Der Urmensch fährt Rad

oder: es bleibt spannend…

Mir hat gefallen, dass der Osteopath sagte, wenn sich der Urmensch wegen jedem Wehwehchen vier Wochen geschont hätte, wäre er verhungert. Ich vermute zwar, dass der Urmensch beim Versuch, mit wehem Bein die Beute einzuholen, vielleicht auch gelegentlich verhungert ist (oder von den vielen Beeren und Pilzen, die er stattdessen essen musste, Bauchweh bekam), gelegentlich vielleicht auch vom Säbelzahntiger erwischt wurde, aber im Prinzip hat es mir trotzdem gut gefallen. Vor allem, weil der Osteopath ja zusätzlich gesagt hatte, er wolle erstmal einen strukturellen Schaden ausschließen, bevor er mich wieder losschickt. Auf dem Röntgenbild war dann tatsächlich nichts zu sehen, also gehe ich davon aus, dass der Mann weiß, wovon er spricht, und habe wie aufgetragen getestet („Aber nicht, nur weil 5-10 km gut gehen, gleich nochmal 18 dranhängen, verstanden?!“). Er sagte außerdem, dass das System auf Heilung eingestellt sei – und immer, wenn ich hinspüre und da noch „etwas ist“, sage ich mir, da drinnen ist gerade der Reparaturtrupp am Werk.

Der erste Fibulatestlauf am Samstag war insofern erfolgreich, dass es kaum noch schmerzte, ach was, eigentlich war da nur so ein leichtes Ziehen. Um aber nicht gleich wieder zu übertreiben, beschließe ich, den letzten langen Lauf durch eine Radeltour zu ersetzen. Ich besitze ein recht schweres Stadtrad, mit trutschigem Lammfellsattelbezug (ganz wichtig, wenn ich mal im Anzug zur Arbeit fahren muss, das schont den Hosenboden ganz enorm – und ist außerdem sehr gemütlich) und Nabenschaltung. Das ist zwar sowieso täglich im Einsatz, für den Anlass wird es aber extra stramm aufgepumpt und die Kette geölt.

Ich fühle mich wie der Urmensch, wild entschlossen, mich nicht unnötig zu schonen, schwinge mich aufs Rad und los geht’s. Weil ich nicht so viel Zeit hatte eine Strecke vorher auszumessen, habe ich nur grob geschätzt, was ungefähr 50 km sein könnten. Sollte mir das nicht reichen, würde ich auch noch zu meiner Abendverabredung mit dem Rad fahren (höhö…). Es geht also los, Richtung Osten, am Südkreuz vorbei, übers Tempelhofer Feld und quer durch Neukölln bis zum Mauerstreifen. Der Plan ist, von dort den südlichen Mauerweg bis kurz vor Teltow abzuradeln, dort am Teltowkanal nach rechts und ziemlich genau nach Norden zurück nach Friedenau. Das Wetter ist super, ein paar Kopfsteinpflasterstraßen in Neukölln behindern ein bisschen mein Vorankommen, aber ich hab’s ja nicht eilig. Der Mauerweg ist sagenhaft toll asphaltiert, vor allem die Strecke zwischen der Schallschutzmauer der Autobahn und Kanal – es sind auch Massen von Skatern, Radlern und sogar ein Handbiker und ein Rennrolli unterwegs. Am liebsten würde ich alle fragen, ob sie für den Berlin-Marathon trainieren.

Am Dörferblick am südlichen Ende von Rudow komme ich vom rechten Weg ab (kein Ahnung, wie man den Mauerweg verlieren kann, ist aber passiert) und gerate nach Großziethen. Eine Familie schickt mich zurück nach Berlin. Bei 35 km stelle ich fest, dass so eine Tour doch etwas anderes ist, als mal eben eine Strecke von einer halben Stunde durch die Stadt zu fahren, und beschließe, abends definitiv die BVG zu nehmen. Der Untergrund ist inzwischen längst nicht mehr so schön, die Strecke aber schon. Es ist tatsächlich Herbst geworden, zwar warm, aber die Farben werden herbstlich, die Brombeeren sind alle aufgegessen, und überall hängen leuchtend rote Hagebutten an den Sträuchern.

Bei 40 km macht der Mauerweg einen ganz scheußlichen kleinen Schlenker durch Lichtenrade, weil es keine Möglichkeit gibt, die Bahnlinie direkt zu queren. Lichtenrade ist mit grauenhaftem Kopfsteinpflaster gepflastert, das beinahe Gehirnerschütterung verursacht – vielleicht hätte ich doch nicht so viel Luft pumpen sollen.

Zurück auf dem eigentlichen Mauerweg fangen die Nahtstellen zwischen den Betonplatten an mich zu stören – welch ein Geruckel – und in den Schultern zieht es auch so langsam. Ein Schild, das ankündigt, dass es noch 13 km bis Teltow sind, verstört mich ein bisschen. Aber Blödsinn, ich bin doch der Urmensch, rufe ich mich zur Ordnung, sei nicht zimperlich, so lange kann das doch nicht dauern. Irgendwie bin ich aber doch froh, als ich den Teltowkanal erreiche und mich auf direktem Weg nach Hause machen darf. Insgesamt kommen knapp 63 km zusammen, ich bin echt geschafft und finde, das muss als Konditionserhaltungsprogramm gelten. So ganz ist das Fahrrad wohl doch nicht das bevorzugte Sportgerät des Urmenschen (ist es ja auch nicht, es ist ein Verkehrsmittel, das ist etwas ganz anderes!). Dazu sagte knopf_13 dann gestern, das sei auch ein Glück, mit Fahrrad hätte er das Urviehzeug womöglich noch schneller ausgerottet. Aber das finde ich, ist haltlose Spekulation.

Tja, und heute war dann der zweite Testlauf – laut Plan nur 8 km, so ein ganz kleines bisschen ziept es immer noch, aber gar nicht schlimm, und morgen ist wieder Physio und dann sehen wir weiter. Wie gesagt, es bleibt spannend…