Es ist kurz vor halb sieben, draußen krähen eine Menge Hähne. Kurz überlege ich, ob ich doch noch zu müde bin, aber dann krame ich doch die Laufsachen aus dem Gepäck und trete auf die Terrasse vor unserem Zimmer. Überall stehen Blumenkübel, Mila liebt ihre Blumen und hat aus allen möglichen alten Eimern und anderem Schrott bunte Pflanzgefäße upgecyclet. Gestern hat sie mir in einer Runde ums Haus alle gezeigt, mich an Blumen und Kräutern riechen lassen, und während des Kochens kam sie mehrmals in den Garten, um Kräuter und Chillies zu holen. Das Abendessen war sensationell, köstlicher Salat, frisches fluffiges Brot, gebackener Schafskäse mit Honig, Kräutern und frischen Feigen, große saftige Shrimps mit Rosmarin und Chilli, eine unglaublich zarte Seezunge, und zum Nachtisch geschnittenes Obst mit etwas Soße aus Kornelkirschenmarmelade und Kräutern – bis gestern wusste ich nicht, was Kornelkirschen sind, aber das Haus hat zum Glück WLAN.
Das Glöckchen am Gartentor bimmelt ein wenig, als ich es auf- und wieder zuziehe, dann trabe ich die Straße der 40 Wissenschaftler hinab, biege kurz in die Hauptstraße ein, die von rechts aus dem Zentrum von Sarandë herauf führt, aber ich laufe nach links und gleich wieder rechts weg Richtung Burg. Sarandë ist nicht gerade schön, an den Hängen stehen fast mehr Bauruinen als fertige Häuser. Titus war in den Achtzigern schonmal mit einer Uni-Exkursion hier und hat bisher gar nichts wiedererkannt. Ich glaube, es gibt hier kein einziges altes Haus mehr, gesehen haben wir jedenfalls noch keines.
Direkt am Meer entlang zieht sich eine Bergkette, dahinter eine Ebene, und hinter den Bergen dahinter kommt gerade die Sonne hoch. Ich trabe die Straße zur Burg hoch, das ist nicht sehr weit. Mir begegnet ein älterer Mann, drei Jungs kommen mir im Dauerlauf entgegen, wobei das eher nach „der Schulbus fährt gleich ab“ als nach sportlicher Aktivität aussieht. An allen probiere ich mein „Mirmengjes“ aus, alle antworten. Prima, der Sprachführer scheint zu funktionieren.
Auf dem Sattel unterhalb der Burg steht ein kleiner Leuchtturm, von hier kann ich endlich das Meer sehen. Die Luft ist diesig, das Meer schön, Sarandë nicht so. Gestern sind wir nach der Ankunft mit der Fähre auf der Suche nach unserer Unterkunft ziemlich lange herumgeirrt, weil auf dem Anfahrtsbildchen bei booking.com die Straße falsch eingezeichnet war. Anscheinend ist es so, dass man hier auf Fragen gerne freundliche Antworten bekommt, das muss aber nicht heißen, dass die gefragte Person tatsächlich etwas weiß. Vorher buchen hat echt Nachteile. In einer Strandbar, wo wir einkehren, weil es WLAN gibt, wovon wir uns weitere Erkenntnisse erhoffen, ist der Barmann lustigerweise ein Cousin unseres Wirts. Er telefoniert und zwanzig Minuten später werden wir abgeholt. Die Unterkunft – Villa Joanna & Mattheo liegt dann keinesfalls im Zentrum wie angenommen, dafür gibt es Aussicht über die Ebene bis zu den Bergen.
Die Burg ist offen, im Burghof stehen viele Tische und Stühle, hier muss in der Saison – oder später am Tag – richtig was los sein. Von der Terrasse aus versuche ich es mit ein bisschen fotografischer Dokumentation, wie ging das mit dem Panorama-Modus? Da unten steht das Haus von Mila und Iliri.
Als ich wieder aus dem Burgtor laufe, kommt mir eine Herde schöner bunter Ziegen entgegen. Der alte Hirte scheucht gerade einen freilaufenden großen Hund mit dem Stock weg. Blöd, der steht jetzt in der Abzweigung, wo ich gehofft hatte auf der Meerseite runterlaufen zu können. Ich grüße den Hirten und versuche zu fragen, ob ich wohl an dem Köter vorbeikomme, aber der Mann sagt nur „jojo“ (was „nein“ heißt) und weist mit dem Stock die Straße entlang, so dass ich dieselbe Strecke zurück nehme. Noch einmal versuche ich einen alternativen Schotterweg, aber auch dort werde ich von zwei ganz plötzlich in aggressives Gebell ausbrechenden Hunden erschreckt. Zum Glück ist zwischen uns ein Zaun, auch wenn der nicht sehr zuverlässig aussieht. Überhaupt scheinen die Hunde hier rechte Langschläfer zu sein, die inzwischen leider alle aufgewacht sind.
Auf dem Rückweg biege ich wieder in die Straße der 40 Wissenschaftler ein (ich liebe diesen Straßennamen!), laufe dann aber doch am Haus vorbei, denn es ist gerade erst eine halbe Stunde rum. Auf den Berg der 40 Wissenschaftler gelange ich aber leider nicht, denn die Stichwege führen immer nur bis zu den Einfahrten der Häuser und Bauruinen. Einmal kürze ich über ein Brachgrundstück ab. Ein struppiger kurzbeiniger Hund kommt mir entgegen, der aber sehr gut auf den alten Trick mit dem nach-einem-Stein-bücken reagiert und verschreckt weghüpft. Fast finde ich es unfair, meinen morgendlichen Hundefrust ausgerechnet an so einer harmlos aussehenden Töle auszulassen – wobei, um das klarzustellen: ich habe mich nur gebückt und einen Stein weder aufgehoben noch geworfen.
Ich umrunde einen schönen Moscheeneubau, der noch nicht fertig ist. Man kann durch die Fenster reinschauen, in einem Raum stehen bunte Schulmöbel, in der großen Halle liegt ein halb zusammengerollter großer Teppich. Weil es keine weitere Querverbindung zu meiner Straße gibt, laufe ich ein zweites Mal ein Stück Hauptstraße, bevor ich wieder in die 40 Wissenschaftler einbiegen kann (ha, ich konnte es nochmal hinschreiben!). Der alte Mann im Kiosk an der Ecke lacht, als er mich schon wieder sieht und winkt freundlich. Der Lauf endet am Gartentor zu Milas Blumenparadies.
P.S.: Wir haben uns eben schlapp gelacht über die späte Erkenntnis, dass die Straße leider gar nicht, wie Iliri übersetzt hat „Street of 40 Scientists“ sondern „of 40 Saints“ heißt. Wäre ja auch zu schön gewesen!