Verkehrsspiegel und Wasserbüffel

Sonntagslauf – es soll eine ganz neue Strecke werden, eine, wo ich noch nie zuvor gelaufen bin. Anreise soll mit der BVG bequem möglich sein, denn ich habe keine Lust, am Ende wieder die immer gleichen Straßen durch Schöneberg zu laufen. Also fix auf GPSies Strecke gesucht, heruntergeladen, auf Movescount wieder hinaufgeladen, von dort auf die Uhr geschubst, und los (klingt umständlich, aber das Kartenmaterial bei Movescount taugt nicht viel). Es ist heiß, also Laufrucksack mit Wasserfläschchen aufgesetzt – eins oder zwei? Eins sollte reichen.

Ich steige am Theodor-Heuss-Platz aus und mache mich auf durch die Baumalleen von Alt-Westend: Lindenallee, Rüsternallee, Kastanienallee, Eichenallee, Eschenallee – an jeder Allee stehen ordentlich die namengebenden Baumsorten. Bin mal wieder verblüfft, wie viele Villengegenden es in dieser Stadt gibt. Die Villenkolonie hier heißt nach dem bekannten Londoner Stadtteil und entstand seit den 1860er Jahren. Ich kurve um den kreisrunden Branitzer Platz und bin recht beeindruckt. Vom nördlichen Ende der Eschenallee sehe ich zwei Türme, einen großen und einen kleinen, das sind die ehemaligen Wassertürme Charlottenburg I und II, die in den letzten paar Jahren zu Eigentumswohnungen umgebaut wurden. Das müssen sehr coole Wohnungen sein.

Ich quere den Spandauer Damm und laufe durch die Kleingartenanlage Kolonie Bismarcksruh. Es ist warm, ich laufe durch Heckenrosenduftwolken. Einige Gärten sind sehr speziell dekoriert. Ob der Kleingärtner, der da aus der Hecke späht, ein Ausdruck von Selbstironie ist?

Kleingärtner

Am Ende der Kolonie biege ich links in den Höhenweg und laufe parallel zum Spreetal. Der Blick auf die Spree ist durch Bäume verborgen, aber gelegentlich ergibt sich ein Blick aufs imposante Kraftwerk Reuter West.

Der ausgetüftelte Weg hätte den Ruhwaldpark – von dem hatte ich vorher nie gehört – fast links liegen gelassen, aber das Gelände sieht so interessant aus, dass ich spontan abbiege, eine Runde um einen Teich drehe, verblüffend steil bergan unter zwei Holzbrücken hindurchlaufe und dann versuche, in einem großen Bogen einen weiteren Ausgang an der Nordseite zu finden. Den gibt es nicht, also muss ich an der Stelle auf die Straße zurück, an der ich in den Park eingebogen bin. Zum Trost sitzt da ein Eichhörnchen, das erst weghüpft, als ich nicht nur ganz nah gekommen bin, sondern auch in seine Richtung schaue.

Der Ruhwaldweg mündet in den Spandauer Damm, aber in einer eleganten links-rechts-links-Kombination gelingt es mir, die großen Straßen gleich wieder hinter mir zulassen und einen Waldweg nördlich des Olympiageländes einzuschlagen. Mir ist sehr heiß und ich nutze lautes Gezwitscher für ein Vogelbestimmungspäuschen. Die App (Zwitsch-o-mat) erkennt den Buchfink.

Der Weg führt wieder bergab und quert die Fließwiese, ein sehr malerisches Sumpfgebiet mit toten Bäumen, leuchtendgelben Baumpilzen und grüner Entengrütze. Als ich auf der anderen Seite wieder fast auf gleicher Höhe angekommen bin, sehe ich zwei Verkehrsspiegel. Meine erste Assoziation ist: fahren die Mountainbiker hier so bekloppt, dass ihnen jetzt schon unübersichtliche Stellen mit Spiegeln sicherer gemacht werden? Dann sehe ich, dass sehr viele von diesen Spiegeln hier rumstehen. Es handelt sich um „Denkzeichen“, ein Kunstwerk der argentinischen Künstlerin Patricia Pisani zum Gedenken an die Ermordeten der NS-Militärjustiz. In einige Spiegel ist Schrift eingeätzt, es sieht ziemlich beeindruckend aus. Im Text zum Kunstwerk steht: „Die Verkehrsspiegel sollen einer Gefahr vorbeugen, in dem sie etwas sichtbar machen, was außerhalb des Blickfeldes liegt.“

Denkzeichen

Es gefällt mir sehr gut, und ich lese die Texte auf einigen der Spiegel. Hinter einem Zaun erkenne ich die Waldbühne, das rückt die Orientierung ein wenig zurecht. Auf dem Kammweg oberhalb der Murellenschlucht laufe ich bis zum Ende, dann auf dem Talweg durch die Schlucht zurück.

Inzwischen ist mein Wasserfläschchen schon fast leer und ich habe einen großen Durst. Da trifft es sich gut, dass ich auf der Glockenturmstraße herauskomme und im Sportzentrum gegenüber einen Wasserhahn suche und finde. Wie beim Wettkampf Wasser über den Kopf und das Shirt schütten, trinken, Flasche auffüllen und weiter.

Ich lasse es bergab rollen bis Heerstraße und folge ihr einen halben Kilometer bis ich Richtung Tiefwerder Wiesen abbiegen kann. Zuerst durch ein Waldstück an einem See mit dem spektakulären Namen „Toter Mantel“ entlang, dann auf einem Holzbohlenweg über den Sumpf. Plötzlich tauchen auf der nassen Wiese mit vielen gelben Schwertlilien Wasserbüffel auf. Sind die toll! Etwas später komme ich an einer Tafel vorbei, die erklärt, dass die zur Landschaftspflege da sind, denn sie vertragen nasse Füße besser als andere Rinder.

Wasserbüffel

Das Dorf Tiefwerder gehört zu Spandau, es ist sehr idyllisch hier, unter einer Brücke fahren zwei Kajaks durch – Paddeln wäre jetzt auch nicht schlecht.

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An der Havel entlang laufe ich zurück nach Süden, als mir kurz vor der Heerstraße ein Bauzaun den Weg versperrt. Nein, das geht jetzt echt nicht, mir ist viel zu heiß, um einen großen Umweg zu laufen. Freundlicherweise ist das Drahtgitter mit dicken Bohlen verstärkt, die eine gute Leiter abgeben. Hopp, rüber. Hier wird offensichtlich die Brücke saniert oder erneuert oder was weiß ich – es ist jedenfalls leicht, auf der anderen Seite wieder aus dem Zaun rauszukommen. Noch ein kleines Stück Heerstraße, bevor ich rechts abbiegen und der Havel auf der Spandauer Seite entgegenlaufen darf. Ich finde auch Brücken, Kräne und Hafenanlagen sehr malerisch, und dass da „Schrottankauf“ auf der Kaimauer gegenüber steht. Dennoch habe ich so langsam genug. Es ist heiß, mein Fläschchen schon wieder leer, am Zeh bildet sich eine Blase.

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Andererseits: es ist nicht mehr weit, und so laufe ich die Schleife durch die Altstadt zu Ende, zücke am Kiosk vor dem U-Bahnhof erstmal den bereits mehrfach mitgewaschenen Notfallfünfer aus dem Laufhosentäschchen und setze ihn in Wasser um. Die U-Bahn bringt mich zurück nach Schöneberg.

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