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oder: was die Supporterin beim Berlin-Marathon erlebt hat

Als der Wecker klingelt, sind unsere diesjährigen Läuferinnen und Läufer schon im Startblock oder kurz davor, vielleicht bei der Kleiderabgabe oder in der Dixieschlange. Zum Frühstück gibt es Marathonfernsehen – Startmusik, fünf Prominasen, die gemeinsam auf einen dicken Knopf drücken, der den Startschuss auslöst, aufsteigende Ballontrauben, Helikopterbilder vom Läuferstrom, wunderbar! Als die Spitzenläufer, noch umringt von ihren gestreiften Pacemakern den genau wie letztes Jahr im Sonnenlicht glitzernden Springbrunnen am Straußberger Platz umrunden, schalte ich aus und breche auf.

Mit dem Fahrrad durch eine Stadt zu flitzen, die für Autos heute beinahe unbenutzbar ist, macht großen Spaß. Als erstes parke ich bei Kilometer 22. Tinadoro mit Mann und Sohn (der gestern den Minimarathon in 18:13 Minuten gefinished hat, super!) kommen auch gerade, dann auch Titouli mit seinen Eltern, die zu Besuch in der Stadt sind. Nach ein paar vereinzelten Handbikern kommen auch schon die Spitzenläufer – wusch! – schon vorbei. Das Fachpublikum um mich herum ist überzeugt davon, dass sie für einen Weltrekord zu spät dran sind – hmmm, die haben wohl alle bis vor wenigen Minuten Fernsehen geguckt? Kaum später wird Jan Fitschen fast mehr gefeiert als die Spitzenläufer, noch etwas später kommen die ersten Frauen. Die Favoritin Kebede ist leicht an ihrer Puschelfrisur zu erkennen.

Als es auf der Strecke etwas voller wird, tut mir die Ordnerin ein bisschen leid, denn die Schöneberger Eltern scheinen größeren Wert darauf zu legen, dass ihre lieben Kleinen Spaß, als dass die Läufer ausreichend Platz haben. Immer wieder werden sie aufgefordert, ein bisschen zurück zu weichen, aber die Kinderlein stellen sich gleich wieder in den Weg um abgeklatscht zu werden, während die Eltern offensichtlich keine Lust haben einzuschreiten. Wobei die Läufer klasse sind, auch wenn sie einen Bogen laufen müssen, klatschen viele lachend die Kinderhände ab. Wir gehen dann aber lieber ein Stück weiter, wo es nicht so voll ist.

Tinadoro und Familie schauen sich jedes Jahr den Zieleinlauf der Schnellsten im TV an, au ja, super Idee – ich bin zwar ein wenig hin- und hergerissen, ob ich damit meine Supporterinnenpflicht vernachlässige, aber eigentlich müsste noch ein bisschen Zeit sein, bis „meine“ Läuferinnen kommen – und running_with_scissors muss ich sowieso schon verpasst haben. Wir schauen uns also die letzten acht Minuten der Männer im Fernsehen an. Das Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Erstplatzierten ist unglaublich spannend. Der Moderator bekommt kaum noch Luft und ruft immer „Das gab es noch nie, so etwas gab es noch nie“. Mutai und Kimetto überqueren die Ziellinie mit einer Sekunde Abstand. Eigentlich würde ich die Frauen auch gerne sehen, aber als gewissenhafte Supporterin gehe ich lieber wieder runter an die Straße. Kaum habe ich wieder Stellung bezogen, kommt auch schon cocobolo vorbei, ich juble ihr zu und freu mich, dass sie mich sieht. Es ist nämlich ziemlich schwer, sich die ganze Zeit auf den Läuferstrom zu konzentrieren. Fünf Jogmapperinnen habe ich in der App als Favoritinnen eingetragen und gelegentlich versuche ich, die Anzeige zu aktualisieren, aber hinter den Namen steht nur N/A. Blöde App. Der Nächste, der vorbei kommt, ist Norvorrun, ich werde kurz geknuddelt, dann ist er schon wieder weg. Auch Zausel, , Charlotte_York, stachel und Inumi sehe ich (Reihenfolge kann falsch sein), freu mich drüber, umarme kurz, laufe ein paar Schritte mit und feuere sie an. Gut sehen sie aus!

Ehrlich gesagt, bin ich teilweise ein bisschen verblüfft, was für Leute da insgesamt so unterwegs sind: es gibt gar nicht wenige, die hier bereits gehen und nicht mehr richtig gut aussehen. Unsere Debütantinnen sind zwar nicht besonders schnell (nichts für ungut!), aber sie laufen wie die kleinen Uhrwerke. Toll – die waren offensichtlich alle im Training richtig fleißig, und jetzt zahlt es sich aus. Nachdem sie alle durch sind, schwinge ich mich wieder aufs Rad und fahre an den Fehrbelliner Platz. Letztes Jahr stand Titouli für mich am Preußenpark – da will ich nicht stehen, das wäre zu traurig – also lieber etwas weiter vorne am Hohenzollerndamm. Ich bin voll konzentriert, denn hier soll ich SWaBS ihre Cola reichen. Die App liefert jetzt Zwischenzeiten, aber ich kann vor lauter Konzentration auf die Vorbeilaufenden nicht ausrechnen, wann es soweit sein könnte. Ich traue mich auch kaum aufs Telefon zu schauen, denn sicher kommen sie genau dann… Neben mir stehen supportende Läufer, die teils fachsimpeln, teils sehr engagiert die Namen auf den Startnummern rufen, worüber sich die persönlich Angesprochenen alle freuen.

Da, hurra, zuerst kommt wieder Norvorrun, dem es an dieser Stelle aber nicht so gut geht. Dann erkenne ich SWaBS, so ein Glück, die aber gerade gar keine Cola möchte, weil sie mit ihrer Puste beschäftigt ist. Laufnad ist auch dabei. Dann kommt renbueh, die nimmt die für SWaBS bestimmte Cola gerne an – prima, doch für was gut. Kurz danach sehe ich einen Läufer am Rand von hinten heranflitzen, der alle anderen überholt – das ist Schalk, der fliegenden Support betreibt und mit seiner Geschwindigkeit die Marathonis auf der Strecke demoralisiert. Bevor er weiterdüst, erfahre ich, dass da gleich noch stachel und SpeedyBunny kommen, aber ich sehe nur stachel, die immer noch ganz gleichmäßig wie das kleine Uhrwerk läuft. Super.

Am Ku’damm quere ich die Strecke. Da das Läuferfeld sich schon ganz schön gelichtet hat, ist das nicht schwer. Am Potsdamer Platz stelle ich mich wie besprochen links von der Strecke auf. Das Supporter-Team für das gallische Dorf (habt Ihr auch Asterix, Obelix, Troubadix, einen Römer und Gutemiene gesehen?) hat leider ein riesiges Pappschild, das mir etwas die Sicht versperrt. Hier sehe ich nur Norvorrun, lonelysoul und renbueh – ich vergleiche die Zwischenzeiten auf der App, die gerade mal wieder gesendet hat, kann immer noch nicht rechnen und vermute ziemlich stark, dass ich alle anderen verpasst habe. Also gut, letzte Etappe.

Am Pariser Platz gibt es eine ganz faszinierende Fußgängerschleuse. Um die zu erklären bräuchte es eigentlich eine Zeichnung. Also: da stehen viele HelferInnen mit einem langen Seil und sperren die eine Hälfte der Strecke in einer langen Schräge ab, so dass die Marathonis auf der anderen Hälfte aufs Brandenburger Tor zu laufen. in der Zeit wird aus einer Umzäunung auf der abgesperrten Seite ein Schwung Leute in ein Gatter auf dem Mittelstreifen gelassen. Wenn das Gatter voll ist, bewegen sich die Leute mit dem Seil sachte, ohne die Heranlaufenden zu stören auf die andere Seite. Das Seil lenkt die Läufer jetzt auf der anderen Seite Richtung Tor, und wenn auf der gesperrten Seite niemand mehr kommt, leert sich das Gatter auf diese Seite. Danach wird es von derselben Seite – vom anderen Ende her, damit sich die Querenden nicht in die Quere kommen – wieder befüllt, und die mit dem Seil wechseln wieder die Seite. War das jetzt irgendwie verständlich? Egal, es war jedenfalls höchst beeindruckend.

Irgendwann bin ich durch, kann mein Rad durchs Tor und dann in den Familienzusammenführungsbereich schieben. Dort bin ich verständlicherweise eher unwillkommen, denn das Gedränge ist gigantisch und der Drahtesel nervt. Mist, ich hätte das Rad draußen parken sollen, aber wo nur, zwischen hier und Tor ist es doch nirgendwo besser? Ich reihe mich hinter einem Kinderwagen ein, der ist ein Stück breiter als ich und bahnt mir den Weg. Da ist das J – und da stehen auch die Jogmapper. Tja, und wie es dort zugegangen ist, war ja schon in vielen anderen Blogs zu lesen.

P.S.: Schalk sagt, dass supporten anstrengender sei als laufen – naja, beinahe. Es hat aber großen Spaß gemacht und mich beinahe damit versöhnt, dass ich nicht starten konnte.