Es beginnt an Pfingstsonntag um halb sieben mit einem Motivatiostief. Es regnet. Diverse Wetter-Apps (wer hat schon nur eine?) behaupten, es würde gleich aufhören, ab elf aber wieder leichte Regenschauer und starken Wind aus Westen mit Böen bis zu 48 km/h geben. Außerdem ist es grausig kalt. Warum will ich da nochmal hin? Der knieoperierte Liebste verkündet unter der Bettdecke hervor, ich solle mich nicht anstellen, der Lauf wird toll. Ah ja. Immerhin darf ich laufen. Außerdem bin ich mit dem Hasen verabredet, der dieses Mal leider nicht mein Hase ist, sondern nur die zehn läuft, aber wir wollen wenigstens gemeinsam starten.
Auf dem Bahnsteig Heidelberger Platz erwartet der mich schon und wir berichten uns gegenseitig von unseren Motivationstiefs und den anspornenden Worten, die wir jeweils zu Hause zu hören bekommen haben. Lustig. Gemeinsam sind wir aber gleich wieder gut gelaunt.
Am Olympiastadion gibt es sogenannte Taschenkontrollen. Geht fix, und schon sind wir drin. Wir sind früh dran und besichtigen die Baustelle des Olympiabads. Ich weiß ja nicht, ob das eine Chance hat, bis Juni fertig zu werden.
Bei der Beutelabgabe treffe ich zufällig Stachel und Thoröö, das ist ja nett! Stachel ist auf Bestzeitenkurs für den HM, die beiden machen sich auf in den Startblock. Ich mache noch einen kleinen Umweg über die sagenhaften, gut beheizten Toiletten – keine Schlangen, purer Luxus! – dann gehen auch der Hase und ich in den Startblock. Weil der Hase umgemeldet hat, muss er nach hinten, aus Geselligkeit gehe ich mit. Er hat seine Liebste, die Frau Schwimmt, zum Supporten extra kurz vor die Abzweigung der Zehner bestellt, damit sie mir auch noch zujubeln kann. Das ist super, denn ich sehe die Frau Schwimmt viel zu selten.
Eine Frau neben uns fragt mich „Was haben Sie denn da am Arm, ist das ein Fernseher?“ Unerhört, es ist das neue Spielzeug! Ich behaupte, das sei eigentlich eine ganz zierliche Uhr, die nur an meinem Arm ein wenig groß wirkt. Ts, Leute gibt’s!
Dann geht es tatsächlich los, und wir schlängeln uns gemütlich, aber stetig zwischen noch gemütlicher dahintrabenden Läuferinnen und Läufern durch. Nach zwei Kilometern erreichen wir so langsam Reisegeschwindigkeit, noch schneller möchte ich nicht, sonst könnte es hinten raus schwer werden. Vier Kilometer sind im Nu vorbei, da steht die Frau Schwimmt, wir drücken sie beide kurz, dann auch noch einander, denn hier muss der Hase auch schon abbiegen. Schade.
Der Wind bläst kräftig von hinten, aber leider schiebt er ja von hinten nie so doll, wie er von vorne bremst. Das Wetter ist prima, mir ist fast zu warm. Es läuft leicht und entspannt, heute habe ich keine Zeitambitionen, bzw. habe dem Liebsten und der Nachbarin gesagt, ich würde einen glatten Sechserschnitt laufen, damit leicht auszurechnen ist, wann ich am Kranzlereck bin. Siegessäule, kurz danach überhole ich ein große Gruppe vergnügter SpanierInnen aus Motril. Das steht jedenfalls auf den Shirts. Am Brandenburger Tor steht eine Trommlergruppe, dann geht es auch schon in einer flotten Rechts-links-rechts-Kombination auf den Gendarmenmarkt. Dort macht eine ausgelassene, jugendliche Touristengruppe laut und ausdauernd eine Welle nach der nächsten. Super. Auf der Leipziger Straße Richtung Potsdamer Platz fallen die ersten Tropfen, der Regen wird dichter, fällt schräg und kalt von vorn, und ich frage mich, wie lange es wohl dauert, bis ich richtig nass bin. Der Wind versucht, mir die tief in die Stirn gezogene Mütze runterzuwehen, aber schon auf der Tiergartenstraße lässt der Regen wieder nach, und vor dem Wittenbergplatz ist er vorbei und fängt auch nicht wieder an.
Am Staffelwechselpunkt startet gerade eine ganze Horde Superheldinnen in bunten Kostümen: mehrere Batwomen, Superwomen, Spiderwomen. Gibt es eigentlich wirklich keine bekannten Comic-Heldinnen außer Gutemiene? Sie gefallen mir trotzdem, und mit frischen Superkräften entschwinden sie langsam nach vorne.
Am Kranzlereck stehen der Liebste und die Nachbarin. Kurz drücken und ihnen auftragen, im Olympiastadion auch nach Stachel und Thoröö Ausschau zu halten, schon bin ich vorbei. Der Wind ist gar nicht so schlimm wie gedacht und die Kilometer gehen schnell vorbei. Ok, das Ende der Kantstraße zieht sich ein wenig, die Steigung bis zum Theodor-Heuss-Platz ist deutlich zu spüren, und dass direkt vor dem Olympiastadion erst Kilometer 23 ist, ist schon ein bisschen hart. Das ist überhaupt der längste Kilometer – garantiert um die Hälfte länger als seine Kollegen. Damit es unter zweieinhalb Stunden reicht, lege ich ein Schippchen drauf, renne nochmal, was die Beine noch hergeben und da geht es auch schon in den Tunnel. Die Trommeln sind laut und toll, ich schreie laut sowas wie „wuhuuuu“, renne, renne, auf die blaue Tartanbahn. Oh, da ist ein zweiter Bogen gegenüber dem eigentlichen Ziel, es ist ein Spendentor, und wer durchläuft, spendet fünf Euro an die UN-Flüchtlingshilfe. Der kleine Schlenker geht jetzt auch noch, dann aber wirklich Endspurt, Ziel, 2:29:34. Wenn das kein Sechserschnitt ist, weiß ich auch nicht (mit Negativsplit wegen langsamem Start!).
Auf den Stadiontreppen treffe ich Stachel und Thoröö wieder, sie haben heute Hochzeitstag, und Stachels PB ist geglückt, darauf trinken wir erstmal ein echtes Bier. Anderes gibt’s auch nicht. Als wir die Klamotten zurück haben, telefonieren wir uns mit dem Liebsten zusammen. Der hatte natürlich recht gehabt: es war ein sehr schöner Lauf.