Laufen auf Reisen – Regen

Seit dem Gewitter am Vorabend regnet es durch, so dass ich mir Gedanken mache, wo sich für das geplante Tempotraining einigermaßen asphaltierter Untergrund findet, denn die lokale Erde hat die herausragende Eigenschaft, sich bei Nässe als immer dicker werdende Lehmklumpen an Schuhsohlen anzulagern. Nach einem Blick nach draußen studiere ich erst noch eine Weile die WM-Beilage der Südwestpresse. Es wird aber kein Stück heller, also los. Es regnet gleichmäßig in feinen, aber dichten Tropfen.

Zunächst geht es in einem großen Halbkreis außen ums Dorf, dann aus dem Ermstal hinaus Richtung Mittelstadt. Statt Intervalle nehme ich mir ein Fahrtspiel vor, das geht so: immer, wenn es bergauf geht, laufe ich, so schnell ich kann, wenn die Steigung nachlässt, ruhe ich ein bisschen in langsamem Trab aus. Sobald ich wieder Luft habe, renne ich wieder los, egal ob mit oder ohne Steigung, aber wenn es hoch geht, wird gelaufen, was geht.

Kurz vor Mittelstadt biege ich links in den Wald ab. Der Weg ist angenehm geschottert, dann auch wieder asphaltiert, super. Der Regen mischt sich mit den großen Tropfen, die von den Bäumen fallen. Auf einem Schild steht „Weg ohne Fortsetzung“. Ich grüble ein bisschen, warum da wohl nicht „Sackgasse“ steht, ob das wohl ein aus der Mode gekommenes Wort ist, da hört der Weg auch schon auf. Normalerweise würde ich hier einfach dem Trampelpfad folgen, der sich um die fehlende Wegfortsetzung überhaupt nicht schert, aber heute werden die Schuhe schon beim Anblick der lehmigen Pfützen schwer, also umkehren und einen anderen Weg versuchen.

Der Fahrradweg nach Reicheneck bietet sich an, er verlässt nach einer Weile den Wald und führt auf einer Art Hochebene, von der ich nicht weiß, ob sie einen Namen hat, durch große Felder mit Gerste und Mais. Die Aussicht Richtung Alb ist großartig. Den höheren Bergen wie Achalm und Jusi wabern dramatische Nebelfetzen um die Gipfel, die Wolken sind dick, dunkelgrau und ziemlich schnell. Außer mir ist niemand unterwegs. Ich probiere einige Wege aus, kehre aber immer dann um, wenn der Qualitätsasphalt in Traktorspur übergeht, denn das hier ist ja Fahrtspiel. Es macht mir nichts aus, denselben Weg zurück zu laufen, denn die Perspektive ist ja eine ganz andere, die Tempowechsel machen Spaß und sorgen für Extraabwechslung. Die dünne Jacke klebt wie eine Zweithaut an den Armen, das Wasser fließt von den Beinen in die Schuhe, bloß gut, dass ich kurze Hosen an habe.

Irgendwann sehe ich einen Wegweiser nach Metzingen, dem folge ich wieder zurück in den Wald. An einem Baum hängt ein laminiertes A4-Blatt mit dem Piktogramm eines Läufers. Das hat der Metzinger Marathon-Stammtisch hingehängt. Aber unter der Woche mitten am Vormittag haben seine Mitglieder wohl anderes zu tun als durch den Wald zu wetzen. Kurz fällt mir ein, dass der Ermstal-Marathon dieses Jahr ausfällt. Schade, das wäre nächstes Wochenende gewesen und hätte endlich einmal gepasst. Vielleicht nächstes Jahr.

Der Weg führt bergab, unten habe ich die Wahl über eine Brücke ins Industriegebiet von Metzingen weiter zu laufen oder den Radweg links parallel zur B 312 am Waldrand Richtung Riederich zu nehmen. Ich entscheide mich für den Radweg. Der stellt sich als nicht sonderlich idyllisch heraus, denn ganz in der Nähe rauscht die B 312 bei diesem Wetter besonders laut, und dann hat ja auch Riederich seine Gewerbegbiete. Hier stehen einige Gebäude, deren immer noch völlig zerbeulte Jalousien an den Hagelsturm vom vergangenen Jahr erinnern. Damals waren sehr viele Dächer in Riederich zerstört worden. Sämtliche draußen geparkte Autos wurden zerbeult wie Golfbälle – außer dem meiner alten Freundin, deren Mann die Wetterwarnung gehört hatte, und als es finster wurde mit einer Babybadewanne als Schutzhelm gegen die riesigen Eisklumpen das Auto mit sämtlichen Woll- und Picknickdecken des Haushalts zudeckte. Die Nachbarn standen staunend an den Fenstern und merkten erst, als es zu spät war, dass es keineswegs bekloppt war, was der Mann da tat. Die Leute hier in der Gegend streiten teilweise heute noch mit ihren Versicherungen, und viele Fassaden warten immer noch auf Reparatur.

Als ich wieder die Straße nach Mittelstadt erreiche, stelle ich fest, dass es noch nicht reicht. Dann eben den nächsten asphaltierten Feldweg genommen und eine weitere Anhöhe hinaufgeschnauft. So langsam werde ich sehr hungrig. Nur noch bis auf die Höhe, noch einmal die dramatische Aussicht übers Ermstal bestaunt, dann darf ich umdrehen. Ab der Brücke über die B312 erkläre ich den Rest zu „gemütlichem Auslaufen“.

Intervalle, wie der Plan sie vorsah, waren das jetzt zwar nicht, aber der Spaßfaktor dafür umso größer.

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