1x laufen, 2x finishen oder: Volle Kischte

Als im September der 1. Berlin Diplomatic Ladies Run verschoben wurde, war ich sehr besorgt, ob er überhaupt noch stattfinden würde – ausgeschrieben wurde er von Ihrer Exzellenz der Botschafterin von Mali, anlässlich der 50-jährigen Unabhängigkeit, und zwei der sieben Euro Startgebühr sollten den Aufbau des malischen Frauenfußballteams fördern. Dann kam vor kurzem die Mail, dass der Lauf mit dem Asics Grand 10 zusammen gelegt würde, bei dem ich aber auch schon angemeldet war. Wer wolle, könne die Startgebühr zurück haben. Wollte ich nicht, ich will schließlich den malischen Frauenfußball voran bringen. Die zweite Mail, eine Woche später ließ mich aufatmen: wer will und zweimal angemeldet ist, darf bei beiden Läufen mitmachen, allerdings werden die Ladies gebeten, das Veranstaltungsshirt und die Startnummer vom Ladies Run und den Zeitmesschip vom Asics Grand 10 zu tragen. Na super, das nenne ich effizientes Wettkampfmanagement! Das Shirt ist auch prima und hat außer einer 50 die Umrisse von Mali drauf.

Die Kollegen laufen bei Asics mit. U., der die Bemühungen um meinen 55-Minuten-Steffny-Plan zum Teil live miterlebt hat, kündigt an, mich auf 53 Minuten zu ziehen. Toll, ich freu mich riesig und hibbele schon im Auto rum, als wär’s der erste Wettkampf. Wir treffen die Kollegen, geben die Kleiderbeutel ab und laufen uns im Schlosspark Charlottenburg warm – ist auch dringend nötig, es hat erst knapp 7 Grad. Auf der Bühne darf Dieter Baumann sprechen, der leider nicht mitlaufen kann, weil er Adduktorenzerrung hat. Er lobt aber die tollen Bedingungen (im Gegensatz zu den verregneten letzten beiden Malen mit all dem glitschigen Kopfsteinpflaster) und spornt uns an „volle Kischte“ zu laufen. Ich bin ganz gerührt über den „heavy schwäbisch Accent“ meines Landsmanns und wild entschlossen, genau das zu tun. Dieses Jahr darf ich mit den Jungs in Startblock 3 stehen. Herr Baumann, Ihre Exzellenz und noch jemand, den ich gerade leider vergessen habe, dürfen den Startschuss geben.

Es ist allerschönstes Herbstwetter, und es läuft einfach. U. lässt auf seinem Garmin den virtuellen Partner rennen, ich soll gar nicht auf die Uhr schauen – tu ich aber trotzdem gelegentlich. Mein Hase erklärt mir, ich könne ja selbst bei Intervallen noch viel zu viel quatschen (stimmt gar nicht!) und heute sollte ich mal schnaufen. Ich sage ok, aber doch nicht schon auf der ersten Hälfte. Kurz vor dem Hintereingang zum Zoo (Halbzeit: 26:39) finde ich, wir seien vielleicht ein bisschen schnell. Der Hase findet, solange ich immer noch so viel rede, könne das gar nicht sein und verlangsamt kein Stück. Durch den Zoo zu laufen ist toll, dieses Jahr sehe ich sogar Tiere: eine Art Ziegenböcke oder Antilopen oder so was, Nashörner, schwarze Panther (sind auch auf den Ladies‘ Shirts drauf) und einen schlafenden Panda. Der ist nun wirklich kein Laufsymbol. Durchs Elefantentor geht es wieder raus auf die Straße. Ich wage leise Zweifel, ob wir nicht doch zu schnell sein könnten, da meint der Hase, der Igel solle jetzt mal die Klappe halten und ihn seinen Job machen lassen. Er droht sogar meine Uhr auszuschalten, wenn ich da immer drauf gucke (NEEIIIN, ich will hinterher wenigstens das Satellitenbildchen sehen!). Ich muss aber so lachen, dass mir schon davon fast die Puste wegbleibt.

Am Wasserstand bei KM 6 (den wir einfach ignorieren) verkündet ein Lautsprecher, wer gerade ins Ziel einläuft – mit derzeit 36 Minuten irgendwas. Mein Hase findet es unfein, uns das an dieser Stelle so reinzudrücken. Zu der Zeit bringe ich schon nicht mehr so richtig vollständige Sätze hervor. Wir werden aber nicht langsamer. U. meint, je schneller wir sind, desto schneller sei die Quälerei vorbei, aber auch wenn ich jetzt wirklich schwer schnaufe, wie verlangt, macht es immer noch Spaß. Ich stoße noch ein „Volle Kischte“ hervor und renne einfach, was die Beine hergeben. Im Ziel vergesse ich, wie immer die Uhr anzuhalten – dafür werde ich angehalten: von einer schwarzen Frau, die mich auf ein Gruppenbild der bisher eingelaufenen Ladies zieht. Da ist auch Ihre Exzellenz und bedankt sich bei mir fürs Laufen, ich bin völlig gerührt und euphorisch und durcheinander und bedanke mich bei allen zurück. Es sind recht wenige Ladies da, dafür werden umso mehr Fotos gemacht.

Danach gibt es zuerst die Asics Medaille, dann noch eine schöne bunte vom Ladies Run und eine Urkunde auf Französisch. Irgendwann finde ich den Hasen und die anderen Kollegen wieder. N. schaffte es unter 45 Minuten zu bleiben, S. wurde von einem Feuerwehrlöschzug aufgehalten, der die Strecke querte, war aber erwartungsgemäß immer noch schneller als wir. Unsere Zeit habe ich erst später aus dem Internet genau erfahren: 51:42! Wahnsinn – jaha, ich weiß: alles ist relativ! Alleine hätte ich das auf keinen Fall geschafft. Danke dem Hasen, danke den Ladies und Mali, danke dem schönen Wetter, und wenn ich gerade dabei bin: Danke auch euch hier. Echt mal.

Und hier die Erinnerungsstücke:
Das Shirt

Sonntagsstrecken – Asics Grand 10

Seit einer Woche verfolge ich den Wetterbericht und sehe zu, wie er für heute immer grauer und nasser wird. 85% Regenwahrscheinlichkeit. Was tut die Erstwettkampfläuferin denn da in den Kleiderbeutel? Was ziehe ich an? Was frühstücke ich? Frühstück war noch die leichteste Entscheidung: zwei Butterbrezeln und Tee (der BäckerMann am Südwestkorso macht die besten Laugenbrezeln von ganz Berlin, echt wahr). Mit Butterbrezeln wurde ich großgezogen, das kann keine schlechte Läufernahrung sein.

Es schrieben schon eine Menge Leute, es würde beim Laufen schon warm werden, als aber meine Kollegen in mehreren Schichten und z.T. ganz außen sogar mit Regenschutz da stehen, wird mir ganz anders beim Gedanken, obenrum nur im – immerhin langärmeligen – Funktionsshirt loslaufen zu wollen. Der Kollege, der immer so gut sortiert und auf alle Eventualitäten eingestellt ist, leiht mir ein kurzärmeliges Teil zum Drunterziehen, da geht’s mir schon besser – Regenjacke? Nö! Genial war aber dieser Tipp: die praktische Mülltüte mit Löchern für Kopf und Arme. Knielang, sehr schick, etwas laut raschelnd beim Warmlaufen, aber wärmt tadellos. Die großen Jungs dürfen sich weiter vorne aufstellen, ich stehe nach dem Abstecher in die Dixiekloschlange in Block 4. Irgendwann setzt die Masse sich in Bewegung. Lustig: ich wusste nicht, dass die Zeitnahmechips über der Startmatte alle fiepen. Es wird ja immer gewarnt, am Anfang nicht zu schnell loszulaufen. Offensichtlich haben alle 6000 vor mir die Warnung gehört und sich sehr zu Herzen genommen: es geht echt nicht voran. Kurz frage ich mich, ob der Zickzacklauf sinnvoll ist, oder ich womöglich die einzige sein werde, die in zwei Kilometerchen hechelnd eine Gehpause einlegen muss, aber so geht das wirklich nicht. Ich versuche, breitschultrigen Männern hinterherzulaufen und die Schneise zu nutzen, die die sich durch die Massen bahnen, aber so viele gibt es davon nicht, und es bleibt beim Zickzack. Ein bisschen schneller als „Lockerer DL“ darf das doch hier werden?

Mit den ersten KM-Schildern bin ich nicht so zufrieden, der Zickzackkurs kostet Zeit, aber egal, es läuft einfach, es ist leicht! Eine rote Ampel kurz vor dem Charlottenburger Tor lässt mich kurz stutzig werden und für den Bruchteil einer Sekunde frage ich mich, ob uns die was angeht – natürlich nicht, ich Dusselin! Gelegentlich steht ein bisschen Publikum rum, aber eher wenig. Offensichtlich konnten heute nur sehr wenige Aktive ihre Lieben überreden, bei dem Wetter vor die Tür zu gehen. Siegessäule – prima, den Kreisverkehr einfach mal zu Fuß nehmen! Hofjägeralle, hier wird das Überholen einfacher. Bei den nordischen Botschaften rechts, dann am Kanal rechts Richtung Zoo. Darauf habe ich mich besonders gefreut, und ich bin begeistert, so nah an den Nashörnern vorbei zu kommen – was die wohl denken, wenn eine riesige Herde kleinere Tiere wie verrückt an ihnen vorbei rennt? Die müssen von Löwen verfolgt werden? Die Belegschaft des Zoorestaurants steht in roten Schürzen am Weg und jubelt uns mit La Ola zu. Super – und dann geht es auch schon wieder durchs Elefantentor aus dem Zoo hinaus. Es läuft immer noch leicht und nachdem die schmalen Wege im Zoo doch recht voll und dadurch ein bisschen langsamer waren, beschließe ich, so langsam mal einen Zahn zuzulegen. Es geht die Budapester, nach einer Linksrechtskombination die Kantstraße entlang. Eine ältere Läuferin, sehr klein, sehr drahtig mit grauem Haar überholt. Prima, an der bleibe ich dran, die hat’s drauf. Es ist so leicht, es fliegt fast. So langsam freunde ich mich mit den KM-Markierungen wieder an: wunderbar, ich werde unter einer Stunde bleiben.

Am Anfang der Schloßstraße ist einer unterwegs, der Laufveranstaltungen blöd findet. Er beschimpft uns laut und brüllt, wir sollen abhauen. Eine Frau neben mir lacht: „und ich dachte, der feuert uns an“ Wir wollten sowieso nicht verweilen. So langsam wird es Zeit für einen kleinen Endspurt – den ich aber kurz vor dem Zieltor vergesse zu einem konsequenten Ende zu bringen, weil eine Freundin in der Menge steht und jubelt. Ich freu mich, winke und lache und bin auch schon durchs Aufblastor. Dass ich die Uhr anhalten könnte, fällt mir erst ein, als mir schon eine Medaille umgehängt wird (jetzt bin ich gespannt auf die Ergebnisse von der Website). Kleiderbeutel holen, Becher mit Tee und diversen Wasservarianten des Sponsors greifen, Chip abgeben, schon vorbei? Da sind meine Kollegen, die waren natürlich schneller, aber so viel auch nicht. Jungs, zieht euch warm an, nächstes Jahr müsst ihr euch echt anstrengen, wenn ihr den Vorsprung halten wollt! Freundin finden, kurz um den Hals fallen, überhaupt nicht erschöpft sein, vom Kollegen nach Hause fahren lassen, Badewanne, Eis essen, Tee trinken, ein wunderbarer Sonntag!

P.S.: Inzwischen sind die Ergebnisse online: 57:24 – beim ersten Mal ist es immer PB…