Der albanischste Tag

Heute ist wieder Laufen dran. Kurz vor sieben öffne ich den großen Eisenhaken am Hoftor und trete auf die Gasse. Ich laufe zur Fußgängerbrücke über den Osum, durchs alte christliche Viertel Gorica und dann aus dem Ort hinaus, auf einem steilen Pfad bergan. Das ist gut für die Aussicht, aber mir viel zu steil zum Laufen.

Berat

Macht nix, dann gehe ich halt, so flott es geht. Das Gras ist sehr nass, der Weg schlammig.

Gestern Abend regnete es mal wieder. Auf der Dachterrasse des Mangalemi war die große Plane stellenweise undicht geworden, die Tische wurden so gerückt, dass sie möglichst nicht betropft wurden. Als die Vorspeisen serviert wurden, brach das Gewitter richtig los, alle Gäste bewunderten die Sturzbäche unten auf der Straße.

Regen

Während des Hauptgangs fiel in der ganzen Stadt der Strom aus. Es wurden Kerzen aufgestellt und der Abend wurde fast ein bisschen romantisch. Irgendwann ging der Strom wieder an.

Am Zaun einer sehr großen Bauruine biegt der Weg ab und lässt sich wieder ein Stück laufen. Ob das hier mal ein Hotel werden sollte? Es sieht jedenfalls nicht aus, als würde hier in absehbarer Zeit weiter gebaut. Am gegenüberliegenden Flussufer stand in kommunistischer Zeit in riesigen Buchstaben „ENVER“ am Berg. Inzwischen hat sich jemand die Mühe gemacht, daraus „NEVER“ zu machen. Der Weg geht schon wieder bergab, allerdings muss sich hier letzte Nacht ein Wasserfall gebildet haben, der selbst größere Steine losgerissen hat. Es ist ausgeschlossen in dieser fiesen Mischung aus Schlamm und Steinbrocken zu laufen. Dann wird das halt ein Morgenspaziergang. In weitem Bogen gelange ich zurück in die Stadt, freue mich über den schönen Asphalt und wechsle über die Gorica-Brücke auf die andere Seite des Osum, um noch einen schönen Blick auf Gorica zu haben. Das war’s auch schon, denn wir haben heute noch Pläne.

Gorica

Iliri und Mila sind nach Berat gekommen, um uns zu treffen. Wir wollen zuerst gemeinsam die Burg von Berat besichtigen – dort befindet sich der älteste Teil der Altstadt – dann nach Byllis fahren, einer der bedeutendsten illyrischen Ausgrabungsstätten in Albanien. Mila war als Kind oft auf der Burg von Berat bei einer Kusine ihrer Mutter zu Besuch. Es hat bestimmt Spaß gemacht hier zu spielen. Iliri telefoniert die halbe Zeit, ohne Smartphone am Ohr ist er nicht komplett, Mila sagt, für ihn müsste es ein Phone-Implantat geben. Wir machen Fotos vor Gemäuer, irgendwann rennt Iliri davon und ruft im Laufen, er müsse etwas erledigen und käme gleich wieder. Er fährt vom Parkplatz aus durchs Burgtor herein, Mila steigt ein und sie fahren durch die schmalen Gassen der Burg davon. Wir klettern ein bisschen auf den Außenmauern herum, bis die beiden zurückkommen. Iliri hat einen Spitzendeal gemacht und irgendwo unglaublich günstig zwei Wasserpfeifen erstanden. Womöglich antik? Er will sie uns später zeigen, aber das vergessen wir dann irgendwie.

Dann fahren wir Richtung Fier, die beiden voraus, wir immer hinterher. Erst sind wir ein bisschen besorgt, ob wir wohl mit einem albanischen Vielfahrer mithalten können, aber Iliri fährt sehr zivilisiert. In einem Dorf hält er an einer Tankstelle und verkündet, dass wir dort Kaffee trinken. Das Café ist ein futuristisches Objekt in den Tankstellenfarben gelb und grün, vorne gibt es eine Terrasse, die gut besucht ist. Von Männern versteht sich. Hier sind es junge Männer, ob sie sonst was zu tun haben, wissen wir nicht, es ist schließlich Sonntag. Iliri telefoniert wieder, ein Freund kommt, der einen Verband am Bein hat. Er hat es sich beim Raki-Brauen verbrannt, und Iliri hat von seiner Mutter, die Ärztin ist, Salbe geschickt. Es kommt noch ein Freund, es wird geplaudert und viel geraucht, dann fahren wir weiter.

In Fier hält Iliri kurz an und kommt nach hinten gelaufen, um uns zu erklären, dass wir lieber erst zu Mittag essen sollen und danach erst nach Byllis fahren. Wir würden außerdem gleich Bekannte treffen. Eine Straßenkreuzung weiter warten Klodi und Eri, die beiden, die vor ein paar Tagen ihren Urlaub abbrechen mussten. Mit drei Autos geht es weiter. Wir halten bei einem Restaurant, das „Tempulli Apollon“ heißt. An der Straße steht ein älterer Mann in albanischer Tracht mit der weißen Filzkappe und versucht, die vorbeifahrenden Autos zu einer Pause zu bewegen.

Tempulli Apollon

Iliri und Klodi trinken als Aperitif einen Raki, alle anderen Wasser. Drinnen ist der Tisch für uns mit den unglaublichsten Dingen gedeckt, gegrilltes Gemüse, Salat, Oliven, gebratene Leber, gebratener Käse, Zaziki, Pommes, unglaublich fluffiges, frittiertes Fladenbrot – und viele Teller mit Fleisch von am Spieß gebratenem Lamm. Erstmal Anstoßen und Gruppenbild.

Albanisches Essen

Das Fleisch ist allerdings speziell: auf zwei Tellern, von denen der eine vor Iliri, der andere vor uns platziert wird, liegt je ein längs durchgesägter halber Kopf. Iliri behauptet, der sei das beste. Auf den anderen Fleischtellern liegen Berge von Lamm, das Tier wurde einfach zerteilt, alles ist dran, die Innereien zum Teil noch drin. Es heißt, wir sollen mit den Händen essen, und Iliri reißt seiner Lammkopfhälfte erstmal den Unterkiefer ab, Mila stochert sich mit der Gabel Hirn aus dem Schädel. Da Mila sonst kaum Fleisch isst, beschließe ich ihr alles nachzumachen und hoffe, dass das alles schon schmecken wird. Ich stochere mutig Hirn aus unserer Schädelhälfte, reiße den Unterkiefer ab und knabbere an den Lammwangen. Es schmeckt wirklich sehr gut. Iliri bohrt mit den Fingern im Schädel und legt Mila „das Beste“ auf den Teller: das Auge. Sie zerteilt es mit dem Messer und gibt ihm die Hälfte zurück. Ok, das kann ich auch: ich ziehe und drücke ein bisschen im Schädel herum, bekomme das Auge zu fassen und teile es längs mit dem Messer: Da muss Titus jetzt mit durch. Es graust mir ein bisschen, aber was soll schon passieren? Ohne das Teil genauer anzusehen schiebe ich es in den Mund. Ich finde nicht, dass es das Beste ist, aber es schmeckt gut, die Konsistenz fühlt sich ein bisschen an wie ein Stückchen Tintenfisch. Es wird mir noch eine Niere gereicht, die irgendwo im Fleischberg steckte, auch die teile ich mit Titus. Sie schmeckt sehr gut. Als wir wirklich nicht mehr können, kommt der Nachtisch, eine Art glibberig-fester Pudding, der sich zum Glück mit der Gabel aufspießen lässt. Ein junges Biker-Pärchen kommt herein und fragt, woher wir kommen, und was sie essen sollen. Iliri nimmt sich der beiden an und bestellt ihnen Fleisch, Salat, Tsatsiki und Pommes. Von uns bekommen sie die restlichen Oliven und die Leber. Sie werden noch aufgefordert sich zu melden, wenn sie nach Sarandë kommen, dann brechen wir auf.

Unser kleiner Konvoi fährt über Ballsh nach Byllis. Es fängt wieder an zu regnen. Auf dem Parkplatz vor dem Ausflugslokal wartet Eris Schwester Anxhela, und wir erfahren, dass die Mädels hier oben ihre Kindheit verbracht haben. Weil es so schlimm regnet, gehen wir erstmal einen Kaffee trinken. Anschließend hat Iliri wieder eine Idee: er fährt unser Auto „nach unten“, wir können einen Rundgang durch die Ruinen machen und dann unten wieder einsteigen. Das klingt plausibel, Anxhela kommt als einzige mit nach draußen. Die Ruinenstadt von Byllis ist sehr groß und auf einem Berg oberhalb der Vjosa gelegen. Die Aussicht ist trotz Regen spektakulär. Ich versuche den Schirm über Anxhela zu halten, die uns den Weg zeigt und öfter mal „Let’s have a look here“ sagt.

Byllis

Wir sind um einiges länger unterwegs als ausgemacht, und ich dränge immer wieder darauf jetzt doch mal „hinunter“ zu gehen. Mila und Iliri müssen noch zurück nach Sarandë, und Byllis im Regen entspricht ganz offensichtlich sowieso nicht gerade ihren Vorstellungen von einem gelungenen Sonntagnachmittag. Anxhela telefoniert mit ihrer Schwester, aber es muss ein Missverständnis geben, denn sie führt uns zurück zum Lokal, wo der Parkplatz leer ist. Sie telefoniert noch einmal, und nach wenigen Minuten kehrt Iliri mit unserem Autochen zurück um uns abzuholen.

Auf einer winzigen Nebenstraße – auf der Karte weiß eingezeichnet- geht es direkt hinunter ins Vjosa-Tal. Vor der Autobahnauffahrt nach Vlorë, hält Klodi einfach an der Straße, alle steigen aus, es werden noch Gruppenfotos gemacht, herzlich verabschiedet, dann folgen wir Iliri auf die Autobahn. Wir werden in Vlorë vor dem Hotel Paravësia (Unabhängigkeit) abgeladen, es gibt einen letzten Kaffee, dann winken wir dem Peugeot mit der Aufschrift „Villa Joanna & Mattheo“ nach, bis sie um die Ecke gebogen sind.

Eine Antwort auf „Der albanischste Tag“

  1. Einfach herrlich! Mit Einheimischen dort unterwegs zu sein, ist unbezahlbar. Genießt das dort! Ihr könnte ja am 25. im Tomasa davon erzählen!
    😉

Schreibe einen Kommentar zu Schalk Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert