″. Es sind nur noch knapp 7 km, das kann doch nicht so schwer sein? Es ist aber inzwischen richtig heiß, ich bilde mir ein zu spüren, wie die Sonnencreme versagt und die Arme und Kniekehlen richtig heiß werden. Und das, was sich da ankündigt, kenne ich auch: Seitenstiche, so ein Schrott. Ich versuche, richtig zu atmen, aber es hilft nichts, sie kommen, es sticht. Aua. Es sticht sehr. Ok, das passt mit der Erfahrung aus der vorigen Woche zusammen: Hunger. Nüchtern laufen ist echt nichts für mich. Ich laufe zwar noch, aber inzwischen nur noch eine Pace von 6:20. Ich fluche innerlich ein bisschen vor mich hin, am liebsten würde ich gehen, aber das geht nicht, hier ist Publikum. Auf der letzten Runde laufen wir auf der Strecke des Elitelaufs, daher sind jetzt wesentlich mehr Leute unterwegs. 

Da, von hinten kommen zwei Motorräder, die Elite ist im Anflug. Ich bleibe einen Moment stehen, um sie vorbeifliegen zu sehen und applaudiere. Der Männerblock läuft noch dicht beieinander. Schon sind sie durch, und der Applaus, der für uns Schnecken bleibt, ist doch deutlich verhaltener. Vor der Wasserstation drücke ich mir beide verbliebenen Geltütchen nacheinander rein, spüle mit Wasser nach und hoffe, dass es hilft. Nur noch fünf Kilometer, wir dürfen jetzt auch gleich Straße laufen und sparen uns auf der letzten Runde den Uferweg. Ich bin ziemlich alle. Jetzt fliegen die schnellen Frauen an mir vorbei, erst fünf Läuferinnen, darunter eine ganz große, dann drei eher kleine im Gleichschritt. Das sieht so schön aus! So langsam helfen meine Kohlenhydrate, mir ist zwar noch ein bisschen schlecht, aber ich habe etwas mehr Energie. 

Schon bin ich zum letzten Mal am Kreisel, jetzt kommt die einzige Steigung der Strecke. Auch irgendwie gemein, dass es auf dem letzten halben Kilometer bergauf geht. Jetzt reicht es zwar nicht mehr unter zwei Stunden, ich laufe trotzdem so schnell ich noch kann. Das ist aber eher langsam. Kurz vor dem Ziel werde ich noch einmal angefeuert. Nach 2:05:39 stoppe ich die Uhr. Im Ziel gibt es Wasser und Cola und einen Beutel mit einem Finishershirt und einer Medaille. Die schnellste Zwillingsoma der Welt versichert mir, auch noch nicht lange da zu sein, aber das ist ein bisschen tief gestapelt. Ein gehörloser Italiener, der schon mal in Berlin gelaufen ist, schlägt mir einen Shirt-Tausch vor, aber ich kann mich vom ersten HM-Finisher-Shirt meines Lebens unmöglich trennen – mal ganz abgesehen, dass ich hier sowieso das Shirt nicht ausgezogen hätte.

H. ruft mich von jenseits der Absperrung, die Ordner wollen mich ganz außen rum schicken. Eigentlich will ich mich schon auf den Weg machen, aber H. lässt nicht locker, so dass ich die Ordner ignoriere und mich unter einer Absperrung durchschlängele. Erst da verstehe ich, warum er so stur ist: direkt am Zieleinlauf unter einem Zeltdach sitzt Haile, und H. findet, er müsse mir unbedingt ein Foto mit ihm zusammen verschaffen. Über die Absperrung spricht er ihn an und schubst mich nach vorne. Ich bin ganz verlegen, sage, dass ich aus Berlin komme und alle Leute in Berlin große Fans seien. Für die, die wissen, wer er ist, stimmt das bestimmt. Haile ist total freundlich, bedankt sich, schüttelt mir die Hand und dotzt auch wieder in äthiopischem Kumpelgruß unsere rechten Schultern aneinander. Dann posiert er noch für ein Foto und ich freu mich.

Danach ist noch der Zieleinlauf der schnellen Männer, dann der schnellen Frauen, mein Sonnenbrand bratzelt, es geht ins Hotel zum Duschen, auschecken und danach zum Post-Race-Lunch ins Haile-Resort. Für die EveryOnes sind unter einem riesigen Baum viele runde Tische gedeckt – das Ticket in den Startunterlagen war eine echte Überraschung. Haile eröffnet das Buffet, ich sitze mit dem Koreaner, den ich überholt habe, und seiner Freundin am Tisch, und es ist richtig schön. Das ist wohl die spektakulärste Nachlauf“wurst“, die mir je serviert wurde.

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