Laufen auf Reisen – Nachtrag

So, da wäre ich wieder. Der rote Koffer ging wahrscheinlich beim Umladen in Istanbul verschütt, wird mir aber hoffentlich in den nächsten Tagen nach Hause geliefert, sonst ist alles bestens. Außer meinem Koffer fehlte aber noch was, nämlich DAS Bild, das ich in meinem Wettkampfbericht aus Hawassa erwähnt hatte. Und auf mehrfachen Wunsch stelle ich es jetzt hier hin:

Haile Gebreselassie

v.r.n.l: Haile, Frau Z.

Laufen auf Reisen – Hawassa Halbmarathon

Nein, ein Start um 6:30 ist nichts für mich. Es macht mir überhaupt nichts aus, wenn um 4:45 der Wecker klingelt, aber Frühstück bringe ich um die Zeit nicht wirklich runter. Ich habe mir ein paar kleine Hefebrötchen von gestern aufgehoben, H. hat mir extra noch die Marmelade aus dem Auto gebracht, aber ich habe so gar keinen Appetit. Im Gepäck steckt noch ein Kohlenhydratriegel, den zwinge ich mir rein, dazu noch eine kleine Banane und ein paar Schlucke Wasser. Brrrr. (Note to self: Nächstes Mal egal! Vor dem Wettkampf wird gefrühstückt, mit oder ohne Appetit). In die Laufhose passen mit ein wenig Quetschen zwei Gels, mal sehen, wie weit ich damit komme, B. hat auch noch eins, das sie mir unterwegs reichen kann.

Es ist noch dunkel, als ich aus dem Hotel trete. Der Parkplatzwächter fragt, ob ich laufen werde, ja genau, deshalb habe ich eine Startnummer ans Shirt gepinnt. Das findet er very good. Es sind schon einige Leute unterwegs zur St.-Gabriels-Kathedrale, wo Start und Ziel aufgebaut sind. 

An zwei Tischen sitzen Helfer, die Papierchips für die Schuhe ausgeben und die Empfänger auf der Liste abhaken. Die mit Startnummern für den EveryOne-Lauf sind fast alles Ferenjis – so nennen sie hier Ausländer, das ist eine Verballhornung von „Foreigner“. Die meisten sind Amerikaner, fast alle sind Residents, also Leute, die in Äthiopien leben und arbeiten. Aber da ist ein Shirt von der Berliner City Nacht 2011. Der Träger gehört zu einer Reisegruppe, die mit einem Laufreiseveranstalter hier sind. Sie sind am Donnerstag angekommen, hatten gestern ein Treffen mit Haile Gebrselassie, der alle ihre Startnummern signiert hat (boah, darauf bin ich ja ein bisschen neidisch!), nach dem Lauf geht es zurück nach Addis, und am Dienstag nach Hause (ok, ich bin doch nicht neidisch). Heike hat ein Foto von zwei Babies auf dem Shirt, auf dem Rücken steht „Schnellste Zwillingsoma der Welt“. Das kann gut sein, neulich in Berlin ist sie knapp 1:50 gelaufen.

Insgesamt sind wir 250 Läuferinnen und Läufer. Wir werden aufgefordert, uns in den Startblock zu begeben. Auf einer kleinen Trittleiter steht ein Mann mit einer Luftdrucktröte. Er drückt auf den Knopf, aber es macht kein Geräusch. Er drückt nochmal, schüttelt, drückt… Nichts. Da pfeift er laut auf den Fingern und ruft „Go, go, go!“ das ist das Startsignal. Alle rennen wie die Irren den einzigen Hügel der Strecke hinunter, ich renne mit, Garmine sagt, 4:28, da rufe ich mich zur Ordnung und bremse mich an der ersten Ecke, wo es wieder eben wird, auf 5:30. Mal sehen, wie sich das anfühlt. Erstmal nicht schlecht. Ich habe den Eindruck, dass ich tue, was ich immer mache: irgendwo im Mittelfeld mitlaufen.

Wir laufen auf einem Dreirundenkurs. Auf der ersten Runde ist noch nicht viel los. Ungefähr bei KM 3 gibt es eine Wasserstation, wo nette Helfer uns Plastikbeutel mit Wasser reichen. Die sind prima, man kann mit den Zähnen ein kleines Loch reinreißen und bequem im Laufen trinken. Wir verlassen die Straße und laufen einen schmalen, etwas schlammigen Trampelpfad zum Seeufer. 

Dort biegen wir in den Uferweg ein. Da steht ein Schild KM 4. Ich bin empört. Garmine zeigt erst 3,2 km. Mir war gleich so, als wären wir zu früh abgebogen, denn sollte die erste Runde am Wasserstand nicht noch nach rechts führen? Wir sind geradeaus gelaufen. So was blödes. Ich frage mich, ob die Sreckenposten verschlafen haben und finde es einen Moment lang einfach nur doof. Aber zum Dooffinden ist keine Zeit, denn die Berge am gegenüberliegenden Ufer bekommen gerade die ersten Sonnenstrahlen ab. Das sieht einfach wunderschön aus. Vorne zartgrünes Schilf, glitzerndes Wasser und eine sonnenbeschienene Bergkette. 

An der Anlegestelle für die Boote, die zu den Hippos fahren, geht’s zurück auf die Straße. Ich laufe neben einem Ferenji, der sagt, „There are my wife and kids“. Stimmt, da stehen sie und jubeln Daddy zu. Ich stelle mich vor, er sagt, er heiße Dan, aber mehr mag er nicht plaudern. Ist ja auch schwer, er hat Stöpsel in den Ohren. An der nächsten Kurve überhole ich ihn ein bisschen, weil ich finde, dass er keine unterhaltsame Gesellschaft ist, aber das lässt er nicht auf sich sitzen, er überholt zurück und wird schneller, so dass ich nicht dranbleiben kann. Es geht an unserem Hotel und der Winners‘ Chapel – Home of Signs and Wonders vorbei, meine Supporter sind noch nicht zu sehen. Aber wir sind ja auch erst auf der zweiten Runde verabredet.

Die erste Runde ist geschafft, eine Frau hält ein Schild hoch „Laps to go: 2“ noch läuft es ganz gleichmäßig mit ungefähr 5:30er Pace. Aber jetzt bekomme ich Hunger. Das ist richtig blöd. Auf der Strecke ist jetzt etwas mehr los, es sind Leute da, die uns so mittelenthusiastisch anfeuern. Jetzt laufe ich hinter einem indisch aussehenden Mann, der sich irgendwann zu mir umdreht und sich beschwert „You’re getting all the claps!“ Stimmt, mir jubeln die Leute etwas mehr zu als ihm, ich höre auch einige „Aisosh“, über die ich mich immer besonders freue. Schon viel zu früh vor dem Wasserstand fummele ich das erste Gel aus der Hose, reiße es auf und quetsche es mir in den Mund. Buhäää, ist das fies. Wo bleibt denn der Wasserstand? Da ist er endlich, ein Helfere reicht mir ein Tütchen, ich reiße es auf, trinke die Hälfte und schütte mir den Rest den Nacken hinab, denn es wird schon ziemlich warm.

Wieder geht’s über den Trampelpfad auf den Lehmweg am Ufer. Hier überhole ich die ersten Gehenden. Aber ich habe keinen Anlass zu Übermut, mein Magen versucht gerade aus Gel kleine Klümpchen zu formen, das fühlt sich gar nicht gut an. Die Sonne scheint, es wird wärmer. Zurück auf der Straße, als ich mich dem Kreisel nähere, sind da plötzlich zwei Fahrräder, die einen Läufer begleiten. Ist der Elitelauf schon gestartet? Der Streckenveraluf ist anders als bei uns, aber das kann nicht sein, es ist noch nicht 8:00 Uhr. Das ist dann wohl einer der Schnellen, der sich einläuft. Ich werde kurz langsamer, um ihm nachzuschauen, wie er um den Kreisel fliegt und Richtung Kathedrale verschwindet. Die EveryOnes müssen erst noch nach Süden. Durch diese kurze Verzögerung hat mein indischer Hase einen gewissen Vorsprung erlaufen, den ich auch nicht mehr aufholen kann. Im Gegenteil, ich lasse nach. Dennoch überhole ich einen jungen Koreaner (auf seinem Shirt steht KOREA), den ich gestern schon im Hotel gesehen habe. Viele Kinder stehen jetzt an der Strecke, ich frage mich, was sie hier machen, wenn sie doch gleich da hinten den Eliteläufern zujubeln könnten. Trotzdem bin ich natürlich froh, dass sie da sind, denn sie lenken vom Magen ab. So viele Kinderhände habe ich noch nie abgeklatscht. Nebenbei überhole ich mal wieder eine Läuferin, das Feld ist ziemlich auseinandergezogen, aber wir sind ja auch nicht so viele. Es geht wieder Richtung Norden, am Hotel vorbei. Hier hängt ein KM-Schild 15. Oh, laut Garmine stimmt das wieder. Vielleicht hing ja nur das eine Schild vorhin falsch? Vorne an der Hauptstraße stehen meine SupporterInnen. B. drückt mir das Geltütchen in die Hand, ich frage noch nach einem Schluck Wasser. Mir doch egal, wenn es ein bisschen dauert, bis die Flasche aus dem Rucksack gefummelt ist. Ich nehme ein paar Schluck und laufe weiter. Das Gel ist noch zu, das kann ich also erst an der Wasserstation nehmen. 

Da ist die Frau mit dem Schild „Laps to go: 1″. Es sind nur noch knapp 7 km, das kann doch nicht so schwer sein? Es ist aber inzwischen richtig heiß, ich bilde mir ein zu spüren, wie die Sonnencreme versagt und die Arme und Kniekehlen richtig heiß werden. Und das, was sich da ankündigt, kenne ich auch: Seitenstiche, so ein Schrott. Ich versuche, richtig zu atmen, aber es hilft nichts, sie kommen, es sticht. Aua. Es sticht sehr. Ok, das passt mit der Erfahrung aus der vorigen Woche zusammen: Hunger. Nüchtern laufen ist echt nichts für mich. Ich laufe zwar noch, aber inzwischen nur noch eine Pace von 6:20. Ich fluche innerlich ein bisschen vor mich hin, am liebsten würde ich gehen, aber das geht nicht, hier ist Publikum. Auf der letzten Runde laufen wir auf der Strecke des Elitelaufs, daher sind jetzt wesentlich mehr Leute unterwegs. 

Da, von hinten kommen zwei Motorräder, die Elite ist im Anflug. Ich bleibe einen Moment stehen, um sie vorbeifliegen zu sehen und applaudiere. Der Männerblock läuft noch dicht beieinander. Schon sind sie durch, und der Applaus, der für uns Schnecken bleibt, ist doch deutlich verhaltener. Vor der Wasserstation drücke ich mir beide verbliebenen Geltütchen nacheinander rein, spüle mit Wasser nach und hoffe, dass es hilft. Nur noch fünf Kilometer, wir dürfen jetzt auch gleich Straße laufen und sparen uns auf der letzten Runde den Uferweg. Ich bin ziemlich alle. Jetzt fliegen die schnellen Frauen an mir vorbei, erst fünf Läuferinnen, darunter eine ganz große, dann drei eher kleine im Gleichschritt. Das sieht so schön aus! So langsam helfen meine Kohlenhydrate, mir ist zwar noch ein bisschen schlecht, aber ich habe etwas mehr Energie. 

Schon bin ich zum letzten Mal am Kreisel, jetzt kommt die einzige Steigung der Strecke. Auch irgendwie gemein, dass es auf dem letzten halben Kilometer bergauf geht. Jetzt reicht es zwar nicht mehr unter zwei Stunden, ich laufe trotzdem so schnell ich noch kann. Das ist aber eher langsam. Kurz vor dem Ziel werde ich noch einmal angefeuert. Nach 2:05:39 stoppe ich die Uhr. Im Ziel gibt es Wasser und Cola und einen Beutel mit einem Finishershirt und einer Medaille. Die schnellste Zwillingsoma der Welt versichert mir, auch noch nicht lange da zu sein, aber das ist ein bisschen tief gestapelt. Ein gehörloser Italiener, der schon mal in Berlin gelaufen ist, schlägt mir einen Shirt-Tausch vor, aber ich kann mich vom ersten HM-Finisher-Shirt meines Lebens unmöglich trennen – mal ganz abgesehen, dass ich hier sowieso das Shirt nicht ausgezogen hätte.

H. ruft mich von jenseits der Absperrung, die Ordner wollen mich ganz außen rum schicken. Eigentlich will ich mich schon auf den Weg machen, aber H. lässt nicht locker, so dass ich die Ordner ignoriere und mich unter einer Absperrung durchschlängele. Erst da verstehe ich, warum er so stur ist: direkt am Zieleinlauf unter einem Zeltdach sitzt Haile, und H. findet, er müsse mir unbedingt ein Foto mit ihm zusammen verschaffen. Über die Absperrung spricht er ihn an und schubst mich nach vorne. Ich bin ganz verlegen, sage, dass ich aus Berlin komme und alle Leute in Berlin große Fans seien. Für die, die wissen, wer er ist, stimmt das bestimmt. Haile ist total freundlich, bedankt sich, schüttelt mir die Hand und dotzt auch wieder in äthiopischem Kumpelgruß unsere rechten Schultern aneinander. Dann posiert er noch für ein Foto und ich freu mich.

Danach ist noch der Zieleinlauf der schnellen Männer, dann der schnellen Frauen, mein Sonnenbrand bratzelt, es geht ins Hotel zum Duschen, auschecken und danach zum Post-Race-Lunch ins Haile-Resort. Für die EveryOnes sind unter einem riesigen Baum viele runde Tische gedeckt – das Ticket in den Startunterlagen war eine echte Überraschung. Haile eröffnet das Buffet, ich sitze mit dem Koreaner, den ich überholt habe, und seiner Freundin am Tisch, und es ist richtig schön. Das ist wohl die spektakulärste Nachlauf“wurst“, die mir je serviert wurde.

Laufen auf Reisen – Hibbeln

Der Priester der nahegelegenen Kirche weckt mich schon um halb sechs mit lautem „Aaaäää-öööö“ (das haben wir alles dem Heiligen Yared zu verdanken, der sich von den Vögeln das Singen abgeguckt hat), aber ich wollte ja sowieso mein letztes lockeres Läufchen vor Tag X machen.

Hawassa oder Awassa, da sind sie sich hier nicht so ganz einig, hat breite, zum Teil palmenbestandene Straßen, breite Gehwege für Fußgänger (die leider manchmal an tiefen, normalerweise mit Betonplatten abgedeckten Abwassergräben abrupt enden, blind möchte ich hier nicht sein) und an der Hauptstraße sogar Fahrrad- oder eher Tuktukspuren. Die Nebenstraße, an der unser Hotel liegt, ist nicht asphaltiert.

Es ist kurz nach sechs. So viele Läufer und andere Frühsportler wie in Hawassa habe ich noch nirgendwo sonst hier gesehen. Und die hier spotten auch nicht, wenn sie mich sehen, von den meisten bekomme ich ein Daumen hoch, viele grüßen. Eigentlich hatte ich damit gerechnet auch einige Blassnasen zu sehen, die morgen mitlaufen, es sind aber keine unterwegs.

Auf den Bäumen sitzen unglaublich viele, unglaublich hässliche, große Marabus. Da, wo die Straße am See als Sackgasse endet, und jetzt noch keine Autos fahren, staksen sie auch auf der Straße herum. Sie lassen sich von den dort besonders zahlreich vorhandenen Frühsportlern überhaupt nicht stören. Meine Güte sind die aus der Nähe hässlich.

Ich kehre um und laufe die Straße parallel zum See. Die Beinchen wissen noch, was zu tun ist, aber es ist nach den Tagen in den Bergen sehr schwül und drückend. Leider ist der tolle Effekt, dass ich jetzt von über 3000 auf 1700 m abgestiegen bin, überhaupt icht zu merken. Egal, der Lauf morgen soll ja in erster Linie Spaß machen.

Frauen fegen die Straße. Als ich an einer vorbeilaufe, sagt sie „Aisosh“ – hey, das verstehe ich, das haben die netten, amharisch sprechenden israelischen Volunteers mir beigebracht. Es wird mit „be strong“ übersetzt und ist vielseitig einsetzbar: als Aufmunterung, zum Trösten, zur Ermutigung, zum Anfeuern. Ich freu mich riesig über diese Motivationshilfe, und vor allem, dass ich dieses Lieblingswort meiner Reisebekannten im Einsatz erlebt habe. Zu Männern muss man übrigens „Aisoh“ sagen.

Noch bis zu diesem großen Baum da vorne, das muss für heute reichen. Auf dem Baum streiten sich kleine Äffchen. Ich schaue kurz zu und drehe dann um. Ein entgegenkommender Läufer winkt mir zu und ruft „We’ll meet tomorrow“ – „Yes, we will“ antworte ich und bekomme sofort einen Hibbelschub.

Vor dem Hotel angekommen höre ich laute Partymusik. Um diese Zeit? Der Parkplatzwächter sagt „Church“ und tatsächlich, gegenüber hängt ein großes Schild über einer Toreinfahrt „Chapel of Winners – Home of Signs and Wonders“. Da drinnen singen und klatschen sie zu einem in meinen Ohren wenig sakralen Disco-Beat. Vielleicht sollte ich bei denen ein Kerzchen anzünden, damit das morgen gut geht. Aber dann gehe ich doch lieber noch eine besonders gründliche Runde dehnen.

Inzwischen haben wir im Haile Resort meine Startunterlagen abgeholt. Es wird ein Drei-Runden-Lauf, der an der St. Gabrielskathedrale beginnt und endet. Das ist hier ganz in der Nähe, so dass ich morgen früh vom Hotel aus hinlaufen kann. Ich habe es mir vorsichtshalber schon mal angesehen, da wurde gerade der Zielbogen vor dem Aufstellen von einem kleinen Jungen mit dem Lappen abgestaubt. Gleich gibt es Rahmenprogramm an der Uferpromenade, da soll Musik spielen. Morgen früh um 6:30 fällt der Startschuss. Ihr lest dann wieder von mir…

Laufen auf Reisen – Antilopen und Warzenschweine

Nein, die Reise ist noch nicht zu Ende. Ich bin nach Addis zu meinen Freunden zurück geflogen, damit wir gemeinsam weiter reisen können. Dieses Mal haben wir den Landrover vollgepackt und sind am Dienstag nach Süden aufgebrochen. Ziel ist der Bale National Park, wo wir im Harenna Forest zelten wollen.

Die erste Nacht dürfen wir im Haus des Projektmanagers der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt übernachten. Das ist ein Ire, der gerade auf Dienstreise in Kenia ist. Er hatte am Sonntag mit Frau und Töchterchen zusammen den Schlüssel vorbei gebracht. Das Haus ist rustikal mit rohem Holz auf einem Steinsockel gebaut, außerhalb des niedrigen Gartenzauns sehen wir gleich bei der Ankunft eine Herde Warzenschweine.

Kurz nach halb sechs laufe ich los. Eine Stunde habe ich noch vor Sonnenuntergang. Hier im Park gibt es keine Tiere, die Läuferinnen fressen, auch die Wölfe nicht. Die sollen ziemlich klein und scheu sein, außerdem gar nicht hier, sondern auf dem Hochplateau leben, über das wir erst morgen fahren. Hoffentlich sehen wir dann welche. Erstmal den sehr holprigen Weg zurück, dann folge ich einem Wegweiser zur Lodge. Da sitzen ein paar Einheimische rum, die ich frage, wo ich mal langlaufen soll. Sie deuten bergauf. Ich folge einem Wegweiser zur Camp Site. Es geht steil bergauf, ich bin total langsam und schnaufe mal wieder. Dennoch fühlt es sich um Längen besser an als vor einer Woche noch, obwohl wir hier über 3000 m hoch sind. Vor mir steht plötzlich eine kleine Antilope, sie hat niedliche nach außen gebogene Hörnchen. Das muss ein Bock sein, denn er ist in unbehörnter Begleitung von zwei weiteren Tieren, die ich daher für Weibchen halte (inzwischen erfahren: es sind Bush Bucks). Sie sind so nah! Höchstens fünf Meter, das ist nicht mehr als die Länge eines Paddelboots. Ich bewege mich langsam, aber die haben anscheinend gar keine Angst. Erst als ich vorbei bin, trabe ich wieder an. Herr Steffny sieht für heute die letzten Intervalle vor, aber das ist hier wirklich nicht zu machen. Vielleicht hilft Höhentraining ja auch.

Von dem freien Platz, wo man zelten kann – es sind aber keine Zelte da – ist die Aussicht unbeschreiblich schön. Sorry, da fehlen mir die Worte, Abendlicht über einer Wahnsinnsberglandschaft, dieses Mal vermisse ich die Kamera sehr.

Der Fahrweg hört schon wieder auf, aber ein Fußpfad führt zwischen stacheligen Büschen hindurch. Dei Blätter sind gewellt, ähnlich wie bei Eichen, sie sind extrem stachelig und haben tomatenförmige gelbe Früchte. Da alle noch dran hängen, obwohl sie eigentlich reif aussehen, vermute ich, dass man nichts sinnvolles mit ihnen anfangen kann. Ich muss ziemlich aufpassen mir nicht die Beine zu zerkratzen oder die Hose zu zerreißen. Unter riesigen Bäumen endet der Pfad und ich laufe zurück. Zwischen den Büschen bricht eine Rotte Warzenschweine hervor. Einige haben furchterregende Hauer. Nein, das war gelogen, sie haben zwar beachtliche Hauer, aber irgendwie sind sie einfach nur niedlich. Niedriger, aber etwas länger als unsere Wildschweine, jedenfalls fürchte ich mich kein bisschen, sondern bin nur begeistert.

Ein Stück weiter unten steht eine andere Antilope, viel größer, vielleicht so hoch wie ein kleines Pferd? Die Hörner sind viel länger als bei dem einen Böckchen vorhin, ragen steil nach oben und sind etwas nach außen gedreht. Zwischen den Augen verläuft eine weiße Linie, so dass es aussieht, als würde das Tier eine Brille tragen. Eine sehr intellektuell dreinblickende Antilope, die gemächlich zwischen den Bäumen verschwindet, als sie mich sieht. Inzwischen werde ich schon kaum noch langsamer, wenn ich Tiere sehe, es sind einfach so viele! Aber ich freu mich wie ein kleines Kind über jedes einzelne.

Ein Wegweiser zeigt zum Web Valley, der Weg endet an einen Eisentor, durch das gerade zwei Mädchen mit Reisigbündeln auf dem Rücken durchgehen. Ich gehe mit durch, sie lachen sich schlapp über mich. Vielleicht weil, wie Teddy gesagt hat, so viele Spitzenläufer hier aus der Nähe kommen? Es geht auf einem weichen, mit schönem, grünem Rasen bewachsenen Weg leider steil abwärts. Ich laufe durch eine Schaf- und Ziegenherde, die mir das wesentlich übler nimmt als die Warzenschweine und Antilopen eben. An einem Flussbett angelangt, stelle ich fest, dass die Sonne bereits hinter den Bergen verschwindet. Wer weiß, wie lange es noch hell bleibt, also mache ich mich auf den steilen Rückweg. Ein kleiner Junge mit einer Gerte in der Hand läuft mit mir um die Wette. Plötzlich sind da drei Hunde, die uns leider gar nicht ignorieren, sondern böse die Zähne fletschen. Der Junge schreit was und schwingt seine Gerte, die Hunde weichen zurück. Sicherheitshalber hebe ich auch einen dünnen Stecken auf, aber sie folgen uns nicht. Wir laufen wieder bergauf, er immer neben mir her. Er könnte viel schneller sein, das ist deutlich zu sehen. Die Mädchen mit den Reisigbündeln sind immer noch da und kichern wieder. Außerhalb des Tors zum Park bleiben die drei zurück. Jetzt geht der Weg nur noch bergauf. Das ist immer noch anstrengend. Sehr. Am Parkplatz von H.s Landrover stoppe ich die Uhr und gehe die Stufen zum Haus hinauf. Die Sonne ist weg, die Dämmerung setzt ein, und die ist hier sehr kurz. Vielleicht schaffe ich es ja morgen früh noch einmal loszuziehen…

Laufen auf Reisen – im Dunkeln ist es öd

Der Flieger zurück nach Addis geht um neun, d. h., der Flughafenshuttle um sieben, und wenn ich vorher laufen will, muss es wohl so früh wie gestern sein. Immerhin weiß ich schon, dass ich es nicht zum Fürchten finde, im Dunkeln zu laufen. Diesmal ohne Verabredung. Ich wecke wieder den Torwächter und laufe los. Im Dunkeln ist es ziemlich langweilig. Ich muss auf der Hauptstraße bleiben, es ist ziemlich leer, bzw. einfach öd, Fußgänger zu überholen, die nichts anderes tun als zu Fuß zu gehen, oder von Tuktuks überholt zu werden, die einfach nur tuckern. Ich sehe wenige Läufer, zwei recht flott, einer eher gemächlich, heute leider keinen, der schwebt. Trotzdem ist es langweilig. Am Ortsende, wo die Straßenlaternen aufhören, kehre ich um, laufe zurück, am Hotel vorbei, bis auf der anderen Seite zwar nicht die Laternen aufhören, es mir aber zu einsam wird. Wieder zurück in die erste Richtung. Es ist immer noch dunkel und immer noch langweilig. Ich bin ein bisschen genervt, dass die paar Fahrzeuge so furchtbar stinken.

Kurz vor Schluss gibt es noch in kleines Highlight. Vor mir laufen zwei Jungs in Trainingsanzügen sehr gemütlich. Ein Dritter begleitet sie auf dem Rad und sie plaudern die ganze Zeit. Ich wundere mich ein bisschen, dass sie so langsam sind, denn sie laufen einfach schön. Dennoch komme ich ganz allmählich näher. An der Kirche passiert es einfach so: sie müssen stehenbleiben, um sich zu bekreuzigen, ich ziehe vorbei. Aber wupp, sind sie wieder da und der eine erzählt mir einen vom Pferd: dass sein Kumpel der schnellste 5000-Meter-Läufer von Äthiopien sei, er der beste Halbmarathonläufer. Außerdem würden sie nach London fahren zu Olympia. Sein Name sei Tiger. Ehrlich gesagt, habe ich nach der Erfahrung von gestern und einigen anderen Begegnungen in Bahir Dar, die eher touristischer Natur waren, kein Wort geglaubt, aber achtet mal darauf: falls ihr von einem Spitzenläufer mit Spitznamen Tiger hört, mit dem bin ich ein Stück gelaufen. Und vor dem Hotel habe ich die kumpelhafte Variante der äthiopischen Verabschiedung bekommen, dabei reicht man sich die rechte Hand, zieht das Gegenüber zu sich heran, und stößt auch noch leicht mit der rechten Schulter aneinander. Aber auch wenn ich mir darauf nicht später mal was einbilden kann, war diese Begegnung zumindest spaßig.