Laufen auf Reisen – Bodenseehinterland

Als ich aufwache, ist es für Urlaub noch recht früh. Wir sind vor zwei Tagen zufällig hier gelandet und hängen geblieben. Ein Hofgut mit Fremdenzimmern, ein paar Ferienwohnungen, einem Hofladen mit eigenen Produkten, einem wunderschönen Café und vielleicht das Beste: mit einem eigenen See. Die Kinder der Feriengäste rennen auf dem Hof und in den Ställen rum, der Altbauer spricht ein zauberhaftes Oberschwäbisch, bei dem mir das Herz auf- und samtliche Heimatgefühle mit mir durchgehen, er sagt, die Söhne des Gastes, der selber schon als Kind hier seine Ferien verbracht hat, seien „em Deifl us d’r Budda gjuckt“ – und ich bin gerührt. Seine Enkelin führt das Unternehmen zusammen mit ihrem Bruder, sie kümmert sich um die Gäste, er um die vierbeinigen Rindviecher. Wer als Kind niemals Ferien auf dem Bauernhof gemacht hat, fragt sich unweigerlich, wieso eigentlich nicht.

Leise stehe ich auf und ziehe mir Laufsachen an. Auf dem Plan stehen mal wieder Intervalle, aber wie sagt der Schalk immer? Dembbo wird überbewertet, und zwischen diesen Hügeln kriege ich das sowieso nicht hin. Also erstmal sachte einlaufen. Vorgestern bin ich rechtsrum gelaufen, also heute vor dem Hof nach links. Die Straßen hier haben vierstellige Nummern, also L7777 oder so, sie sind sehr schmal, so dass zwei Fahrzeuge, die sich entgegen kommen, immer ein bisschen umeinander herum manövrieren müssen, es sind aber nur wenige unterwegs. Ich habe mir vorgenommen, zu einer in der Nähe gelegenen Burgruine zu laufen, die ich auf der Landkarte gesehen habe. Das Telefon hat gerade mal Empfang, das ist gut für die Orientierung. Heute soll es richtig heiß werden, aber noch ist der Himmel eher bedeckt, die Wiesen sind weiß vom Tau. Links von mir ist der See, da werde ich nachher reinspringen, darauf freu ich mich jetzt schon.

Im nächsten Dorf ist es ganz ruhig, ein kleiner Hund steht vor einem Haus und wedelt mit dem Schwanz. Die Obstwiesen hier sehen ganz anders aus als ich sie kenne, das hier sind richtige Obstplantagen, die Bäume sind nicht sehr groß, damit noch angenehm gepflückt werden kann, sie stehen in dichten ordentlichen Reihen, und manche Wiesen sind flächendeckend mit Netzen geschützt, was das Landschaftsbild ein wenig beeinträchtigt. Die meisten sind Apfelbäume mit noch unreifen Äpfeln dran, es gibt aber auch Kirschbäume, die über und über voller reifer Früchte hängen. Sie sind aber nicht nur gegen Fressattacken aus der Luft geschützt, sondern auch außen herum eingezäunt. Ich laufe vorbei und durchs nächste Dorf. Hier verpasse ich eine Abzweigung und folge einer Straße in ein Tal. Unterhalb rauscht ein Bach, es geht steil bergab. Erst als die Straße den Bach kreuzt, werfe ich einen Blick auf die Karte – falsch. Etwas weiter führt ein Waldweg genauso steil wieder hinauf. Fein, das trainiert „Berg“. Energisch trabe ich an und denke, ich komme so bis oben. Nichts da, nach wenigen hundert Metern falle ich in den Alte-Dampflok-Modus, und komme nur noch in Tippelschritten voran. Ok, das muss ich noch üben. Ich passiere einen einsamen Hof, der Weg nimmt eine unerwartete Richtung, und das, was Open Streetmap zeigt, ist Waldrand mit Wiese. Macht nix, nasse Füße sind nicht schlimm. Ein Reh steht direkt neben dem Weg im Wald, für einen kurzen Moment schaut es mich regungslos an und verschwindet dann mit eleganten Sprüngen bergab ins Tal.

Im nächsten Dorf steht ein merkwurdiges Schild „Königliche Domäne Gitzensteig Freistaat Rodheim v.d.H.“ was das wohl bedeutet? Ist das was Historisches oder haben die hier einen merkwürdigen Humor? Hinter dem übernächsten Dorf muss die Ruine liegen. Der Pfad dorthin ist eingezäunt und mit einem Tor versehen, das aber glücklicherweise unverschlossen ist, auch wenn die Anleitung sagt, man dürfe sich nur zwischen 9:00 und 19:00 Uhr dort aufhalten. Aufhalten will ich mich sowieso nicht, nur kurz gucken. Verglichen mit den Burgruinen der Albkante ist diese ein bisschen unspektakulär, dennoch klettere ich auf eine Mauer, um vielleicht etwas Aussicht vorzufinden. Die Bäume sind aber zu hoch. Also nix wie runter, und weiter geht’s.

Inzwischen scheint die Sonne und es ist schon richtig warm. Da ist der Weg durch den Wald wunderbar. Jenseits des Waldes gibt es ein paar Hopfenfelder mit ihren fünf Meter hohen Stangen – das hier gehört zu Tettnang, einem wichtigen Hopfenanbaugebiet. Ich mag Hopfenfelder und muss gleich mal hin, den Hopfen anfassen. Die Pflanzen sind rauh, die Blüten noch winzig klein, die typischen Dolden leider noch nicht zu sehen.

Noch zwei Dörfer, noch ein Waldweg, noch einmal durch eine nasse Wiese, dann sehe ich schon den Hof. Auf der Café-Terrasse wird gefegt, der Bauer führt die beiden Haflinger über den Hof. Schnell hole ich die Badesachen aus dem Zimmer und laufe zum See hinunter, am liebsten würde ich einfach so hineinspringen, aber das ist hier ein Familienferienort, also schnell ins Badegewand gestiegen und mit Köpper vom Steg. Außer mir ist niemand im See, das Wasser ist kühl und erfrischend. Ich kraule ein paar Züge, aber weil ich nur grün sehe und Wasser in den Augen nicht so toll ist, lasse ich das wieder. Auf den Rücken drehen und in den blauen Himmel schauen ist toll. Aber auch Brustschwimmen ganz unsportiv mit Kopf aus dem Wasser ist hier passend, die Landschaft genießen, die Glocke der kleinen Kapelle bimmeln hören, und wissen, dass ich so langsam mal umkehren muss, um noch Frühstück zu bekommen. Ferien!

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