Laufen auf Reisen – Verabredung um fünf

Gestern Abend habe ich im Bahir Dar Hotel im schönen Innenhof gesessen und zu Abend gegessen, denn die Küche des Ghion- Hotel, wo ich abgestiegen bin, hat eher zweifelhaften Ruf. Ich war schon fertig, als sich ein junger Mann zu mir setzte und mich fragte, wie es mir gefällt. Er sei Ashenawi, außerdem der Cousin des Managers und sie befragten gerne die Gäste. Wir unterhielten uns eine Weile, er erzählte, er sei ein Sports Addict und ginge jeden Tag zum Workout im Gym. Das fand ich mehr als glaubwürdig, denn unterm figurbetonten T-Shirt hatte er einen sehr definierten Oberkörper und ebensolche Arme. Ich erwähnte, dass ich lieber laufe, und fragte, ob er mir nicht für morgen früh eine Laufstrecke empfehlen könne. Darauf hin sagte er, er laufe jeden Tag um fünf Uhr morgens und ginge anschließend zum Workout, und er lade mich ein, einfach mitzukommen. Ich gab zu Bedenken, dass ich langsam laufe, aber das sei kein Problem, er würde sich nach mir richten. Wie lange wolle ich laufen? Naja, eine Stunde mindestens. Alles bestens, dann laufen wir Richtung Flughafen, da ist es nicht busy. Wir plaudern noch eine Weile, dann begleitet er mich zu meinem Hotel zurück.

Ein bisschen frage ich mich schon, ob es sicherheitstechnisch opportun ist, mit einem wildfremden jungen Mann im Finstern rumzurennen, aber andererseits ist er total bekannt hier, er wurde auf dem Weg ständig gegrüßt, und zur Sicherheit klopfe ich nochmal kurz bei den Nachbarinnen, drei jungen Israelinnen, damit die einen Suchtrupp losschicken können, falls ich nicht wieder auftauche.

Um Punkt fünf stehe ich innen vor dem verschlossenen Tor. Der Wächter steht aus seinem Liegestuhl auf und lässt mich hinaus. Gut, da sieht der auch gleich, mit wem ich unterwegs bin. Ich warte vor dem Tor, zwei Läufer kommen vorbei. Ich glaube, ich bin einfach immer zu spät gelaufen und habe deshalb nie andere Leute laufen gesehen. Ashenawi erscheint ein paar Minuten später, in beigen Shorts, weißem Poloshirt und Laufschuhen. Wir begrüßen uns und gehen los Richtung Flughafen.

Öh, wieso gehen wir? Weil wir erst einmal ein Stück mit dem Bus fahren und die Haltestelle ist da hinten. Aber da können wir ja auch hinlaufen. Ok, wir traben an. Ich plappere ihm die Hucke voll, frage, was und wie er so trainiert, er ist ziemlich einsilbig. Nach relativ kurzer Zeit fängt er ziemlich an zu schnaufen. Er erklärt mir, dass es sehr ungewohnt für ihn ist, so langsam zu laufen, aber er stellt sich gerne auf mich ein.

Nach nicht mal einem Kilometer wechselt er die Strasenseite. Was jetzt? Wir laufen zurück. Komisch, wieso ist die Bushaltestelle jetzt auf der anderen Seite? Ich frage aber nicht, denn mir kommt schon der Verdacht, dass die Unternehmung anders verläuft als er sich das vorgestellt hat. Das sieht nach Planänderung aus. Er fordert mich auf zu gehen, denn hier ist ein Büro des Präsidenten von Äthiopien, da ist es nicht erlaubt, vorbeizulaufen. Gut, Gehpause. Nach hundert Metern dürfen wir wieder traben. Mein Begleiter schnauft und schwitzt. Ehrlich gesagt, glaube ich ihm das Präsidentenbüro nicht. Nach kurzer Zeit kommen wir wieder an einem angeblich offziellen Gelände vorbei, dieses Mal schaue ich genauer hin, kann aber weder ein Schild, noch auch nur ein halbwegs repräsentabel aussehendes Gebäude sehen. Nach zwei Kilometern sind wir wieder am Hotel, wo er mich zum Frühstück schicken will. Es ist nicht mal halb sechs. Er versichert ein weiteres Mal, dass er vollkommen anders trainiere. Ich versichere, dass ich das gut verstehen kann und bedanke mich noch einmal, dass er auf mich Rücksicht genommen hat, ich werde aber noch weiter laufen.

Es ist immer noch stockfinster. Alle Läufer, die ich bisher gesehen habe, laufen auf der Straße, es geht eben nichts über Qualitätsasphalt. Die Strecke parallel zum See ist die, auf der ich gestern aus Gondar kam. Zum Laufen ist es total langweilig. In der Nähe muss eine Kirche sein, denn ich höre wieder die Priester singen, über die sich H. in Addis immer so ärgert. Ich habe gelernt, sie singen auf Ge’ez, einer Art liturgisches Altäthiopisch. Das ist richtig laut und klingt so ähnlich wie „Waaa-äööööoooo, waaa-ääöööooo“ und soll bestimmt allen ein schlechtes Gewissen machen, die sich jetzt nicht auf den Weg zur Kirch begeben.

Irgendwann kehre ich um, es ist jetzt hell, das ist gut so, denn es gibt Leute, die zu meiner Unterhaltung beitragen: ein Mann, vermutlich in meinem Alter, der an den Füßen Sandalen, in der Hand eine Tüte mit einer kleinen Schüssel drin trägt – Frühstück? – fängt an zu laufen und überholt mich. Läuft der wegen mir? Ich laufe am rechten Fahrbahnrand, er auf der anderen Seite am Mittelstreifen. Der Abstand wird nicht größer, und er sieht sich öfter um, ob ich noch da bin. Da fängt ein zweiter an zu laufen, ein junger Mann, an dem ich eben vorbeigekommen bin. Bei dem ist es noch offensichtlicher – hihi, gleich trete ich der Machojägergruppe bei – immer kurz vor mir, dreht er sich öfter mal um, ob ich noch da bin. Das zieht sich fast einen Kilometer, bis der erste sich noch einmal  umsieht, und dann wieder geht. Der zweite stellt sich beim Umlaufen einer Fußgängergruppe ein bisschen ungeschickt an, und ich ziehe wieder vorbei. Das geht ja mal gar nicht, er beschleunigt und übernimmt wieder die Führung. Ich amüsiere mich köstlich. Da kommt plötzlich ein echter Läufer entgegen: doppelt so lange Beine wie normale Menschen, eine unglaubliche Leichtigkeit, große Schritte, aber die kommen daher, dass seine Flugphase so lang ist. Wow, der schwebt! Schon ist er vorbei, und ich beschäftige mich wieder mit meinem Begleiter. Auch der schnauft nicht schlecht, während es mir auf 1800 m viel besser geht als die letzten Tage. Tja mein Lieber, dann zeig mal, wie lange du das durchhältst. Genau bis zur nächsten Abzweigung, die nimmt er dann auch, und gibt sich sogar die Blöße noch in Sichtweite in Schritttempo zu verfallen. Nochmal: hihi!

Einem Impuls und dem Schild zum Shore Resort folge ich Richtung Tana-See. Dort beginnt das schönste Stück. Die haben einen Betonplattenweg am Ufer entlang gebaut. Ich folge ihm stadtauswärts. Wow, das Schilfzeug muss Papyrus sein, das sieht genau aus wie auf Bildern, dickes Gras mit ganz filigranen Puscheln oben. Zwischen Weg und See gibt es einen schmalen Streifen mit Gemüsebeeten, hier sind schon Leute unterwegs, die in ihren Gärtchen arbeiten. Der Weg führt an einem großen Hotelrohbau vorbei, der noch mit Eukalyptusstämmen eingerüstet ist (diese Gerüste sehen oft abenteuerlich aus!). Hier wächst noch mehr Tourismus. Einige hundert Meter später ist der Ort zu Ende, hinter einer riesigen Sykomore (danke, Strider!) geht die Sonne auf, und der Weg hört einfach auf. Ich mache ein Päuschen, um den Sonnenaufgang hinter dem tollen Baum und den Blick uber den See zu genießen. Dann geht es zurück. Am Eingang der Kirche in der Nähe der Bootsanlegestelle hat sich eine lange Schlange gebildet, fast alles Frauen. Die wollen da offensichtlich rein. Außen herum gibt es einen Holzzaun, da stehen ganz viele Männer mit weißen Tüchern um die Schultern geschlungen mit Gesicht zum Zaun, die Hände zum Beten erhoben. Ob das die Schnellversion für diejenigen ist, die nicht an der mehrere Stunden dauernden Messe teilnehmen wollen? Die Lautsprecher sind inzwischen verstummt, es sind wohl alle da.

Heute habe ich es immerhin auf rund 12 km gebracht. Es wäre auch noch weiter gegangen, aber der Tourismus ruft mal wieder – zur Bootsfahrt über den See. Bevor ich zum Frühstück gehe, schiebe ich noch wie verabredet einen Zettel bei meinen Nachbarinnen unter der Tür durch, dass alles in Ordnung ist.

P.S.: Nicht alle Äthiopier sind Lauftalente, aber es gibt ganz unglaubliche!

P.P.S.: Duschwertung (Copyright MC) – es gibt eine Art Minidurchlauferhitzer. Gestern war mir noch nicht aufgefallen, dass die Drähte, die in diesen merkwürdigen Duschkopf führen, offen liegen und nur ein wenig mit Isolierband umwickelt sind. Auch nicht, dass das Wasser am Duschkopf entlang zurück Richtung Wand fließt und nur Milimeter vom blanken Draht entfernt spratzelt. Heute ist es mir aufgefallen, und ich habe kalt geduscht.

Laufen auf Reisen – Hunde, Speerwurf und Sägen

Gestern Abend habe ich im Bahir Dar Hotel im schönen Innenhof gesessen und zu Abend gegessen, denn die Küche des Ghion- Hotel, wo ich abgestiegen bin, hat eher zweifelhaften Ruf. Ich war schon fertig, als sich ein junger Mann zu mir setzte und mich fragte, wie es mir gefällt. Er sei Ashenawi, außerdem der Cousin des Managers und sie befragten gerne die Gäste. Wir unterhielten uns eine Weile, er erzählte, er sei ein Sports Addict und ginge jeden Tag zum Workout im Gym. Das fand ich mehr als glaubwürdig, denn unterm figurbetonten T-Shirt hatte er einen sehr definierten Oberkörper und ebensolche Arme. Ich erwähnte, dass ich lieber laufe, und fragte, ob er mir nicht für morgen früh eine Laufstrecke empfehlen könne. Darauf hin sagte er, er laufe jeden Tag um fünf Uhr morgens und ginge anschließend zum Workout, und er lade mich ein, einfach mitzukommen. Ich gab zu Bedenken, dass ich langsam laufe, aber das sei kein Problem, er würde sich nach mir richten. Wie lange wolle ich laufen? Naja, eine Stunde mindestens. Alles bestens, dann laufen wir Richtung Flughafen, da ist es nicht busy. Wir plaudern noch eine Weile, dann begleitet er mich zu meinem Hotel zurück.

Ein bisschen frage ich mich schon, ob es sicherheitstechnisch opportun ist, mit einem wildfremden jungen Mann im Finstern rumzurennen, aber andererseits ist er total bekannt hier, er wurde auf dem Weg ständig gegrüßt, und zur Sicherheit klopfe ich nochmal kurz bei den Nachbarinnen, drei jungen Israelinnen, damit die einen Suchtrupp losschicken können, falls ich nicht wieder auftauche.

Um Punkt fünf stehe ich innen vor dem verschlossenen Tor. Der Wächter steht aus seinem Liegestuhl auf und lässt mich hinaus. Gut, da sieht der auch gleich, mit wem ich unterwegs bin. Ich warte vor dem Tor, zwei Läufer kommen vorbei. Ich glaube, ich bin einfach immer zu spät gelaufen und habe deshalb nie andere Leute laufen gesehen. Ashenawi erscheint ein paar Minuten später, in beigen Shorts, weißem Poloshirt und Laufschuhen. Wir begrüßen uns und gehen los Richtung Flughafen. 

Öh, wieso gehen wir? Weil wir erst einmal ein Stück mit dem Bus fahren und die Haltestelle ist da hinten. Aber da können wir ja auch hinlaufen. Ok, wir traben an. Ich plappere ihm die Hucke voll, frage, was und wie er so trainiert, er ist ziemlich einsilbig. Nach relativ kurzer Zeit fängt er ziemlich an zu schnaufen. Er erklärt mir, dass es sehr ungewohnt für ihn ist, so langsam zu laufen, aber er stellt sich gerne auf mich ein. 

Nach nicht mal einem Kilometer wechselt er die Strasenseite. Was jetzt? Wir laufen zurück. Komisch, wieso ist die Bushaltestelle jetzt auf der anderen Seite? Ich frage aber nicht, denn mir kommt schon der Verdacht, dass die Unternehmung anders verläuft als er sich das vorgestellt hat. Das sieht nach Planänderung aus. Er fordert mich auf zu gehen, denn hier ist ein Büro des Präsidenten von Äthiopien, da ist es nicht erlaubt, vorbeizulaufen. Gut, Gehpause. Nach hundert Metern dürfen wir wieder traben. Mein Begleiter schnauft und schwitzt. Ehrlich gesagt, glaube ich ihm das Präsidentenbüro nicht. Nach kurzer Zeit kommen wir wieder an einem angeblich offziellen Gelände vorbei, dieses Mal schaue ich genauer hin, kann aber weder ein Schild, noch auch nur ein halbwegs repräsentabel aussehendes Gebäude sehen. Nach zwei Kilometern sind wir wieder am Hotel, wo er mich zum Frühstück schicken will. Es ist nicht mal halb sechs. Er versichert ein weiteres Mal, dass er vollkommen anders trainiere. Ich versichere, dass ich das gut verstehen kann und bedanke mich noch einmal, dass er auf mich Rücksicht genommen hat, ich werde aber noch weiter laufen. 

Es ist immer noch stockfinster. Alle Läufer, die ich bisher gesehen habe, laufen auf der Straße, es geht eben nichts über Qualitätsasphalt. Die Strecke parallel zum See ist die, auf der ich gestern aus Gondar kam. Zum Laufen ist es total langweilig. In der Nähe muss eine Kirche sein, denn ich höre wieder die Priester singen, über die sich H. In Addis immer so ärgert. Ich habe gelernt, sie singen auf Ge’ez, einer Art liturgisches Altäthiopisch. Das ist richtig laut und klingt so ähnlich wie „Waaa-äööööoooo, waaa-ääöööooo“ und soll bestimmt allen ein schlechtes Gewissen machen, die sich jetzt nicht auf den Weg zur Kirch begeben. 

Irgendwann kehre ich um, es ist jetzt hell, das ist gut so, denn es gibt Leute, die zu meiner Unterhaltung beitragen: ein Mann, vermutlich in meinem Alter, der an den Füßen Sandalen, in der Hand eine Tüte mit einer kleinen Schüssel drin trägt – Frühstück? – fängt an zu laufen und überholt mich. Läuft der wegen mir? Ich laufe am rechten Fahrbahnrand, er auf der anderen Seite am Mittelstreifen. Der Abstand wird nicht größer, und er sieht sich öfter um, ob ich noch da bin. Da fängt ein zweiter an zu laufen, ein junger Mann, an dem ich eben vorbeigekommen bin. Bei dem ist es noch offensichtlicher – hihi, gleich trete ich der Machojägergruppe bei – immer kurz vor mir, dreht er sich öfter mal um, ob ich noch da bin. Das zieht sich fast einen Kilometer, bis der erste sich noch einmal  umsieht, und dann wieder geht. Der zweite stellt sich beim Umlaufen einer Fußgängergruppe ein bisschen ungeschickt an, und ich ziehe wieder vorbei. Das geht ja mal gar nicht, er beschleunigt und übernimmt wieder die Führung. Ich amüsiere mich köstlich. Da kommt plötzlich ein echter Läufer entgegen: doppelt so lange Beine wie normale Menschen, eine unglaubliche Leichtigkeit, große Schritte, aber die kommen daher, dass seine Flugphase so lang ist. Wow, der schwebt! Schon ist er vorbei, und ich beschäftige mich wieder mit meinem Begleiter. Auch der schnauft nicht schlecht, während es mir auf 1800 m viel besser geht als die letzten Tage. Tja mein Lieber, dann zeig mal, wie lange du das durchhältst. Genau bis zur nächsten Abzweigung, die nimmt er dann auch, und gibt sich sogar die Blöße noch in Sichtweite in Schritttempo zu verfallen. Nochmal: hihi!

Einem Impuls und dem Schild zum Shore Resort folge ich Richtung Tana-See. Dort beginnt das schönste Stück. Die haben einen Betonplattenweg am Ufer entlang gebaut. Ich folge ihm stadtauswärts. Wow, das Schilfzeug muss Papyrus sein, das sieht genau aus wie auf Bildern, dickes Gras mit ganz filigranen Puscheln oben. Zwischen Weg und See gibt es einen schmalen Streifen mit Gemüsebeeten, hier sind schon Leute unterwegs, die in ihren Gärtchen arbeiten. Der Weg führt an einem großen Hotelrohbau vorbei, der noch mit Eukalyptusstämmen eingerüstet ist (diese Gerüste sehen oft abenteuerlich aus!). Hier wächst noch mehr Tourismus. Einige hundert Meter später ist der Ort zu Ende, hinter einer riesigen Sykomore (danke, Strider!) geht die Sonne auf, und der Weg hört einfach auf. Ich mache ein Päuschen, um den Sonnenaufgang hinter dem tollen Baum und den Blick uber den See zu genießen. Dann geht es zurück. Am Eingang der Kirche in der Nähe der Bootsanlegestelle hat sich eine lange Schlange gebildet, fast alles Frauen. Die wollen da offensichtlich rein. Außen herum gibt es einen Holzzaun, da stehen ganz viele Männer mit weißen Tüchern um die Schultern geschlungen mit Gesicht zum Zaun, die Hände zum Beten erhoben. Ob das die Schnellversion für diejenigen ist, die nicht an der mehrere Stunden dauernden Messe teilnehmen wollen? Die Lautsprecher sind inzwischen verstummt, es sind wohl alle da.

Heute habe ich es immerhin auf rund 12 km gebracht. Es wäre auch noch weiter gegangen, aber der Tourismus ruft mal wieder – zur Bootsfahrt über den See. Bevor ich zum Frühstück gehe, schiebe ich noch wie verabredet einen Zettel bei meinen Nachbarinnen unter der Tür durch, dass alles in Ordnung ist.

P.S.: Nicht alle Äthiopier sind Lauftalente, aber es gibt ganz unglaubliche!

P.P.S.: Duschwertung (Copyright MC) – es gibt eine Art Minidurchlauferhitzer. Gestern war mir noch nicht aufgefallen, dass die Drähte, die in diesen merkwürdigen Duschkopf führen, offen liegen und nur ein wenig mit Isolierband umwickelt sind. Auch nicht, dass das Wasser am Duschkopf entlang zurück Richtung Wand fließt und nur Milimeter vom blanken Draht entfernt spratzelt. Heute ist es mir aufgefallen, und ich habe kalt geduscht.

Laufen auf Reisen – Morgenlauf

Ich übernachte im Africa Hotel von Axum. Wenn ich von alleine um 6:00 Uhr aufwache, gehe ich laufen, sonst reicht es nicht vor der Weiterreise. Viertel vor sechs testet einer den Motor seines Minibusses im Hof. Das passt ja.

Auf der Hauptstraße sind schon viele Leute unterwegs. Hier tragen fast alle Frauen ein großes weißes Umschlagtuch, viele Männer auch. Auf der Piazza steht ein riesiger Sycamore Baum (wie heißt der auf deutsch?). Gestern saßen da den ganzen Tag Leute drunter, aber die kommen wohl erst später. Von Tesfay, einem siebzehjährigen Schüler habe ich gestern erfahren, dass es eine Art Berufsschule gibt, wo die Steinmetze einen deutschen Lehrer haben, von dem sie das Pflastern lernen. Tatsächlich wird in Axum tüchtig gepflastert, im Zentrum vor allem die Bürgersteige, aber auch viele Nebenstraßen, und zwar alles in schickem zweifarbigen Fußgängerzonenpflaster, regelmäßige Bögen aus hellen und alle paar Reihen dunklen Steinen. Das ganze wird mit einem schwarzen quarzig schimmernden Sand verfüllt. 

In der Nähe der Kathedrale kommen mir einige Nonnen entgegen. Die sind an ihren zylinderförmigen Stoffmützen und ihrem Stab mit dem oben verzierten Ende zu erkennen, dessen Funktionen mir gestern der Guide erklärt hat: man kann ihn wie einen Spazierstock verwenden oder wie eine Krücke unter eine Schulter klemmen, oder auch mit beiden Händen darauf stützen und quasi dagegen lehnen, um sich während der langen Messen ein bisschen auszuruhen. Manchmal bereue ich es doch ein bisschen, die Kamera so sparsam dabei zu haben, denn vor einem Bauzaun, der aus abwechselnd gelb und grün angestrichenen Wellblechen besteht, haben sich zwei Nonen niedergelassen, die eine im gelben Gewand sitzt vor einem gelben Blech, die daneben hat ein grünes an. 

Ich passiere das Stelenfeld. In Axum liegt der Ursprung der äthiopischen Kultur, von hier stammte der legendäre erste Kaiser Menelik, der ein Sohn von König Salomon und der Königin von Saba gewesen sein soll. Eine Zeitlang war es bei den axumitischen Herrschern Mode, sich gewaltige Grabstelen aus Granit aufstellen zu lassen, von denen hier noch viele rumstehen oder auch -liegen. Die älteren sind ganz schlicht, die neueren (6. Jh.) sehen wie kleine Hochhäuser aus und sollen den Zusammenhang mit der jemenitischen Kultur beweisen. Nach dem gestern absolvierten Hardcore-Tourismus mit Guide müsste ich eigentlich noch die Maße aller Stelen im Stelenfeld mit Gewicht und Bauherrn hersagen können, aber mir war es wohl ein bisschen zu heiß, um mir alles zu merken. 

Rechts geht es raus in die Dörfer und den Berg hoch zum Yeha-Hotel. Hui, ist das steil und anstrengend, aber von der Terrasse des Hotels hat man einen tollen Blick über die Stadt und das Stelenfeld. Von hier oben ist deutlich zu sehen, dass auch Axum kein Luftkurort ist. Hier oben ist die Luft klar und das Licht wunderbar, aber über der Stadt hängen um diese Zeit noch ganz deutlich lokalisierbare blaue Wolken: über der Piazza, wo gerade viele LKWs warmlaufen und über den drei größten Straßen. Das muss an den vielen Zweitakterdreiradtaxen liegen. Komisch, unten hatte ich das gar nicht bemerkt.

Jemand hat Krümel auf die Terrasse geworfen, um die sich jetzt die Vögel streiten. Da sind zwei etwa amselgroße, auf den ersten Blick schwarze, mit gelben Augen, deren Gefieder aber wunderschön blau-grün schimmert. Einer sieht aus wie eine Taube, aber gelblich-grün – oder ist das eine Art Papagei? Nach kurzer Pause kehrte ich um.

Am Sycamore-Baum stehen zwei abgedeckte Kickertische, na, wenn ich die mal gestern schon gesehen hätte! Ich biege rechts ab und laufe noch zwei Blocks weiter, dann wieder links Richtung Africa Hotel. Ein Trupp Leute macht die Kanalisation sauber. Sie haben ein paar große Abdeckgitter hochgehoben und stochern unten im Kanal. Der rausgefischte Dreck wird auf einen Karren gepackt. Im Park, der eigentlich nur noch auf dem Stadtplan so heißt, weil die gesamte Fläche mit kleinen Buden für Essen und Getränke gibt, spielt schon laute Musik. Gäste sind aber noch keine da.

Heute habe ich nicht so viel Zeit, also zurück zum Hotel, duschen. Zum Glück beteiligt sich das Hotel nicht an der Duschwertung, denn das, was da an der Wand hängt, war vielleicht in seinem vorigen Leben ein Luftbefeuchter. Es gibt vielleicht zehn Löchlein, aus denen Wasser kommt, dafür sprühen die alle in unterschiedliche Richtungen. Irgendwann ist aber auch damit die Seife wieder abgewaschen, und ich darf frühstücken gehen.

Laufen auf Reisen – Höhen- und Feinstaubtraining

Vor dem Schlafengehen haben wir diskutiert: kann man wirklich überall laufen? Ich glaube schon, und habe die Idee, von hier aus loszulaufen, was B. und H. vollkommen abwegig finden. Der Verkehr, der Smog, das Gedränge. Ich mag ja urbane Läufe und finde es toll, eine Stadt zu Fuß zu erforschen, aber die beiden halten das für unmöglich und H. bietet sogar an, nochmal nach Entoto rauszufahren. Aber ich möchte auch die Stadt kennen lernen und außerdem nicht zu viele Umstände machen. Irgendwann kommen sie auf folgende Idee: H. muss zu seiner Metallwerkstatt, die ihm schon den tollen Bullcatcher an seinen Landrover geschweißt hat, wir bringen den Kurzen in den Kindergarten, dann kann ich an der Embassy Road entlang zwischen zwei großen Kreisverkehren so lange hin und her laufen, bis es mir reicht. Die Embassy Road ist immerhin ein bisschen Richtung Stadtrand gelegen, und nicht ganz so verstopft wie die großen Straßen hier in der Umgebung.

So machen wir es, der Kleine wird im deutschen Kindergarten abgeliefert, und wir fahren in die Werkstatt. H. fährt auf dem Weg dorthin die Embassy Road entlang und guckt auf den Tacho, wie lang sie eigentlich ist. Ca. zweieinhalb Kilometer. Das Wasser bleibt im Auto, ich werde nach der ersten Runde einen Verpflegungsstop einlegen.

An der Embassy Road sind nicht nur die Botschaftsgelände von Uganda, Belgien, Kenia, Großbritannien, Russland, das British Council und das Institute for Biodiversity, sondern dazwischen auch viele kleine Geschäfte und Werkstätten, Haltestellen für Minibusse, Schuhputzer und was weiß ich alles. Prima, so mag ich Tourismus: die Leute denken, sie hätten was zu gucken, dass da eine Auswärtige an der Hauptverkehrsstraße entlang rennt, dabei werden sie selber auch beguckt, ohne es richtig zu bemerken. So haben alle was davon. Das heißt natürlich auch, dass ich keine Kamera mitnehme, auch wenn ich tausend mögliche Bilder sehen werde. Aber so ist das eben, dann muss ich umso genauer hinschauen, um sie später im Kopf wieder zu finden.

Schon die Metallwerkstatt ist toll, da liegt unglaublich viel Schrott herum, aber die Jungs machen richtig gute Sachen daraus, und das Zubehör, das sie für Halwards Auto gebastelt haben, ist nach dem Biegen, Schweißen und Anmalen gar nicht mehr als Ex-Schrott oder Recycling zu erkennen. 

Ich laufe los. Gleich nebenan ist ein Sargmacher. Die Särge sind aus einfachen Brettern gezimmert, aber dann mit glitzerndem Brokatstoff in allen möglichen Farben bezogen. Schön. Außerdem gibt es bunten Grabschmuck. Gleich nebenan sind eine Möbelwerkstatt, dann ein Fleischer. Große Stücke vom Rind sehen ziemlich gut abgehangen aus. Als ich an einem Frisiersalon vorbei komme, merke ich erst, als ich schon fast vorbei bin, dass der Friseur, der noch nichts zu tun hat, im Takt meiner Schritte klatscht. Im Schatten der Botschaftsmauer von Uganda liegt eine ganze Herde Ziegen. Danach gibt es wieder Geschäfte. An einer Haltestelle für Minibusse – von denen gibt es unglaublich viele, sie sind unten blau, oben weiß, genau wie die Lada-Taxen – arbeiten viele Schuhputzer. Die Geschäfte gehen nicht schlecht, und ich bin erstaunt, dass die Leute sich nicht nur Lederschuhe, sondern auch Plastikturnschuhe und sogar Stoff-Chucks putzen lassen. Meine Laufschuhe wollen sie natürlich auch, aber das kommt nicht in Frage, die bleiben in Bewegung.

Die Britische Botschaft wünscht mit zwei riesigen Plakaten auf Englisch und Amharisch den äthiopischen Athleten „Good Luck“ für die olympischen Spiele in London. Wobei ich mich kurz frage, ob es vielleicht angebrachter wäre, „Viel Erfolg“ zu wünschen. Am besten wohl beides. Einer der Torwächter ruft mir „Very good“ zu.

Vor einem verschlossenen Eisentor stehen Mädels und Jungs in türkisfarbenen Schuluniformen. Die Blicke, die ich von einigen ernte, erinnern mich sehr an die von Berliner Teenies, die etwas unendlich albern finden. Andere schauen freundlich-interessiert. Ich laufe weiter bis zur Brücke über einen kleinen Fluss und kehre dort, kurz vor dem zweiten Kreisverkehr um. Unten ist eine Art Biergarten, dort wird Reggae gespielt. Gerade geht das Schultor auf, es ist neun Uhr, und die Schülerinnen und Schüler verschwinden schnell darin, noch bevor ich zum zweiten Mal vorbei bin. 

Der gesamte Weg ist ein langgestreckter Hügel, das heißt, es geht also erst einmal wieder bergauf. Über der Hügelkuppe ist die gelblichbraune Smogschicht zu erkennen. Aber das gilt noch als erträglich, denn in der Nacht hat es wieder geregnet, die Berge der Umgebung sind zu erkennen, das ist wohl nicht immer so. Dennoch finde ich den Anblick einigermaßen eklig. Andererseits nicht verwunderlich, bei dem, was aus vielen Auspuffen so in die Gegend geblasen wird. Keine Ahnung, ob es an der Höhe oder am Feinstaub liegt, die Lunge fiept jedenfalls wieder ganz schön vor Anstrengung.

Einige Leute erkennen mich auf dem Rückweg wieder und grüßen wie alte Bekannte: der Torwächter, der Friseur, der wieder klatscht, später der Sargmacher. Ein junger, extrem gutaussehnder Mann fängt laut an zu lachen „Hahaha, Tourist! Bravo, Bravo!“ Na besten Dank auch, ich erkenne Spott, wenn er mir so deutlich begegnet, aber echt mal, wenn Du mich für bekloppt hältst – da kenne ich noch ganz andere. Ein ganz alter Man versucht es auf Italienisch: „Bon giorno, forza, forza.“ bei ihm bin ich aber sicher, dass er es freundlich meint.

Nach einem kurzen Wasserstopp in der Metallwerkstatt, geht es auf die zweite Runde. Eigentlich würde ich gerne auch die Nebenstrasen erkunden, aber die meisten sind nur kurze, steile Stichstraßen, wenige hundert Meter lang, wenn überhaupt. An einer biege dennoch ab und laufe auf eine dieser runden Kirchen zu. Es geht steil bergauf, an beiden Seiten sind Stände mit Religionsbedarf, Heiligenbildchen, religiöse Musik und lustigerweise auch große bunte Brokatsonnenschirme. Keine Ahnung, weshalb es die ausgerechnet hier gibt, sie lösen aber einen akuten Habenwollen-Anfall aus. Egal, ich kann gerade keinen Schirm tragen, sie sind wahrscheinlich eh zu groß für meinen Koffer und die paar Birr, die ich in der Tasche habe, reichen bestimmt sowieso nicht. Ich widerstehe also dem Impuls einen Spontankauf zu tätigen und laufe weiter auf die Kirche zu. Auch hier wird das Tor von einem Uniformierten bewacht. Er versteht Englisch, zwar nicht so ganz, warum ich um die Kirche rennen will, aber er hat auch nichts dagegen. Einige Frauen fegen den Hof, sonst ist es ruhig und grün unter Eukalyptusbäumen. Ein Tor führt zu einem Friedhof, aber den lasse ich aus. Der Hof ist klein, schon bin ich um den Kirchenbau herum und kann es jetzt bergab auch mal ein bisschen laufen lassen. 

Also doch wieder Embassy Road. Auch die zweite Runde macht Spaß, es gibt Ähnliches wie vorher in Varianten zu sehen. Eine Ziegenherde wird jetzt in meine Richtung getrieben, die Tiere erschrecken ein bisschen, als ich überhole. An der Bushaltestelle steht ein Mann mit einer einzelnen Ziege. Damit sie nicht wegläuft, hält er ihr Vorderbein hoch, das sieht aus, als würden die beiden Hand in Hand auf den Bus warten. Der Wächter bei den Briten muss lachen, als ich zum dritten Mal vorbei komme, beim vierten Mal kündige ich an, dass es das jetzt war. Der Friseur ist inzwischen mit Kundschaft beschäftigt. Nach gut elf Kilometern in einer Stunde und neun Minuten bin ich wieder bei den Metallern und kann im Schatten ein bisschen ausruhen und ihnen dann noch eine Weile beim Arbeiten zuschauen.