Laufen unterwegs – Konstanz

Mit dem guten Gefühl furchtbar früh dran zu sein, schiebe ich am Südkreuz das Fahrrädle zum Fahrplan, um zu sehen, von welchem Gleis um 8:05 Uhr der Zug nach Basel abfährt. Von gar keinem. Blick aufs Handyticket bestätigt: Hauptbahnhof. Noch zwanzig Minuten. Die S-Bahn braucht achtzehn. Ich fluche und spurte dann zum Taxistand. Der Taxler sagt, dass „das da“ – das Fahrrädle – bei ihm nicht reinpasst. Ich sage, doch locker, und falte in 15 Sekunden zusammen. Rad, Rucksack, große Fahrrad-Tasche in den Kofferraum geworfen und los geht’s. Der Mann nimmt Anteil und versucht zu überlegen, was die schnellste Variante sein könnte. Exakt um 8:00 Uhr steige ich am Hauptbahnhof aus. Bezahlen, Rad aufbauen, Tasche dran, Rucksack auf, der Taxler wünscht mir Glück, 8:03 Uhr bin ich auf dem Bahnsteig, der Zug steht schon da, Tasche ab, Rad falten, einsteigen, Zug fährt ab. Bin erstmal bedient. Umsteigen in Offenburg. Es ist kalt. Auf der Strecke durch den Schwarzwald schneit’s. Ich bin extra so früh gefahren, um Zeit zum Laufen zu haben, aber bei dem Anblick habe ich gar keine Lust mehr.

Konstanz-Petershausen – es ist so kalt, dass ich zum Radeln Handschuhe anziehe. Das Hotel ist gleich hinter der Bodenseetherme, das Zimmer hat eine wunderbare Aussicht aufs Freibad und auf Schneeberge – wobei da drüben auf der  anderen Seeseite auch auf ziemlich kleinen Hügeln noch Schnee liegt. Ich habe immer noch keine Lust zu laufen. Das Telefon brummelt, eine Telegram-Nachricht aus der Betriebssport-Laufgruppe. Der Kollege hat seine soeben belaufene Strecke gepostet. Ich antworte mit einem Daumen-hoch-Frosch und schreibe „ok, ok, ich ziehe jetzt Laufsachen an (habe gerade ein kleines Motivationstief)“. Ein anderer Kollege schreibt, ich solle die Uhr nicht vergessen, sonst glaubt mir das keiner. Nach kurzem Geplänkel raffe ich mich auf. Poste noch das Foto von der satellitensuchenden Uhr in die Gruppe und laufe los.

Es sind nur wenige Stufen und ein kleiner Weg bis hinunter zum Seeufer. Zuerst laufe ich Richtung Stadt – ich bin nicht die Einzige, hier wird ausgesprochen fleißig in beide Richtungen gelaufen. Die meisten sind so ungesellig wie die Läufer*innen im Volkspark Wilmersdorf, nur wenige grüßen zurück. Lustig, und ich dachte, das sei nur in Berlin so. Nach kurzer Zeit biege ich aber schon ab Richtung Lorettowald. Der Himmel hinter mir ist finster, der Regenradar hat Regen für ein einer Dreiviertelstunde angesagt. Ich habe zwar eine schöne Strecke auf der Uhr vorbereitet, behalte mir aber vor, jederzeit abzukürzen. Zum Beispiel wenn es regnet oder ich keine Lust mehr habe. Der Waldweg ist schön, das Grün ganz frühlingsfrisch. Nach einer kurzen Strecke zwischen ein paar Häusern durch führt der Weg durch ein schönes Tal auf die Universität zu (auf dem Bild habe ich die Universität im Rücken).

Die Universität ist eine interessante Anhäufung von denkmalgeschütztem 70er-Jahre Beton – ein ziemlicher Kontrast zum lieblichen Tal, aber irgendwie mag ich ja Beton. Kurz überlege ich, jetzt Richtung Seeufer abzukürzen, weil es doch jeden Moment eiskalt losregnen könnte. Weil mir das Laufen aber eigentlich nicht lästig ist, und die Beine leicht sind, laufe ich doch wie geplant links um die Universität herum, weiter nach Nordwesten, am botanischen Garten vorbei bis zum Biergarten St. Katharina. Der ist bei der Kälte natürlich geschlossen. Ich nehme mir kurz Zeit, den Erklärungstext über das ehemalige Nonnenkloster zu lesen. Danach geht es bergab Richtung Egg. Ich bin verwundert, wie lange es abwärts geht. Da ich am Seeufer gestartet bin, muss ich das alles ja auch hoch gelaufen sein. Es kam mir gar nicht so viel vor.

Ich laufe an der Ruppaner Brauerei vorbei, ein geparkter Bierlaster wirbt für Bierspezialitäten vom Bodensee. Es ist zu kalt für Bier. Von hier aus kann ich den Fährhafen von Staad sehen. Eine Fähre läuft gerade ein, im Hintergrund Wetter und Schneeberge.

Erst hinter dem Fährhafen gibt es wieder Uferweg. Die letzten zwei Kilometer sind großartig, der Wind kommt aus Nordosten und sorgt dafür dass die Wellen am Strand ordentlich rauschen. Der Blick über den See in alle Richtungen ist sehr schön. Ich laufe um die Spitze beim Strandbad Horn, ab da ist es nicht mehr weit. Es hat kein bisschen geregnet, und ich bin den lästernden Kollegen dankbar für den Schubs.

Laufen unterwegs – Frühling in Winterthur

Kurz vor Abreise hat Knopf_13 mir aus einer großen Misere geholfen. Weil das Garmin-Plugin für gpsies.com nicht mehr geht, und es mir nicht geglückt ist, mit diesem doofen Garmin Connect Strecken auf die Garmine zu schubsen – immer und immer wieder Fehler bei der Synchronisation – war ich schon ziemlich verzweifelt: eine nahende Reise und keine schicken Strecken auf der Uhr. Ja, ja, vielleicht sollte ich viel spontaner sein, aber echt mal, mit dieser Wurmnavigation auf der Uhr renne ich viel unbeschwerter in unbekannten Wäldern rum. Jedenfalls hat Knopf_13 gewusst, dass es mit dem guten alten Trainingscenter noch geht. Ich also die Uhr präpariert, nach Zürich geflogen, sofort eine Bahn nach Winterthur erwischt und schon gegen elf im Hotel eingecheckt. Super, da komme ich ja früh los. Musste dann aber doch erst noch eine Kleinigkeit zu essen jagen und ein Nickerchen machen, das mache ich sonst nie.

Um halb zwei geht es endlich los, Plan ist es, vom Bahnhof aus nach Süden bis zur Töss, dann durchs Tösstal bis Sennhof und in einem großen Bogen um den Eschenberg zurück Richtung Winterthur zu laufen. Schon der Weg aus der Stadt ist unglaublich. Was der Frühling hier treibt, ist mehr als üppig. Bäume und Büsche blühen wie verrückt, in den Mischwäldern ringsum mischen die jungen quietschgrünen Buchenblätter die dunklen Tannen so richtig auf, dazu Sonne, kurze Laufklamotten und etwas, woran ich gar nicht mehr gedacht hatte: Mittagshitze! Stimmt ja, viele versuchen in der warmen Jahreszeit lieber früh oder später zu laufen. Ich genieße die Sonne auf der Haut, bekomme aber schon nach einem Kilometer Durst. Das muss mental sein. Macht aber nix, denn am Straßenrand plätschert Wasser aus einem Rohr in ein kleines Becken. Super Service!

Der Weg verlässt die Straße und folgt der Töss stromauf. Alle paar Meter gibt es flache Staustufen, höchstens dreißig Zentimeter hoch, aber es geht stetig sanft bergauf. Der Fluß plätschert, die Winterthurer Bevölkerung erholt sich spazierend, wandernd oder radelnd – wobei der Unterschied zwischen den ersten beiden Aktivitäten deutlich durch die Wahl des Outfits demonstriert wird. An allen mit Steinen befestigten Feuerstellen, werden Feuerchen gemacht, zum Teil mitgebrachter Proviant an Stecken darüber gehalten. Es ist ja dermaßen schön hier! Eine überdachte Brücke sieht aus wie in „Die Brücken am Fluß“. Sie hat auf jeder Seite zwei Fenster, an die von innen Trittleitern angebracht sind, so dass die Touristin hochkletterten und auf den Fluss schauen kann. Mach ich natürlich. Einmal muss ich auch unbedingt ans Ufer hinunter steigen und ins Wasser fassen, es fühlt sich großartig an. Im Gras gibt es leuchtende Löwenzahnsonnen und neongrüne kleine Blumen, von denen ich nicht weiß, wie sie heißen. Der Wald riecht warm nach Moos und stellenweise nach Bärlauch. Den halte ich übrigens für total überbewertetes Modegemüse.

Die Töss macht schöne Mäander, aber dennoch bin ich viel zu schnell in Sennhof, wo ich den Flußlauf verlasen soll. Es kommt mir ein bisschen langweilig vor, den Eschenberg einfach nur zu umrunden, wo es oben doch einen Aussichtsturm geben soll. Bei Googlemaps sah es vorher auch aus, als gäbe es so viele Wege auf und über diesen Berg, dass eine sich gar nicht verlaufen kann. Kurzentschlossen biege ich in einen Weg ein, der bergan führt.

Das Rauschen des Wassers hört auf, Vöglein zwitschern im Wald, und chillige Loungemusik erklingt. Hä? Die Töne kommen aus einer nach vorne hin offenen Wetterhütte, in der es sich drei männliche Jugendliche mit einer Shisha gemütlich gemacht haben. Die Schweizer Jugend mit augenscheinlichem Migrationshintergrund ist sehr höflich und spendiert mir ein freundliches Grüezi. Ich schnaufe bergauf, langsam, in kleinen Schritten, aber laufend. Ein Bächlein kommt mir entgegen, ich beschließe, dass das Wasser trinkbar ist (mindestens einmal…), finde es sehr köstlich und schwappe auch eine Handvoll über den Kopf.

An einer Wegabelung bin ich nicht sicher, in welche Richtung es wohl mehr bergauf und vor allem hoffentlich Richtung Aussichtsturm geht. Wanderwegweiser gibt’s keine, nur Wegbezeichnungen auf Holzschildern für die Waldwege, die mir natürlich gar nicht weiter helfen. Vielleicht links, da sieht es steiler aus. Plötzlich höre ich Gebimmel, laut, hoch und tief und vielstimmig. Sind das Kuhglocken? Hoffentlich komme ich bei den Kühen vorbei, das müssen viele sein. Ich frage ein Wandererpaar (Outfit!) nach dem Weg zum Aussichtsturm, und die Frau sagt, das sei aber weit. Der Mann sagt, so weit auch wieder nicht, und er weist mir die Richtung. Da vorne habe es ein Fescht, da geht es rechts hoch und dann in diese Richtung. Der Weg führt erst ein bisschen bergab, dann aus dem Wald hinaus und glücklicherweise an der Weide der lauten Kühe vorbei. Wunderbar, muss gleich mit dem Handy eine kleine Tonaufnahme machen, das klingt großartig!

Auf einer Anhöhe stehen Menschen mit dem Rücken zu mir, die dadurch logischerweise alle in die gleiche Richtung schauen. Ich muss unbedingt wissen, um was für ein Schauspiel es sich handelt, laufe direkt darauf zu und steige durch eine Absperrung aus Flatterband. Das war nicht so ganz korrekt, denn eigentlich kostet das da Eintritt, und der Eingang ist auf der anderen Seite. Aber eine Läuferin in kurzen Hosen ist ganz offensichtlich unsichtbar, denn alle verfolgen aufmerksam das Spektakel in der Mitte. Dort sind drei Kreise von vielleicht sieben Metern Durchmesser dick mit Sägemehl bedeckt. In der Mitte je zwei junge Männer, die über der langen eine kurze Hose aus Sackleinen tragen, an der sie sich gegenseitig packen und versuchen zu Boden zu ringen. Dieser Sport heißt Schwingen und ist ein Nationalsport. Ein kleines Mädchen sammelt „leere Flaschli“ in einen Kasten, was ich sehr niedlich finde. Ich schaue eine Weile zu und verlasse den Festplatz durch den Eingang.

Der Eschenbergturm ist 30 m hoch, eine Wendeltreppe führt über mehrere Plattformen nach oben. Alles wirkt sehr transparent und ein ganz bisschen ist es mir unheimlich. Auf der Plattform ist schwer was los, die Aussicht ist großartig, Schneeberge im Süden, ringsum der hell-dunkelgrüne  Wald, im Norden Winterthur. Ein Flugzeug, das gerade auf dem Zürcher Flughafen gestartet ist, wird aufmerksam beobachtet. Ist das Riad fragt einer? Nein, Emirates, sagt ein anderer, und die Umstehenden stimmen zu, ja genau, Emirates. Sind das hier Planespotters? Ich steige wieder hinab und laufe Richtung Stadt zurück. Jetzt geht es nur noch bergab, erstmal Waldautobahn, aber zum Glück zweigt ein netter Trimm-dich-Pfad ab, der heutzutage Vitaparcours heißt, und mich ganz in der Nähe meines Ausgangspunkts wieder ausspuckt.

Am Bahnhof gibt’s ein fettes Belohnungseis, wobei das ein völlig irreführender Ausdruck ist, denn eigentlich war der Lauf ja schon eine Riesenbelohnung, wofür auch immer.