Intervalle am Dienstag

Wenn das der Herr Steffny wüsste, dass er hier eine Tradition begründet. Auf dem Plan stehen Intervalle, und weil ich so spät erst wieder ins Training eingestiegen bin, ist es der 2-Stunden-Plan, also 4 x 2000 m in 11:18 Minuten, macht, wenn ich ein bisschen kopfrechne eine Pace von 5:39. So lange Intervalle auf der Bahn? Ist das nicht schrecklich öd? Aber der Flughafen ist für nach Feierabend zu weit und der Volkspark zu klein, da kommen immer wieder Straßen, also Bahn. Nix auf die Ohren, denn heute will ich mitkriegen, was in meinem Kopf los ist.

Einlaufen zum Stadion Wilmersdorf. Es ist halb sieben, noch scheint die Sonne. Das ist schön. Ich bin traurig, weil meine Tante Luisle gestorben ist. Die Baden-Württemberger begraben extrem schnell – Freitag tot, Dienstag Beerdigung. Ich bin auch ein bisschen traurig, dass ich es nicht zur Beerdigung geschafft habe. Dem Onkel Josef muss es jetzt sehr schlecht gehen. Die ganze Verwandtschaft hat mein ganzes Leben lang voller Anerkennung und echt schwäbischem Understatement gesagt „D’r Josef – der mag sei Luisle“. Als Kind hat mich das Gerücht total fasziniert, dass die beiden nur eine Bettdecke benutzen sollen. Immer! Dabei war das Luisle keine einfache Person – aber eine gute. Und immer elegant gekleidet. Ich laufe die Forckenbeckstraße entlang und denke darüber nach, was ich noch von ihr weiß. Sie hatte Humor, einen ganz leisen, aber oft treffenden, und sie hat gerne gelacht. Sie war sehr krank. Gut, dass sie neulich bei der letzten Familienfeier noch dabei sein konnte, und dass ich sie noch einmal gesehen, gesprochen und umarmt habe.

Im Stadion bin ich sofort abgelenkt. Auf dem Rasen liegt eine Fußballmannschaft sternförmig mit den Köpfen zusammen und macht Liegestützen. Eine Minilaufgruppe mit Trainer ist auf der Bahn „Die Armbewegung bringt uns voran“ sagt der Trainer. Sofort bemühe auch ich mich, die Arme ordnungsgemäß zu schwingen. Nach einer halben Runde ist das Einlaufen schon zu Ende und ich beschleunige. 2km im Kreis ist echt öd. Ich vermisse mal wieder den Hasen, der mich immer so unterhaltsam gescheucht hat. Aber der darf gerade leider nicht laufen. *Seufz*. Nach dem ersten Intervall wechsele ich die Richtung, damit ich keinen Drehwurm bekomme und die Bahn sich gleichmäßiger abnutzt. Ich nehme die Außenbahn, die will sonst eh keiner. Mit ist langweilig. Ich denke daran, dass der Hase dann immer „mentale Härte“ gesagt hat, aber ich fühle mich gar nicht gehärtet. Ein bisschen unterhaltsam ist, dass mir jetzt alle entgegen kommen – so viele sind es aber auch wieder nicht. Am Rand des Rasens ist vielleicht der Mann, den Charlotte_York neulich gesehen hat: er läuft auf dem Gras, mal vorwärts, mal rückwärts, mal rechtsrum, mal linksrum, und dazwischen macht er Übungen: Liegestützen, Crunches, Purzelbäume. Purzelbäume? Wozu die wohl gut sind?

Beim letzten Intervall gerät mir irgendwann wieder mal ein Mantra in den Kopf, das geht so: im Rhythmus des Dreier-Atems zähle ich einen seeehr langen Countdown: „vier-mal-rum“ – pff-ff-ff – „vier-mal-rum“ – pff-ff-ff. Dann: „drei-ein-halb“ – pff-ff-ff – „drei-ein-halb“… Immer, wenn auf der Uhr ein Vielfaches von 200 m steht, darf ich eine Stufe weiter runterzählen. Das funktioniert erstaunlich gut, das letzte Intervall ist recht schnell vorbei.

Und jetzt was merkwürdiges: Entweder ich kann überhaupt nicht gleichmäßig laufen (jaha, ziemlich wahrscheinlich), oder ich kann im Uhrzeigersinn schneller als dagegen (das ist natürlich die Pace, nicht die Zeit fürs ganze Intervall!):
5:32 (gegen Uhrzeigersinn)
5:17 (Uhrzeigersinn)
5:29 (gegen Uhrzeigersinn)
5:13 (Uhrzeigersinn)
Vielleicht bin ich auch eine heimliche tibetische Buddhistin, denn die wandeln doch immer um alles im Uhrzeigersinn herum. Allerdings rennen die dabei eher nicht, und es sind auch eher Tempel und andere Heiligtümer, keine Sportplätze.

Erst auf dem Rückweg kommen wieder Gedanken an andere Dinge als Laufen. Es hat nicht wirklich „geholfen“, ich bin immer noch traurig. Aber andererseits wäre es noch viel trauriger, wenn es keinen Grund gäbe traurig zu sein.

Im Regen auf der Bahn

Es ist früh. Zu früh für den Hasen, der außerdem morgens familiäre Verpflichtungen hat. Außerdem regnet es. Auf dem Plan stehen noch einmal 8 x 400m in 1:55. Diesmal laufe ich mich auf dem Weg zum Stadion warm. Mit der orangenen Jacke sehe ich vermutlich aus wie eine BSR-Mitarbeiterin auf der Flucht. Als ich ankomme, fehlen noch 390m, bevor Garmine zum ersten Mal zum Losrennen auffordern wird. Auf der Tartanbahn ist es dunkler als neulich, in der Sporthalle nebenan brennt kein Licht, die Flutlichtanlage der oberen Sportplätze ist aus und die des Eisstadtions flutet nur mit halber Kraft.

Nach einer knappen Runde fiept Garmine, ich beschleunige. Das erste Intervall ist irgendwie ok. Es steht erstaunlich viel Wasser auf der Bahn. Die Innenbahn ist halb überflutet, also laufe ich auf der zweiten. Nach kurzer Zeit steht das Wasser auch in den Schuhen. Oder vielmehr schwappt es drin rum. Heute bleibt das Regen-macht-froh-Gefühl aber irgendwie aus.

Nach einigen Runden erkenne ich gegenüber eine graue Gestalt, die etwas langsamer als ich unterwegs zu sein scheint. Hoffentlich überhole ich den nicht während eines schnellen Intervalls – woher soll ich denn die Puste nehmen, um einen guten Morgen zu wünschen? Als ich mich von hinten nähere, bemerke ich ein lustiges Verhalten: der Mann mag nicht gerne überholt werden. Als er mich hört, beschleunigt er deutlich. Es hilft aber nichts – wenn ich könnte, würde ich ihn einfach abzischen lassen, aber Garmine ist unerbittlich, ich muss diese Runde in unter zwei Minuten laufen, da kann ich gar nichts dafür. Als ich an ihm vorbei ziehe, schnaufe ich ein hoffentlich einigermaßen verständliches „Guten Morgen“, er grüßt wieder und versucht noch etwas Konversation zu machen. Im Sinne von, ich sei ja schnell für so früh, ich schnaufe noch weniger verständlich etwas von „nur ein paar klei*schnauf*ne Inter*schnauf*valle*schnaufschnauf*“. Nach einer Viertelbahn darf ich endlich traben, da zieht er wieder an mir vorbei. Auch beim nächsten Intervall überhole ich ihn noch einmal, dann ist sein Vorsprung groß genug.

Nach der Hälfte stelle ich fest: nein, es macht mir heute keinen Spaß. Ich kann mir definitiv nicht vorstellen, dieses mörderische Tempo (ja, kichert ihr ruhig!) zehn Kilometer durchzuhalten. Zwar habe ich den Plan insgesamt fast eingehalten – aber es fühlt sich einfach nicht so an, als wäre das meine Geschwindigkeit. Andererseits ist es vermutlich nicht gerade förderlich, wenn solche Gedanken auf der Bahn kommen, da sollte ich lieber laufen als denken. Und wenn das der Hase liest, kriege ich sowieso wieder eimerweise sportlehrermäßige Powermotivation ab. Ich glaube, der denkt, ich brauche das. So ein Quatsch.

Irgendwie bringe ich die Sache zu Ende – bzw. schieße etwas darüber hinaus. Nach der letzten Beschleunigung merke ich, ich kann nicht mehr, ich bin zu langsam. Komisch: warum bleibt denn das vorwurfsvolle „Schneller“-Fiepen von Garmine aus? Langsam dämmert’s – und nicht nur mir. Im fahlen Licht erkenne ich, ich laufe zwar langsamer, befinde mich aber bereits im Abschnitt „Auslaufen“. Na dann: nichts wie noch einen Gang rausgenommen, bei der nächsten Gelegenheit die Tribünentreppen hoch und ab nach Hause.

Fast schnell

Es gab schon ein paar Gründe: Weil ich doch jetzt so schnelle Schuhe habe, weil ich ein bisschen verspielt bin und mit dem Garmin mal was Neues ausprobieren wollte und vielleicht auch ein bisschen, weil ich eine „richtige“ Läuferin sein möchte. Jedenfalls habe ich dem Garmin beigebracht, dass ich 2km einlaufen möchte, dann 4x1000m in 5:20, dann wieder 2km auslaufen.

Das Wetter ist super, ziemlich frisch, aber strahlendes Blau (wo ist denn die Aschewolke?), der Volkspark wimmelt nur so von Läuferinnen und Läufern. Dazwischen ich mit piepsendem Garmin – muss der so laut sein? Da hört ja jeder, dass ich hier merkwürdige Experimente mache. Schon dieses laute Runterzählen, bevor der nächste Abschnitt kommt!

Also gut, es geht los – ich merke, dass ich überhaupt kein Gefühl für Zeiten habe und renne viel zu schnell los. Mein elektronisches Helferlein bremst mich. Beim zweiten schnellen Intervall schnaufe ich ziemlich, beim dritten geht es gemeinerweise auch noch einen Hügel hoch und der Garmin ruft dauernd „schneller! schneller!“ Ich komme mir ein bisschen wie eine Hochstaplerin vor: ich und Geschwindigkeit!? Vielleicht hätte ich mich fürs erste Mal auf drei Intervalle beschränken sollen? Jetzt ist es zu spät, da will ich jetzt durch. Nach dem vierten Intervall bin ich froh, dass ich wieder traben darf – aber was ist das denn? 6:00/km fühlt sich richtig gemütlich an. Toll!

Auf die Auswertung bin ich ja sehr gespannt. Und da steht’s: 5:18, 5:17, 5:17, 5:14. Mit Ein- und Auslaufen ist es nicht der schnellste Lauf aller Zeiten, aber ich bin doch ganz überrascht. Das Gefiepe muss ich nun wirklich nicht bei jedem Lauf haben, aber ich mache das sicher bald wieder mal.