Damit die Etappen auf der Reise in den Wilden Süden nicht so lang sind, unterbrechen wir die Fahrt in Bad Wildungen (die kleine Mitbewohnerin blödelte vorher dauernd rum, dass es Titouli und mir womöglich helfen könne, nach Bad Bildung zu fahren). Der erste Eindruck beim Gang durch die Altstadt mit ihren schiefen, hübsch renovierten Fachwerkhäusern: malerisch, sehr malerisch. In einem ruhigen Café hinter der Kirche befragen wir erstmal das Internet nach einer Unterkunft (früher sind wir immer einfach losgezogen und haben direkt gefragt, ob was frei ist). Als die bezogen ist, werfe ich mich gleich in Laufsachen, wer weiß, wie lange die Gastronomie hier Abendessen serviert.
Ich laufe stadtauswärts auf den Homberg zu. Bereits im Kurpark fällt mir auf, dass ich vergessen habe, vorher noch einen Schluck Wasser zu trinken. Das macht in einem hessischen Kurort aber nichts, denn ganz zufällig komme ich an einem Gebäude vorbei, an dem vorne ein kleines Becken mit zwei Wasserauslässen angebracht ist. Auf Knopfdruck soll hier „Waldquelle“ oder wahlweise „Georg-Viktor-Quelle“ sprudeln. Infotafeln erklären, was im Wasser drin ist, und wogegen es hilft. Nur „Waldquelle“ funktioniert. Das Wasser ist ein bisschen sauer und sprudelig, schmeckt sehr gut. Weiter geht’s. An fast jedem Laternenmast hängen kleine Schilder von Lauf- und Wanderwegen, Laufroute 2, 5, 8, Wanderweg 1, 5, 6, Nordic Walking Strecke 36, 37, 38. Wenn ich jetzt noch wüsste, wie lange die sind und wo sie hinführen, könnte ich mich vielleicht entscheiden. Muss ich aber gar nicht. Der Weg führt in den Wald hinein, es riecht gut, die Vögel singen, Laufen macht Spaß. An der Reinhardshöhe zeigt der Laufwegweiser geradeaus, um den Berg herum. Och nö, wenn ich schonmal eine Anhöhe zur Hand habe, gehts da auch rauf. Am Anfang geht das noch leicht. Ich schnaufe zwar, trabe aber langsam und stetig bergan. Na bitte, ist doch gar nicht so schlimm. Nach einer Weile fürchte ich, mit dem Geschnaufe die Waldtiere zu erschrecken, dann lässt der Wille nach, unbedingt bis oben durchzulaufen, dann die Motivation, es aber mindestens bis zur nächsten Wegbiegung zu schaffen. Erwähnte ich schonmal, dass es bei mir mit dem Beißen nicht sonderlich weit her ist? Egal, eigentlich ist Regenerationswoche, dann gehe ich eben bis zur Biegung. Das aber zügig, jawoll. Hinter der Biegung steht eine Aussichtsbank. Die Aussicht funktioniert aber nur im Winter, wenn keine Blätter da sind. Na gut, dann eben nicht Aussicht, sondern antraben. Neben dem Weg wächst hoher lila Fingerhut. Man könnte alle Finger beider Hände in die üppigen Blüten stecken. Wäre das schon giftig? Nicht, dass ich es tun wollte. Nach einigen weiteren Kurven bin ich oben. Auf dem Homberg, 518m, seit 1882 mit einem Aussichtsturm versehen. Da muss ich auch noch rauf. Schnaufend komme ich oben an. Ein Fotograf steht auf der Plattform und findet die Sicht nicht gut genug. Vielleicht nicht zum Fotografieren, zum Schauen ist es ganz wunderbar. Vor uns Bad Wildungen, die kreisrunde Altstadt ist gut zu erkennen, drum herum Wälder und Hügel, das da im Norden muss der Kellerwald sein.
Nach einer kurzen Pause steige ich ab und trabe wieder an. So, es geht abwärts. Auch das bin ich nicht gewohnt, und versuche mich zu erinnern, was ich übers Bergablaufen gehört habe. Hüfte vor, die Füße nicht vor dem Körperschwerpunkt aufsetzen? „Rollen lassen“ schreiben die bei Jogmap immer. Nicht zu doll bremsen. Geht das? Volle Konzentration! Es geht, es macht Spaß. Ein Wegweiser zeigt zur Frühstücksbuche. Weshalb die wohl so heißt? Ob sie unter all den Buchen hier wohl überhaupt zu erkennen ist? Ist sie, es hängt eine Tafel dran. Sie ist auch ziemlich groß und formschön. Zum Frühstücken steht eine Bank drunter. Der Radler, der drauf sitzt, hat aber keinen Proviant bei sich. Er grüßt freundlich, ich grüße zurück, und schon bin ich vorbei gerollt. Am Weg steht ein geschnitzter Storch, dem jemand ein rotweiß gepunktetes Halstuch umgebunden hat. Nach einigen Kurven höre ich das ploppende Geräusch von Tennisbällen auf Sandplatz, und da ist der Wald auch schon zu Ende. Ein Fußweg führt am Bornebach entlang durch den Kurpark Richtung Stadt. Da stehen weiße Holzliegen auf Beinen aus dicken Stahlfedern, wie sie die Wackeltiere auf Kinderspielplätzen haben. Die geben dem Wort Federbett eine ganz neue Bedeutung. Neben einer Bank steht ein gebogenes dickes Edelstahlrohr mit einem waagerechten Trichter am oberen Ende. Ich frage die älteren Frauen auf der Bank, was das ist. „Da können Sie hineinsprechen“ sagt die eine. Ich halte an, sage „Hu“ in den Trichter und höre ein Echo. „Das ist ein Echo“, sagt die andere. „Dass Sie dafür Zeit haben“, sagt die erste. Ich muss lachen. „Ich habe Urlaub“, sage ich, sie absichtlich missverstehend, und trabe wieder an. Der Trichter gehört zu einem „Garten der Sinne“, dessen weitere Stationen ich aber links liegen lasse. Bei der nächsten Gelegenheit nehme ich den barrierefreien Serpentinenweg (gerade durch gäbe es auch eine Treppe) aus dem Tal nach oben Richtung Brunnenallee, da bin ich auch schon am Ziel.