Igel allein am Start

Bahnfahren ist schön, wenn ich auch im Moment nicht so genau weiß, wohin mit den müden Beinen. Ich bin froh, dass ich in der Bahn sitze, denn heute früh kam mir mein Zeitplan noch ein klein wenig gewagt vor. Der ging nämlich so: ich radle nach Steglitz (sind nur zehn Minuten), laufe mal eben schnell den Sportscheck Stadtlauf Berlin über die Halbmarathondistanz, dann radle ich wieder heim, dusche fix, schnappe mir den fertig gepackten Rucksack und erwische einen Zug um 12:49 Uhr. Die einen sagten, du bist bekloppt, die anderen, das schaffst du locker, und denen, die fragten, weshalb nimmst du nicht einen späteren Zug, musste ich erklären, dass es dann nicht zum Nachtzug München-Florenz reicht, und wenn ich mich morgen früh nicht in Pisa einfinde, werde ich enterbt, denn die Reise ist ein Geschenk von meinem Bruder und mir für die Eltern. Zur Goldenen Hochzeit, also wichtig.

Ich bin sowieso so eine olle Hibbeline, aber der Zeitplan und ein weiterer ungünstiger Faktor, machen mich besonders nervös. Obwohl er sich seit Monaten drauf gefreut hat, kann der Hase heute nicht antreten, weil er eine Erkältung erwischt hat. Oh je, wie soll ich denn alleine schnell laufen? Bekanntermaßen liegt Beißen mir doch gar nicht. Andererseits habe ich außer meinem Fahr- auch noch einen Trainingsplan, und der schreibt vor, dass der Vorbereitungs-HM in 1:53 zu laufen sei. Na, und wenn ich das schaffe, bekomme ich auch meinen Zug. 

8:00 – ich radle los. Wo stelle ich nur mein Rad ab? Wo komme ich danach möglichst schnell durch die Massen? Ich entscheide mich für einen Bauzaun – um ganz genau zu sein, eine Baustellenausfahrt, die heute nicht gebraucht wird. Was, wenn ich es nicht schaffe und vorzeitig (also bei km 19 wenige 100 m von meiner Haustür entfernt) aussteigen muss? Rettet dann jemand mein Rad vor tonnenschweren Baumaschinen? Ich hoffe es und schließe das Rad an.

8:15 – der weltbeste Hase, heute als Supporter unterwegs, erwartet mich vor der Bank am U-Bahnhof Schloßstraße. Er hat mir zwei Gels mitgebracht, die angeblich ohne Wasser funktionieren. Eines soll ich in die Shirttasche stecken für km 15, das andere wird er mir bei km 10 bereits aufgeschraubt reichen. Kollege S., der nur den Zehner läuft, kommt auch schon, wir tun, was vor einem Rennen zu tun ist, und stehen dann in einer unordentlichen Menschenansammlung, die die Veranstalter möglicherweise für einen Startblock halten. 

9:00 – nix passiert. Wenn ich bis elf fertig werde, reicht es. Um 9:05 werde ich ungeduldig. Alle Umstehenden wissen inzwischen von meinem Zug. Nicht ganz zu Unrecht schlägt die Nachbarin vor, ich brauche ja nur schneller zu laufen. Ja schon, aber wie denn ohne Hasen?

9:07 – irgendwo da vorne ist jetzt wohl ein Startschuss gefallen. Und dann geht es doch ganz flott voran, um 9:10 passiere ich die Startmatte und es läuft. Das Wetter ist perfekt, kühl, sonnig. Wo die Grunewaldstraße leicht bergauf geht, sind die Massen von orange-weißen Shirts zu sehen. Auch wenn ich es eigentlich nicht so toll finde, wenn der Veranstalter mir vorschreibt, was ich anziehen soll, in dem Moment sieht das einfach klasse aus. Sonst gibt es gar nicht viel zu erzählen, es ist gar nicht schlimm, dass es eine Doppelrunde ist. Bei km 10 jubelt und supportet der Hase ganz spitzenmäßig. Die Virtual Partnerin, die als Hasenersatz herhalten muss, läuft irgendwann zwar einmal bis auf 39 Meter heran, kann dann aber doch beinahe wieder ausreichend abgehängt werden. Unterwegs versuche ich gelegentlich, mir Beine zum Hinterherlaufen zu suchen, das klappt aber nicht so richtig, denn die, die mich überholen, sind fast alle zu schnell, um dran zu bleiben, und die, die ich vor mir aussuche, meistens zu schnell einge- und überholt. Eine dünne Frau hat ein gutes Tempo, sie überholt mich auf km 15, bei 17 habe ich sie wieder, bei 19,5 sie mich, und auf der Zielgerade ziehe ich noch vorbei. Die meiste Zeit bin ich aber ganz selbstgenügsam mit Garmine unterwegs. 

11:03 – selbstgemessene siebzehn Sekunden über Plan (was soll’s? Es war ein hasenloser Testwettkampf, und: jaha, ich habe nicht „alles“ gegeben) drücke ich auf der Zielmatte die Uhr ab, drängle kaum am Erdinger-Stand (die meisten haben einfach nicht kapiert, dass das ist wie an den Wasserstellen: für maximal effiziente Bierausgabe muss man sich auf die ganze Standbreite verteilen), treffe den Hasen, der ein Foto nach dem anderen schießt, mir die aufbewahrten Klamotten zurück gibt und mich zum Fahrrad begleitet. Es macht Spaß, auf der Gegenfahrbahn dem Lauf entgegen zu radeln, da kommen noch ganz viele. Ein Mitradler, der besser freihändig fahren kann als ich, klatscht den Läuferinnen und Läufern zu, ich klingle die ganze Zeit und hoffe, dass sie sich davon auch angefeuert fühlen.

11:22 – schließe ich die Wohnungstür auf und habe eine komfortable Dreiviertelstunde für alles weitere. Das war ja wirklich ein entspannter Wettkampf.

Ja, und jetzt sitze ich im Zug und freu mich auf eine Woche Sommer, auf unbekannte Laufstrecken, und auf den nächsten langen Lauf mit dem bis dahin hoffentlich wieder gesunden Hasen.

HM-PB, jetzt auch in der Liste

Am Dienstag gab es die letzten Intervalle – sauanstrengend, aber geschafft – wobei ich mir immer noch nicht vorstellen kann, dieses Tempo auf über 20km zu halten. Das kann doch gar nicht sein. Andererseits: darum heißt das doch Zielzeit, weil man theoretisch mit einem Plan ein bestimmtes Ziel erreichen können könnte. Aber nee, Zuversicht sieht anders aus.

Außerdem kann ich mir nicht so richtig vorstellen, dass es wirklich Spaß macht, über die Flughafenbaustelle zu rennen. Der weltbeste Hase hat es irgendwie mit Fliegern und Flughäfen, der hat mich auf der HM-Messe Anfang April ein bisschen überredet. Das war zwar ganz leicht, aber kurz vorher scheint mir die Strecke gar nicht mehr attraktiv. Soll mir aber andererseits egal sein, Ziel ist die Bestzeit zu unterbieten, da ist die Gegend doch zweitrangig. Das setzt mich aber albernerweise auch gehörig unter Druck: ich habe geradezu streberhaft trainiert, leide an keinerlei Zipperlein, es ist nicht heiß, es dürfte eigentlich nichts schief gehen… Waaaaah!!!

Der Hase setzt gnädigerweise die Zielzeit auf 1:55 fest. Ich stelle Garmine so ein, dass ich nur Zeit und Distanz ablesen kann, keine Pace, um bestenfalls unterwegs ein bisschen Kopfrechnen zu üben, die Pacekontrolle aber voll und ganz an den Hasen abzugeben. Das Einlaufen fällt eher schwer – was sollen die Beine gleich nochmal tun?

Im Startblock stehen wir in der Nähe des 1:55 Zugläufers, der Hase sinniert noch darüber, wo wir den, wenn alles gut geht, überholen werden (später war’s dann schon ungefähr bei KM 4), der Startschuss fällt, es geht los – und es geht leicht. Wow, dabei laufen wir erstmal fast drei Kilometer gegen den Wind (5bft, „frischer Wind“). Die Weite ist toll, da vorne laufen die ersten, sie haben schon die Kurve gekriegt und kommen auf der südlichen Landebahn wieder entgegen. Als auch wir dort ankommen, verleiht der Rückenwind beinahe Flügel. Super, wie leicht es läuft! Der Hase behauptet, das sei doch alles ganz entspannt. Meistens behauptet er genau das auf dem letzten Intervall, wenn ich nur noch keuche und nicht mehr widersprechen kann, aber im Moment stimmt es einfach. Es macht Spaß. Es macht sogar riesig großen Spaß! Die 10km-Läufer/-innen biegen ab, wir lassen uns weiter vom Wind schieben. Ich habe zwar wieder genug Luft zum Reden, halte mich aber halbwegs zurück.

Ziemlich genau an der 10km-Marke überschreite ich den 1000. Jahreskilometer, denke aber gar nicht dran. Viel interessanter ist die Zwischenzeit – weniger als eine Minute langsamer als die PB auf 10km. Cool. Leider ist damit die gemütliche Strecke vorbei und der Wind kommt mal von schräg vorne, mal genau von vorne oder schräg von der anderen Seite. Hui, das ist fies. Gelegentlich fürchte ich, gleich wie Tumbleweed über die Steppe geweht zu werden. Der Hase bietet mir seinen Windschatten an, das ist prima, aber ich muss mich erstmal reinfinden, denn seine Beine sind etwa anderthalb mal so lang wie meine. Nach einer Weile meint er, ich solle ihm nicht auf die Füße gucken. Hatte ich gar nicht, sondern erst auf die berühmten Stahlwaden, dann auf den Hintern. Ich kann nichts dafür, sonst hätte ich noch Nackenverspannung bekommen. Aber wenn ihn das stört, kann ich es ja mal mit den Schulterblättern versuchen. Was das Motivieren angeht, ist der Hase heute ganz groß – noch spricht er charmant davon, wie locker ich noch laufe (haha) und spart sich die Beißappelle für später auf. Wobei ich so langsam durchaus schon am Beißen bin.

Bei km 18 geht es nochmal 1,5km mit dem Wind, das ist die Rettung, dabei kann ich mich noch ein wenig erholen, bevor es dann auf die letzte Gegenwindpassage zum Zielbogen geht. Wir überholen viel mehr, als wir überholt werden, und einige andere Läufer versuchen, am Hasen dran zu bleiben. Solange mir niemand den Windschatten streitig macht, geht das in Ordnung. Inzwischen möchte ich nur noch, dass es aufhört, aber dann sagt der Hase, dass wir es noch in 1:49 schaffen könnten. Seltsam, eben wollte ich mich noch zu Boden werfen, aber irgendwo scheint es doch noch Reserven zu geben. Ich renne, was Lunge und Beine hergeben, drücke auf der Zielmatte die Uhr ab 1:49:06 – aber selbst die Bruttozeit ist noch nicht auf 1:50 umgesprungen! Wahnsinn! Wie kann das sein? Der Hase wirbelt mich durch die Luft, wir kreischen wie die Bekloppten, das gibt es doch gar nicht! Bestzeit. Und wie.

Und jetzt die kleinen Einschränkungen: Erstens glauben wir, dass die Strecke zu kurz war. Garmine geht sonst immer etwas vor, und dieses Mal hat sie nur 20,89km gemessen, die Garmine vom Hasen noch weniger. Egal: eine Bestzeit wäre es trotzdem geworden. Zweitens stehe ich nicht in der Ergebnisliste. Aber auch das ist egal, denn wie Gerald schon schrieb: gelaufen bin ich die Zeit, das kann mir keiner nehmen.

P.S.: Völlig unkompliziert schrieb mir heute eine freundliche Frau Kreißel von Berlin-läuft: „Das Problem mit ihrer verdrehten Chipnummer konnte behoben werden und sie finden sich jetzt in den Ergebnissen mit Zeit und Urkunde.“ Und als ich mich daraufhin bedankte, schrieb sie gleich nochmal: „Das habe ich sehr gern gemacht. Gratulation zur super Zeit.“ Toll, dass es bei Berlin-läuft so nette Leute gibt. Deshalb hier nochmal öffentlich: Vielen Dank fürs unbürokratische Ausbügeln meiner Schusseligkeit!

HM gerockt, aber nicht in der Ergebnisliste

Ja, die Ergebnislisten sind schon online. Bei mir steht da aber kein Ergebnis drin. Bin ganz durch’n Wind. Allerdings auch selber schuld: in der Anmeldebestätigung, in der man noch mal alle Angaben prüfen sollte, was ich allerdings nicht ordentlich gemacht habe, steht eine falsche Chipnummer. Menno, ich heul‘ gleich – oder beiße in den Tisch!!! Und dabei war das ein so grandioser Lauf.

Den Bericht vom Lauf schreibe ich vielleicht später, ich muss mich erstmal von dem Schrecken erholen (und eine Mail an Berlin-läuft schreiben, ob die nicht doch noch was machen können).

Anglerterror, falscher Hase und Gurkenmedaillen

Der Tag beginnt in der Pension Spreewald-Idyll in Lübbenau nicht um 7:00 mit dem Wecker, sondern um 6:00 mit einem Höllenradau auf dem Flur. Die Wirtin hatte erzählt, dass außer uns Angler im Haus sind, die ganz früh frühstücken möchten. ANGLER??? Das sollen doch ruhige Leute sein? Sie brüllen sich minutenlang Dinge über den Flur zu, bis ich nicht nur wach, sondern stinkwütend bin, die Tür aufreiße und in nur halb zurechnungsfähigem Zustand und breitestem Schwäbisch hinaus fauche, sie sollen nicht so ein Gschrei machen. Daraufhin ändert sich der Lärm dahingehend, dass immer mehrere Stimmen brüllen, und eine dann „Psssst!!!“ macht. Toller Erfolg.

Eine Stunde später frühstücken wir selber. Vom Idyll sind es nur wenige Meter bis zum Start. Wir wollen mal gucken, uns danach umziehen und selber loslaufen. Die Sonne scheint von knallblauem Himmel, die Gurkenmedaillen hängen schon am Zieleinlauf bereit und der Moderator geht seiner bewundernswerten Aufgabe nach (wie schafft der Mann das nur, einen guten halben Tag lang unaufhörlich zu sabbeln?) und kündigt Wanderer und den Spielmannszug an.

Nach den Wanderern kommen die Kinder, erst Mädels, dann Jungs, dann sind wir mit dem Biosphären-Halbmarathon dran. Ich bin überhaupt nicht aufgeregt, denn für mich wird es ein lockerer Spaßlauf. Ich bin der falsche Hase (der echte läuft morgen in Potsdam) auf dem ersten Halbmarathon meines Igels, der neulich in Berlin noch der Supporter war. Komisch dann, dass ich vier Minuten vor dem Start bemerke, dass ich die Garmine im Spreewald-Idyll vergessen habe. Kurzer Spurt zum Einlaufen, und schon bin ich wieder im Startblock. Wie ich es dann geschafft habe, mir den Bügel meiner Brille aus dem Scharnier zu hauen, weiß ich auch nicht. Eigentlich geht der ganz leicht wieder rein, aber ich bin so zittrig, weil ich befürchte den Start zu verpassen, dass es erst mehrfach misslingt. Dann sitzt die Brille wieder auf der Nase (ich bin ohne ein Blindfisch!) und schon wird „Auf die Gurke, fertig, los!“ gestartet.

Heute ist definitiv der schönste Frühlingstag des Jahres, wir laufen entspannt los, aus Lübbenau hinaus, scherzen ein wenig mit den Mitläuferinnen. Da gibt es ziemlich viele Laufbienchen aus dem Spreewald, die schwarzgelb gestreift mit Flügelchen auf dem Rücken und Puschelfühlern auf dem Kopf laufen. Drei große Kerle fallen durch ihre Kostüme auf, rosa Ballettröckchen, Seppelhosen und geringelter Matroseneinteiler. Sie überholen uns, aber das macht ja nichts. Ein Shirt bringt mich ein wenig ins Grübeln, darauf steht “Möpse und Motoren – a biker’s work is never done”. Meint der Mann die eigenen? Aber mehr als Körbchengröße B bringt er trotz deutlich krafttrainiertem Oberkörper eigentlich nicht zuwege. Oder lässt er seinen Ofen bei einem Werkstatt-Kollektiv von coolen Schrauberinnen warten und läuft für die Werbung?

Eine junge Frau läuft dicht hinter mir, ich frage, ob sie überholen möchte, aber sie möchte gar nicht. Unser Tempo gefällt ihr gut und sie läuft eine Weile mit uns. Irgendwann ist sie wieder weg.

Am ersten Verpflegungsstand sind wir total überrascht. Sowas habe ich noch nie gesehen: Nicht nur Tee und Wasser, auch Salzbrezeln, Müsliriegel, Schmalzstullen… Leute, wir laufen doch nur 21 km! Alles ist so liebevoll angerichtet, ich bin ganz gerührt. Es gibt sogar große Wannen mit Wasser und gelben Schwämmen. Schon jetzt habe ich den Wunsch nächstes Jahr wieder hier zu laufen, auch wenn mir im Moment ein Becher Wasser reicht.

Ungefähr bei Kilometer sechs ist die junge Frau wieder da. Wenn wir sowieso wieder gemeinsam laufen, können wir uns auch vorstellen. Angenehm: falscher Hase, Igel. Es ist auch ihr erster HM. Sie kommt aus Heidelberg, ihre Freundin, die auch laufen wollte, kann leider nicht. Von da an habe ich zwei Igel und nehme mir vor, sie heil ins Ziel zu bringen und dabei gut zu unterhalten (habe da ja ein großes Vorbild). Gelegentlich überholen wir Wanderer, die ja vor uns gestartet sind. Eine Gruppe fröhlicher Frauen bejubelt alle Läuferinnen und Läufer, die vorbei ziehen. Wir jubeln zurück, danke, ihr seid super! Immer wieder mal steht Publikum an der Strecke, das uns anfeuert. Unter einer Brücke fährt gerade ein Spreewaldkahn durch – wir fordern sie auf, auch ein wenig zu jubeln, und auch, wenn die Spreewaldtouristen vielleicht nicht so ganz genau wissen, was wir da tun, klatschen sie brav.

Kurz vor Kilometer 14 holen wir die drei Jungs in Kostümen wieder ein. Sie singen! Am schönsten ist es, wenn sie Walker überholen und dabei „I’m walking on sunshine!” singen. Bei jedem Kilometerschild zählen sie runter: noch sieben Lieder, noch sechs Lieder… Inzwischen besteht der Weg aus schmalen Betonplatten, die sind nicht ganz ideal zu laufen, man muss etwas aufpassen, nicht über die niedrigen Schwellen zu stolpern. Wir laufen etwas schneller und eine Weile ziehen die Kostümierten mit. Dann reicht die Puste aber wohl doch nicht mehr zum Singen und Beschleunigen – bin sowieso total beeindruckt, wie sie das machen.

Wir erreichen den tollsten Verpflegungspunkt von allen, am Wirtshaus Wotschofska gibt es außer Wasser und Tee eine sensationelle Auswahl an Essbarem. Spreewaldgurken! Ich liebe Gurken und nehme mir gleich zwei Stücke – lecker! Kurz frage ich mich, wie sich wohl saure Gurke auf Läuferinnenmagen macht, aber es schmeckt einfach köstlich und ist sehr erfrischend.

Die Igel sehen immer noch sehr gut aus, sie schnaufen zwar ein wenig, laufen aber noch recht locker. Drei Kilometer vor Schluss fordere ich – im Gedenken an meinen eigenen Lieblingshasen – auf, das Quatschen einzustellen und noch ein paar in der Dynamik schwer nachlassende Mitläufer einzusammeln. Die adoptierte Igelin will uns voraus schicken, aber das geht jetzt nicht mehr. Nachdem wir so lange gemeinsam gelaufen sind, beenden wir das hier jetzt auch gemeinsam. Dafür muss sie sich jetzt noch ein bisschen antreiben lassen – und das macht sie dann auch, ohne sich weiter zu zieren. Die Holztreppenbrücken über die vielen Fließe werden langsam etwas lästig, aber gleich sind wir da. Hinter der letzten Brücke steht die Freundin der Igelin und läuft die letzten hundert Meter mit in Richtung Ziel. Nach 2:16 oder 2:17 überqueren wir zu dritt die Ziellinie, bekommen diese tolle Gurkenmedaille umgehängt und landen wieder im Verpflegungsparadies. Schmalzstullen, Gurken, Kuchen, Bananen, Äpfel, Salzbrezeln, Cola, Wasser, Tee – und weiter hinten auch alkfreies Bier. Hier sponsort Krombacher. Auf den Lauf müssen wir erstmal anstoßen.

Die Sonne scheint, es ist ganz bestimmt der schönste Frühlingstag des Jahres. Hier möchte ich wieder laufen.

Hase und Igel beim Halbmarathon

Ein etwas zu lang geratener Bericht mit drei Vor- und zwei Abspännen (was war da noch mal der richtige Plural?) geschrieben unter dem Einfluss von literweise Endorphin, oder was immer da vor ein paar Stunden so ausgeschüttet wurde…

Vorspann Teil 1: Hibbeln? Was ist das?
Mit fast schon leisem Bedauern kommt es mir bis Mittwoch vor, als wäre der dritte HM schon gar kein Grund zur Aufregung mehr. Aber denkste…

Vorspann Teil 2: HIBBEL!!!
Am Donnerstagabend nach dem Messebesuch mit dem Hasen geht es los mit einem heftigen hypochondrischen Anfall: es kratzt im Hals, ich huste und niese (nein, ich bin nicht allergisch). Eimerweise Kräuter- und Ingwertee werden in den kratzenden Hals geschüttet, kiloweise Obst verdrückt. Wegen der Vitamine. Nachts träume ich von zwei verschiedenen Schuhen und rutschenden Socken an den Füßen, ich weiß nicht, wohin mit dem Kleiderbeutel und der Start ist auch nirgendwo zu finden. Grau-en-haft!

Besser wird es erst bei dem wirklich sehr schönen Jogmapper-Treffen in der Villa Kreuzberg am Samstagabend. Wir füllen einen ganzen Nebenraum. Der Kellner wundert sich über die Mengen an alkfreiem Weizen, die bestellt werden. Laufnad hatte die geniale Idee Namenschildchen mit Nick- und Echtname zu basteln – das ist prima, denn so bekommen einige Nicknames, die sich schon so lange bekannt anfühlen, endlich Gesichter. Danke, Nadine, das war super. Es macht Spaß mit euch allen und danach geht es mir viel besser.

Vorspann Teil 3: Anreise
Den Hasen treffe ich wie verabredet in der U-Bahn. Eigentlich geht der HM schon dort los, ich mag dieses erkennende Grinsen der zahlreichen Kleiderbeutelträger. Ab Alexanderplatz sind dann Massen von Läuferinnen und Läufern unterwegs, alle scheinen mir gut gelaunt, sogar das Anstehen am Dixie-Klo ist vergnüglich. Im Startblock E erfahren wir, dass in zwei Etappen gestartet wird, zuerst A-D, dann E. Das gäbe mir Gelegenheit nochmal schnell… Soll ich? Ich war doch eben erst. Aber jetzt sind die Dixies praktisch schlangenfrei. Also los, bevor es losgeht. Nachdem uns schon hier die Sonne auf die Köpfe knallt, finde ich es ja fast unhöflich, dass der Moderator dauernd von dem tollen Wetter schwärmt. Dann geht es tatsächlich los, Block E rückt an die Startlinie vor, es wird noch einmal runtergezählt…

Uuuuuund: Action!
Der Hase hat die Oberhoheit über die Zeit, ich vertraue ihm da voll und ganz und linse kaum mal verschämt auf die eigene Garmine. Ziel ist ungefähr 1:58 (also auf jeden Fall unter 2:00), das auch noch mit negativem Split, da ist der Hase ganz wissenschaftlich. Es läuft gut, die Stadt ist schön, Publikum ist auch da. Vor der Siegessäule steht unser Supporter, jubelt und macht Fotos. Später denke ich mir, wir sollten ihm nächstes Mal noch Getränke mitgeben. Aber zujubeln ist auch toll. Es ist einigermaßen weit bis zum ersten Wasserstand. Ab da schütte ich immer einen Becher Wasser über mich und einen rein. Wobei das mit dem Trinken im Laufen noch Verbesserungspotential hat. Ich bin verblüfft, wie schnell die erste Hälfte vorbei ist, dann ist da auch schon der Kudamm. Ich kündige dem Hasen an, dass ich gerade mal nicht beschleunigen möchte, der ist ganz verständnisvoll und meint, wir liegen gut in der Zeit. Seine Familie steht am Kudamm-Karree, alle jubeln, bis auf Töchterchen, die verschläft Papas Auftritt leider.

An der Urania steht der Supporter auf der falschen Seite, jubelt aber auch wieder vorbildlich. Am Potsdamer Platz sehe ich den ersten schockgelagerten Läufer auf dem Mittelstreifen, dem gerade 1. Hilfe geleistet wird. Es wird nicht der letzte sein, den wir sehen. Vor uns läuft eine Sebamed-Flasche. Boah, was sie dem wohl zahlen, dass er das Ding mit sich rumschleppt? Dann eine ganz große Überraschung: Der Schalk! Eigentlich lauert er strider auf; als wir ankommen ist er sicher, sie verpasst zu haben. Dann begleitet er eben uns das letzte Stück (das geht bei dem so: Zieleinlauf, Chip in den Kleiderbeutel und gegen den Strom zurück, dann die letzten drei Kilometer nochmal). Bekloppt! Und sooo klasse – da er sich auskennt, glaube ich ihm, dass es nicht mehr weit ist. Mit zwei Pacemakern fühle ich mich sehr privilegiert. Bei km 19 verkündet der Hase, wir befänden uns im Landeanflug, das Rauchen und Quatschen sei jetzt mal einzustellen. Die beiden ziehen das Tempo an, der Hase versichert dem Schalk, das würde ich schon aushalten, und da ich nicht protestiere, glaubt der es auch. Die Geschwindigkeit ist genial, ich schnaufe, habe aber nie das Gefühl, es nicht schaffen zu können. Die letzte Kurve, das Ziel ist in Sicht, die letzten Meter… geschafft!!! Das Hase-und-Igel-Team hat sein Ziel erreicht, 1:58:14. Hurra! Danke Hase, Danke Schalk!

Abspann Teil 1: Nackte Frauen, doofe Kellner
Kurz hinter dem Wasserstand (WASSER!!!) treffen wir strider, die fast gleichzeitig angekommen sein muss. Es gibt Bananenstücke und den Erdingerstand. Ein besonderes Erlebnis sind die Duschzelte. Ich war noch nie in einem, weil ich ja hier wohne und nach den bisherigen Läufen einfach nach Hause gefahren bin. Aber wir sind ja noch im Brauhaus verabredet, also gehe ich mit strider (viel erfahrener und besser ausgerüstet: Badelatschen!!!) ins Duschzelt. Es ist voll, wird aber gleich noch viiieeel voller werden. Wir sind glücklicherweise genau in dem Moment da, als die Schlangenbildung vor der Duschhälfte erst einsetzt – hinter uns eine lange Reihe nackter Frauen in allen Formaten und Altersklassen. Das sieht sehr nett aus. Von oben plätschert angenehm warmes Wasser, aber so dünn, dass ich froh bin, kein Shampoo dabei zu haben, das man mit dem Strahl sowieso nicht richtig rausgewaschen bekäme.

Schalks 1a-Logistik führt uns wieder zusammen und auf den Weg ins Brauhaus (unterwegs sammeln wir noch renbueh und inumi ein), wo schon ein großer Tisch mit Jogmappern besetzt ist. Leider verhindert der Kellner ein etwas geselligeres Arrangement der Tische. Er möchte einfach nicht, dass wir Möbel rücken, auch wenn wir sie nicht in seine Einflugschneise stellen würden. Dann halt nicht. Jetzt ist es dringend nötig, was zu trinken und zu essen und eine erste Nachbereitung auszutauschen. Den meisten war es sehr zu heiß, so dass die Erwartungen nicht so ganz oder auch gar nicht erfüllt wurden. Ich bin etwas gehemmt, weil ich das superbreite Grinsen nicht aus dem Gesicht bekomme. Leute: das war nicht mangelndes Mitfühlen, ich konnte es in dem Moment halt nicht so zeigen.

Abspann Teil 2: Völlig verpeilt – oder: aktive Regeneration
Noch im Brauhaus zuckt von schräg hinten ein Gedanke ins hitzegeschädigte Gehirn: Morgen ist Montag. Na und? Morgen muss ich nicht ins Büro, sondern zum Kunden. Waaaah!!! Ich habe am Freitag vor lauter HM-Fieber das Notebook im Büro gelassen. Heißt: ich werde mich zu Hause nicht gleich aufs Sofa werfen, sondern erstmal aufs Rad schwingen und die Ausrüstung holen gehen. Zum Glück ist es nicht weit, aber den Weg hätte ich lieber gespart. Egal, zur Belohnung kehre ich auf dem Rückweg noch in die Eisdiele ein und bestelle mir ein großes Eis mit viel Sahne.