Der lange Lauf muss schon am Samstag stattfinden, denn am Sonntag habe ich besseres vor: das letzte Saisonspiel der Berlin Bruisers als Supporterin verfolgen. Ich habe C. beim Geburtstag meiner Freundin S. kennen gelernt, wo er mir mit Leuchtaugen von „seinem“ Sport Rugby erzählte. Das Gefühl kenne ich, und wenn einer beim Erzählen leuchtende Augen bekommt, möchte ich gerne mehr erfahren.
Das Team, bei dem C. mitspielt sind die Berlin Bruisers, „Germany’s first gay and inclusive Rugby Team“. Das heißt, die Spieler kommen aus wer weiß wie vielen Nationen, die meisten sind schwul, es spielen aber auch ein paar Heten mit.
S. ist ständige Supporterin der Bruisers und fährt C. mit dem Auto zum Spiel, ich darf auch mit. Pünktlich zwei Stunden vor Anpfiff sind wir im Stadion von Stahl Hennigsdorf, einem Traditionsverein, in dem schon seit 1948 Rugby gespielt wird. Da die Bruisers kein eigenes Spielfeld haben, haben sie nur Auswärtsspiele, d. h. auch das Hinspiel fand schon hier statt. Kurz nach uns trudelt das Team ein, alle begrüßen sich herzlich, stehen noch eine Weile rum, bis sie sich dann ins Spieloutfit werfen, das „Kit“ heißt und zu meiner Verblüffung so gut wie keine Polsterung besitzt (es ist allerdings erlaubt, ein ganz dünn gepolstertes Leibchen drunter zu tragen, was einige auch tun). Es gibt beim Rugby auch keine Helme wie bei American Football, sondern eine Art textilen Kopfschutz (Scrum-cap) von maximal 10mm Polsterung, den aber nur wenige Spieler vor Ort tragen. Mundschutz müssen alle tragen. Außerdem entfernen die Spieler, die welche haben, ihre Ohrpflöcke und kleben sich Pflaster über die Löcher. Ein Spieler kommt angelaufen und bittet uns, mit seiner Kamera das Spiel zu fotografieren. Da S. nicht möchte, habe ich plötzlich eine Aufgabe, super. Das Tele finde ich etwas gewöhnungsbeürftig (70-210mm) – ich bin keine Fotografin, habe aber vor, mein bestes zu geben.
Mir gefällt schon das Aufwärmen. Die Bruisers laufen viel, werfen und fangen den eiförmigen Ball und üben Scrum, das „Gedränge“. Stahl hat dicke folienüberzogene Schaumstoffquader mit Griffen an der Rückseite, die von einem Spieler gehalten werden, während die anderen mit voller Wucht dagegen rennen. Sie haben auch eine Scrum-Maschine. Materielle Überlegenheit auf ganzer Linie – nun ja, das Hinspiel haben die Bruisers mit ungefähr 0:70 verloren, und heute erwarten sie nicht viel mehr.
Kurz vor Anpfiff erscheinen die Cheerleaders von Stahl, kleine Mädchen zwischen vielleicht 5 und 12. Sie bilden ein Spalier und wedeln aufs Niedlichste mit ihren blauweißen Puscheln, während ihre Mannschaft zu Fanfarenklängen einläuft. So etwas haben die Bruisers nicht, und einige unserer vielleicht zehn Supporter verdrehen ein wenig die Augen angesichts von so viel Pomp. Wir haben aber auch einen Cheerleader: J. trägt einen Morphsuit und zwei Glitzerbändchen in Bruisers-Lila und springt elfengleich am Spielfeldrand auf und ab. Ich finde J. großartig und lerne ein wenig Fachvokabular von ihm und dass wir unser Team mit „GO BRUISERS!!!“ anfeuern.
Das Spiel wird angepfiffen, die Mannschaften stürmen los. Es geht darum, den Ball hinter die Ziellinie der gegnerischen Mannschaft zu tragen – werfen nach vorne ist nicht erlaubt, Abspiel zu Mitspielern nur nach hinten. Wer mit dem Ball rennt, wird von der Gegenmannschaft getackelt, also zu Boden geworfen, und versucht schnell noch den Ball an die eigenen Leute abzugeben. Das soll durch einen Ruck begünstigt werden, das heißt, Mitspieler werfen sich über den am Boden liegenden Ballhalter, damit der den Ball an die eigenen Leute abgeben kann. Wenn es gelingt, den Ball hinter die Ziellinie zu schaffen, heißt das Try (Versuch). Die Mannschaft bekommt fünf Punkte und darf noch einen Conversion Kick ausführen – von wo genau habe ich nicht verstanden, jedenfalls auf einer Linie, die die Stelle, wo der Try erzielt wurde, parallel zum Spielfeldrand schneidet. Dabei wird der Ball mit dem Fuß auf das H-förmige Tor geschossen, und wenn er zwischen den senkrechten Stangen hindurch über die Querlatte fliegt, gibt es noch zwei Punkte. Ob das geklappt hat, kann ich kein einziges Mal erkennen, aber da hinten stehen Spieler mit Fähnchen, die sie hochhalten, wenn getroffen wurde, so dass auch ahnungsloses Publikum Bescheid weiß. Die Bruisers verteidigen gut, und es vergeht fast eine Viertelstunde bis Stahl den ersten Try erzielt. Unsere Supporter sind euphorisch, manche versteigen sich zur Spekulation, dass heute vielleicht doch der erste Try der Saison drin sein könnte. Zweimal sind die Bruisers ganz knapp davor, aber wenige Meter vor der Linie wird unser heranstürmender Spieler zu Boden gerissen und Stahl schnappt sich den Ball. Schade.
Fouls werden mit einem Scrum, einem Gedränge geahndet. Drei Reihen von Spielern stehen einander gegenüber. Nach genauen Regeln und auf Kommando des Schiedsrichters verknäulen sie sich zu einer Art Schildkröte, der Ball wird gerade unter dieses Gebilde gerollt und beide Teams versuchen, die anderen weg- und sich selbst über den Ball zu schieben, damit der eigene Hooker (deutsch: Hakler) den Ball dem eigenen Team zuschubsen kann. Der wird dann hinten durchgereicht, irgendwer brüllt „Ball’s out!“ und das Spiel geht weiter.
Einwurf – Line-out – ist auch spektakulär: Spieler beider Mannschaften bilden eine Gasse, der Ball wird in die Mitte zwischen beiden Reihen eingeworfen. Mehrere Spieler stemmen einen aus dem Team hoch, damit der hoffentlich dem Gegner den Ball wegschnappt.
Bis zur Halbzeit steht es „nur“ 0:14 – das ist schon ziemlich klasse. Außerdem heißt es, die Bruisers spielen ausgesprochen fair, das wird von vielen Schiedsrichtern honoriert (C. sagt, es fehle aber auch an Erfahrung was effizientes Foulen angeht). In der zweiten Halbzeit lassen die Kräfte dann etwas nach, Stahl Hennigsdorf erzielt noch einige Punkte, aber das macht alles nichts. Am Ende steht es 0:50, der Coach ist mit seinen Bruisers sehr zufrieden, denn sie haben sich im Laufe der Saison merklich gesteigert, Erfahrung gewonnen, und nach der Saison ist schließlich vor der Saison: in der nächsten werden sie garantiert den ersten Try in einem Ligaspiel schaffen.
Mir hat es gut gefallen, und vielleicht darf ich in der nächsten Saison ja wieder einmal mit. Die Bruisers haben jedenfalls einen Fan mehr. Die Fotografin von Stahl hat übrigens viel bessere Fotos gemacht als ich, falls jemand schauen möchte, hier sind sie.