Tatsächlich bin ich schon zum fünften Mal beim Potsdamer Schlösserlauf zum Halbmarathon angemeldet. Dieses Jahr habe ich verletzungsbedingt nicht wirklich viel trainiert, und schon gar kein Tempo, aber egal, Potsdam muss sein, da ist es einfach so schön.
Inzwischen ist es schon fast Routine: der Regionalexpress nach Magdeburg fährt um 7:17 ab Zoo, kurz nach halb acht verlassen wir in Potsdam den Hauptbahnhof. Schon von der Rolltreppe sehen wir die Läufertraube am Shuttlebus, aber eine freundliche Ordnerin schickt uns auch gleich nach rechts zur Straßenbahnhaltestelle, da käme gleich die Sondertram. Ich liebe die Sondertram, die ist viel netter als der Shuttlebus, bin also mit der Einweisung sehr zufrieden. Nur, dass die Bahn nicht kommt, stört ein wenig. Manche Läufer überlegen, doch zu den Bussen rüberzurennen, aber dort drängeln sich immer noch die Läufermassen in sehr wenige Busse. Um 8 kommt eine reguläre Tram 91 zum Bahnhof Pirschheide, die wird geentert. Wir quetschen uns rein wie in Tokio zur Rush Hour, einige Fahrgäste bekommen Angst, dass sie nicht mehr raus gelassen werden und schimpfen ein wenig rum, dass diese ganzen Läufer da alles versperren. Eine Läuferin findet, dass gut gelaunte Läufer viel angenehmere Mitreisende seien als besoffene Fußballfans, aber das zieht bei dem älteren Herrn nicht, er grummelt weiter. Viel besser verstehe ich die Leute, die an den folgenden Haltestellen warten und keine Chance haben, in die Bahn reinzukommen, denn von uns steigt schließlich niemand aus.
Am Luftschiffhafen angekommen finden wir alles anders vor als in den Vorjahren: Messe und Startnummernausgabe sind in der neuen MBS-Arena. Da ist leider nicht genug Platz für die Gepäckabgabe. Dafür stehen wir vor einer kleineren Halle nebenan Schlange. Um überhaupt in die Halle reinzukommen. Drin geht es dann aber einigermaßen zügig voran. Praktisch ist das alles nicht wirklich, aber, wie ich in der Toilettenschlange erfahre, ist die große Leichtathletikhalle schon seit dem Winter wegen Einsturzgefahr gesperrt. Na gut. Wir sind gerade noch so rechtzeitig, um uns in den Startblock einzureihen. Olly, der vor zwei Wochen in Kopenhagen Marathon gelaufen ist, will mich begleiten und sicherstellen, dass ich unter zwei Stunden bleibe. Ich erkläre ihm, wie das mit dem Hasieren geht, dass er mich nämlich erst auf den letzten drei Kilometern scheuchen darf. Vorher muss die Sache Spaß machen, erst dann ist ein bisschen Quälen von Seiten des Hasen erlaubt.
Das Wetter ist traumhaft, die Strecke touristisch wertvoll und immer wieder schön. Ganz besonders bei knallblauem Himmel und tollem Licht. Langsam einrollen auf der Zeppelinstraße, es rollt wirklich, die Beinchen laufen ein Tempo, das sich vorläufig anfühlt, als könne es immer so weitergehen, völlig gleichmäßig 5:40, 5:33, 5:33, 5:31, 5:30, 5:27, fein, das ist das Uhrwerk, der Hase hat nichts zu tun. Brandenburger Tor, Altstadt, über die Havel, Richtung Babelsberger Schlosspark, dort abbiegen auf die Berliner Seite und über die Glienicker Brücke zurück nach Potsdam. Hier sind zwei langsamere Kilometer mit 5:43 und 5:40 – das Schneckengekringel unter der Brücke durch kostet etwas Zeit, dann noch der VP. Durch den Neuen Garten und die Nauener Vorstadt nehmen wir wieder Fahrt auf, es geht durch die Russische Kolonie Alexandrowka mit ihren schönen Blockhäusern – und dann passiert’s: vor uns Polizei und Blaulicht: „An die Läufer, hier spricht die Polizei.“ Ich kriege einen Schreck und denke, es sei etwas passiert. „Verlangsamen Sie bitte ihren Lauf und bleiben Sie an der Straße für eine Minute stehen. Es findet ein Radrennen statt. Bleiben Sie bitte stehen!“ Bitte was? „Sie können in einer Minute weiterlaufen. Bleiben Sie bitte stehen!“ Tatsächlich, auf der Jägeralle kommen Rennräder angesaust, begleitet von Autos mit weiteren Rädern auf dem Dach. Das sieht schwer nach Profiveranstaltung aus. Aber was soll das? Wie schlecht darf eine Gemeinde denn ihre Sportveranstaltungen koordinieren? Wir lassen einen Pulk Radler durch, der nächste kommt erst in einigen hundert Metern. Die ersten LäuferInnen stürzen sich zwischen die Begleitfahrzeuge und die meisten folgen. Lange bevor der nächste Radler herangezischt ist, haben wir die Straße gequert. Die hinter uns müssen wieder warten. Bloß gut, dass es bei mir heute nicht wirklich auf Zeit geht, sonst hätte mich das mehr gestört.
Durch den Hintereingang dürfen wir wieder in den Schlosspark Sanssouci, schau mal, Touristen! Einige applaudieren sogar. So langsam wird es anstrengend. Ich habe wirklich nicht Tempo trainiert und finde die Angelegenheit mühsamer als erwartet. So langsam darf der Hase zwar seinen Dienst aufnehmen, aber ich habe ein kleines Motivationstief und reagiere eher grummelig. Der Hase weiß nicht, was er tun soll, und ist sicherheitshalber wieder still. Mein linker Fuß tut weh. Was soll das? Ich habe keine Lust mehr. Der Hase ruft ein verhaltenes „Tschakka“, aber das hilft im Moment auch nicht (ehrlich gesagt, konnte ich das Wort noch nie leiden – die Kilometer vor und nach dem Neuen Palais gehen in 5:37 weg – na, das sollte doch noch immer locker reichen? Aber irgendwie hat Garmine mal wieder zu viel gemessen, und es wird knapp). Die Strecke am neuen Palais zieht sich. Ein Vorfußläufer mit Trinkrucksack überholt in einem Affenzahn. Er rollt kein bisschen über den ganzen Fuß, sondern hüpft die ganze Strecke auf Zehenspitzen. Das sieht ein bisschen lustig aus, scheint aber extrem effizient zu sein.
Der letzte Verpflegungspunkt, es sind nur noch zwei Kilometer. Die Forststraße zieht sich, wie jedes Jahr, aber ich versuche noch ein bisschen Gas zu geben, 5:24, 5:19 – aber ich habe wirklich keine Lust mehr. Der Hase versucht zu motivieren, und die Igelin versucht schnaufend, das Tempo zu halten. Endlich sind wir ums Stadion rum, die Frau in der Kompressionstight und dem neonpinken Shirt kriege ich noch, die davor auch noch? Nein, die beschleunigt ebenfalls, die kriege ich nicht. Ich renne nochmal, so schnell ich noch kann und schon ist die halbe Stadionrunde vorbei und das Ziel erreicht. 1:59:06. Naja, gerade noch so unter zwei Stunden. Ich bin platt. Das Clausthaler schmeckt nicht. Wollen wir die Urkunde ausdrucken lassen? Da stehe ich doch tatsächlich in der Männerwertung drin – nicht dass die Wertung in meiner Preisklasse irgendeine Rolle spielt, aber trotzdem. Vermutlich hat jemand in der Organisation versucht mitzudenken und Vermutungen über anderer Leute Geschlecht angestellt. Tststs, die letzten viermal haben sie es doch auch hinbekommen. Es gibt aber einen Reklamationsstand, der sich als ziemlich interessant erweist. Da gibt es einen jungen Mann, der mit der richtigen Startnummer einen falschen Namen ausgedruckt bekommen hat. Und die Erste der W75, die gemeinerweise mit der W70 gewertet und dort nur Dritte geworden wäre. Alle bekommen geholfen, auch meine Urkunde erfährt eine Geschlechtsumwandlung, die mich immerhin vom 140. Platz der M50 auf den 23. der W50 befördert.
Fazit: das war viel anstrengender als sonst. Ich habe dieses Jahr einfach noch viel weniger Kilometer in der Statistik als letztes Jahr und es waren gar keine wirklich schnellen dabei. Die Beinchen mögen zwar noch einen halbwegs flotten Schritt, aber um den gleichmäßig durchzuhalten, war einfach die Kondition und Kraft noch nicht wieder da. Auf dem linken Fuß, der noch nie Theater gemacht hat, ist eine Beule zu sehen. Die ärgert mich ganz besonders, jetzt, wo gerade der rechte wieder schmerzfrei mitspielt. Immerhin tut sie heute nicht mehr weh, aber eine Warnung ist es schon, nicht gleich wieder übermütig zu werden.