Barbara und Halward sind wunderbar. Sie haben ein Herz für ihre laufende Besucherin und schlagen vor, nach dem Frühstück in den Entoto Natural Park zu fahren, damit sie mit dem Kleinen und den beiden Hunden spazieren und ich laufen gehen können. Es ist Sonntag, der Verkehr nicht allzu schlimm, es ist wie Kino, durch die erste afrikanische Stadt meines Lebens zu fahren. Noch irgendwie nicht ganz real. Und aufregend!
Von der Straße in die Berge gibt es Aussicht auf die Stadt. Halward parkt den Wagen und grummelt ein bisschen was von Schutzgelderpressung, denn er muss den kleinen Jungs Geld geben, damit sie aufs Auto aufpassen, wobei es außer ihnen selbst niemanden gibt, vor denen es beschützt werden müsste.
Ich trabe los. Wir sind auf 2600m Höhe. Dass ich das nicht gewohnt bin, merke ich schon daran, dass ich seit der Ankunft gestern Abend leichte Kopfschmerzen habe. Den Pulsgurt habe ich nicht dabei, aber das Herz klopft bis in die Ohren. Höhentraining nennt man das wohl. Ich soll einfach dem Weg folgen, und wenn ich genug habe, zurück kommen. Nach wenigen hundert Metern teilt sich der Weg. Links geht es weiter im Halbschatten des Eukalyptuswalds, rechts in weitem Bogen über eine große Wiese ins Tal. Ein paar Leute kommen entgegen, ich will nach dem Weg fragen. Englisch? Eher rudimentär. Der Mann fragt mich „Sport?“ „Yes, but which way is nice?“ Er hebt den Daumen „Good!“ Ich versuche zu erklären, dass dort hinten meine Freunde sind, und er ihnen bitte sagen soll, dass ich den linken Weg nehme. „Friends, yes, left.“ Na dann, vielleicht hätten wir doch eine Zeit ausmachen sollen.
Es hat geregnet, zwischen den duftenden Eukalyptusbäumen sprießt grünes Gras. Außerdem ist es schön da im Wald. Vielleicht war das einmal ein Fahrweg, er ist aber ziemlich vom Regen ausgewaschen, geradezu zerklüftet, hier kommt kein Fahrzeug durch. Die Erde ist wunderschön dunkelrot, dazwischen ist stellenweise der Untergrund felsig. Und wurzelig. Wie heißt das Gegenteil eines Erdrutsches? Ich meine, wenn nicht Erde auf die Straße rutscht, sondern die Straße wegrutscht, hat das einen Namen? Ein Pfad führt um die Abbruchstelle durch den Wald. Ein Mann in quietschgrünen Gummistiefeln treibt zwei Esel vor sich her. Ich schnaufe wie eine alte Lok, obwohl ich nur langsam trabe. Eine gute Viertelstunde soll reichen, dann müssen die anderen auch nicht so lange auf mich warten. Der Weg ist wellig, noch diesen Hügel hoch, dann kehre ich um. Eine ältere Frau kommt mir entgegen, sie hat ein traditionelles Kleid an und ein schön gewebtes Tuch um Kopf und Schultern geschlungen. Ich trabe an ihr vorbei, grüße freundlich, und wende wenige Meter weiter. Als ich wieder an ihr vorbei komme, lacht sie und läuft ebenfalls los, einige Meter neben mir her, dabei redet sie unaufhörlich auf mich ein. Ich verlangsame und wir gehen gemeinsam weiter – die Gehpause kann ich gut gebrauchen, und schließlich ist das meine erste Unterhaltung mit einer einheimischen Person, wenn ich die kurze von vorhin nicht mitzähle. Zumindest, wenn man nicht darauf besteht, dass bei einer Unterhaltung die Beteiligten eine gemeinsame Sprache sprechen sollten. Ich verstehe kein Wort amharisch, sie keines englisch. Das macht nichts, ich finde sie sehr sympathisch. Nach ein paar Minuten geben wir uns die Hand, sie drückt meine an ihre Wange und streicht mir mit der anderen über die Schulter. Ich sage „Bye-bye“, sie zu meiner Überraschung „Ciao“ – Hurra, ein gemeinsames Wort, begeistert rufe ich Ciao zurück und laufe wieder los. Sie ruft mir noch ein paar recht fröhlich klingende Sätze hinterher, aber soweit ist es mit meinem amharisch immer noch nicht her (B. erklärt mir später, dass das Wort Ciao tatsächlich seit der kurzen italienischen Besatzungszeit verwendet wird). Auf dem Rückweg geht es mehr abwärts als aufwärts, dennoch bin ich nach fünfeinhalb Kilometerchen ziemlich aus der Puste. Aber auch sehr zufrieden mit meinem ersten Lauferlebnis in der Fremde.