Kämpfen in Kaulsdorf

Der Schalk hatte eingeladen – zum Kaulsdorfer Seenlauf mit wahlweise 6 oder 12,5 km. Ich freu mich. Aufs Laufen, aber noch mehr darauf, einige der supernetten JogmapperInnen zu treffen. 

Leichtsinnigerweise habe ich mir vorher die Website angesehen, und konnte es auch nicht lassen, in die Ergebnislisten des 12,5-km-Laufs vom letzten Mal zu schauen. Und da steht es: die letztjährige Siegerin der AK W50 hat 68 Minuten gebraucht, d. h., sie ist eine 5:30er Pace gelaufen. Diese Tatsache verursacht Rangeleien zwischen meinem heimlichen Ehrgeiz und seinem Gegenspieler, dem gepflegten Understatement, denn einerseits kommt’s ja immer nur auf die eigenen Möglichkeiten an (um den Schalk sinngemäß zu zitieren: wir haben schließlich keinen Einfluss darauf, ob die Schnelleren an diesem Tag auch dabei sind oder woanders laufen), andererseits darf eine sich ja auch mal Ziele setzen. 5:30, das müsste ich doch schaffen… aber das wird ein Crosslauf, ich bin noch nie auf Zeit durch den Wald gewetzt, keine Ahnung, welche Pace da machbar ist. Nach einigem Abwägen beschließe ich zu laufen, so schnell ich kann. 

Zeitsprung zum Startschuss – alle brettern los wie angestochen. Ich auch. Aber nicht weit, denn dass eine 5er-Pace für mich nicht durchzuhalten ist, sehe ich schon nach wenigen hundert Metern ein. Ab da ändert sich lustigerweise in dem Teil des Feldes, von dem ich etwas mitbekomme, nicht mehr viel. Vorne rennen sie davon, hinter mir haben sich anscheinend auch alle auf ihr Tempo besonnen. Mir ist es egal, denn mein privates Ziel lautet: etwas unter 5:30er Pace. Am Anfang gibt’s noch etwas laubbedeckten Qualitätsasphalt, dann festen Fahrweg durch eine Kleingartenanlage – lieber hier noch etwas schneller, denn wer weiß wie es wird, wenn es dann in die Wiesenpfade um die Seen geht. Ein Mann ganz in Blau läuft direkt vor mir, an den hänge ich mich erstmal dran. Schmal wird der Weg, teils wurzelig, aber jemand scheint das Laub beiseite gepustet zu haben, so dass die Hindernisse gut zu erkennen sind. 

Auf dem Weg zum Start hat Schalk uns schon gebrieft: da ist der Sandstrand, da kann man überholen, anschließend den kleinen Anstieg hoch Druck machen und die Überholten überrascht hinter sich lassen. Wenn man kann. Ich bleibe brav hinter dem Blauen, auf dem Strand hüpfe ich direkt in seine Fußstapfen, das ist eine gute Technik. Weiter geht’s um den See, dann sind da die von Wildschweinen gewühlten Löcher, vor denen beim Start schon gewarnt wurde, eine kleine Steigung und weiter den schmalen Fußweg entlang. Die Pace ist immer noch bei 5:20, es ist anstrengend, aber Beine und Lunge tun was sie sollen: Laufen und Schnaufen – letzteres schon etwas lauter. Das muss dieses Verlassen-der-Komfortzone sein, von dem man so viel hört.  

An der Engstelle, wo der Weg vor und nach der Seeschleife entlang führt, stehen die drei bezaubernden Supporterinnen, jubeln und fotografieren. Vor Begeisterung achte ich nur kurz nicht auf den Untergrund und gerate auch gleich ins Straucheln. Dreistimmig wird mir empfohlen (oder befohlen?) nicht zu stürzen, also halte ich mich daran. 

Am Ende der ersten Runde fürchtet der Blaue vermutlich, dass ihn gleich eine kleine Dampflok überrollt, so muss er meinen Atem im Nacken spüren – kein Wunder, dass er einen Zacken drauflegt und sich langsam nach vorne entfernt. Ich schaffe es beim besten Willen nicht, dran zu bleiben. Grrmpf. Der Mann in der gelben Jacke, der bisher dicht hinter uns gelaufen ist, zieht nun an mir und dann auch an dem Blauen vorbei, und die beiden werden leider immer kleiner. Sie bleiben – solange ich sie sehen kann – dicht beieinander und wirken zusammen wie eine hoppelnde schwedische Flagge. Ich versuche die Beine schneller zu bewegen, aber das gelingt nicht mehr. Laufe ich wirklich, so schnell ich kann? Wo sind denn mal meine Grenzen? Keine Ahnung. 

In der Kleingartenanlage höre ich rhythmisches Schnaufen von hinten. Ein Mann trabt unglaublich locker heran. Er hatte sich verlaufen, plaudert ein wenig (er plaudert, ich habe keine Luft übrig und antworte eher einsilbig) und entschwindet dann nach vorne, wo er auch Blau und Gelb locker hinter sich lässt. Eine Frau in Schwarz taucht dort auf. Ich meine, langsam näher zu kommen. Blau-Gelb haben sie schon eingeholt, aber auch ich verringere den Abstand. Kurz vor dem Strand überhole ich sie, stolpere dieses Mal meine eigenen Abdrücke in den weichen Sand, gebe alles an der kleinen Steigung und habe die Frau abgehängt. Darauf brauche ich mir allerdings überhaupt nichts einzubilden: sie war, wie ich später erfahre, nur für 6 km gemeldet und ist versehentlich am Ziel vorbei gelaufen. Großartig, dass sie die 12,5 km überhaupt geschafft hat. 

Noch einmal geht es um den See, bei den Wildschweinlöchern fühle ich mich für kurze Zeit noch einmal ganz stark und leichtfüßig, aber schon bei dem kleinen Anstieg dahinter lässt das abrupt nach. Ich muss beißen, dabei kann ich das doch gar nicht, wenn mich niemand antreibt. Ketzerische Gedanken blitzen: es macht keinen Unterschied, vorne niemand zum Einholen, von hinten niemand, der mich einholen will, was soll die Hetzerei? Ich versuche, an den Trainer zu denken („Kämpfen, Micha!“) oder an den Hasen („Die letzten drei Kilometer müssen keinen Spaß machen“). Es sind weniger als zwei Kilometer, also los. Ich wollte mich schließlich sputen und tu’s dann auch wieder. 

Kurz vor dem Ziel wartet der Schalk, der schon längst fertig ist, und begleitet mich auf dem letzten Stück. Er kommentiert die letzten Abs und Aufs, noch fünfzig Meter, gleich bist Du da. Eigentlich möchte ich fragen, wie es für ihn ausgegangen ist, aber dazu reicht die Puste nicht. Also rennen, was das Fahrgestell noch hergibt. Da stehen schließlich im Ziel Leute und jubeln, die haben es verdient, dass ich alles gebe. Das Zeitmessverfahren ist interessant: ein Mann mit Stoppuhr drückt alle Einlaufzeiten ab, dazu wird der Minizettel von Startnummer abgegeben und aufgespießt, so dass die Reihenfolge des Einlaufs feststeht. Am Ende können so die Startnummern den Zeiten zugeordnet werden. 

Tja, und dann bin ich tatsächlich AK-Zweite, bekomme bei der Siegerehrung eine niedliche Urkunde (A5) und die Hand geschüttelt. Ich schüttle meinerseits die Hände der Ersten und der Dritten. Zwar war ich eine Minute schneller als die Schnellste von letztem Jahr, aber eben sechseinhalb Minuten langsamer als die Siegerin. Wäre ich in flottem Wohlfühltempo gelaufen, wäre ich immer noch Zweite, und weil es nur drei Teilnehmerinnen in W50 gab, selbst mit Wandern noch Dritte. Was lernt uns das? Es stimmt einfach: ich kann mich nur an den eigenen Möglichkeiten messen, und das ist sehr gut so.  

Der gesellige Höhepunkt des Tages war dann das anschließende Frühstück bei den Schalks, das war sehr fein, sehr gemütlich und lustig. Vielen herzlichen Dank dafür! 

Der Müllbeutel

Auf dem Heimweg vom Jogmap-Pastaessen (sehr nett wieder einmal!) fällt es mir wieder ein – es soll kalt werden morgen früh, und wir haben keine großen Müllbeutel mehr zu Hause. Bei EDEKA am Südstern brennt noch Licht, also nix wie rein. Verblüfft stelle ich fest, dass das Regal vollkommen leergekauft ist, weder 60l- noch 120l-Beutel sind noch da. Ich suche einen Verkäufer und frage, ob es vielleicht noch heimliche Vorräte gibt. Nee, gibt’s nicht. Ich bin hartnäckig: „Wie kann es denn sein, dass ausgerechnet Müllbeutel alle sind?“ Er vermutet Berlin-Marathon, Flaschensammler. Ich so „Na, zum Marathon möchte ich auch, aber nicht zum Flaschensammeln. Ich würde mir gerne Löcher in einen Müllsack schneiden und den dann im Startblock überziehen, damit mir vor dem Start nicht zu kalt ist.“ Der Mann verschwindet hinter einer Trennwand, kommt mit einer Rolle großer Müllbeutel zurück, reißt einen ab, prüft, ob er auch nicht kaputt gegangen ist, schenkt ihn mir und wünscht noch viel Spaß beim Marathon. Boah, ist das nett! Ich bedanke mich herzlich und radel schnell nach Hause.

Dort sitzen alle noch in der Küche: die Mitbewohnerinnen, Bruder, Schwägerin und Nichte. Ich erzähle die Müllbeutelgeschichte und alle finden EDEKA toll. Die minderjährige Mitbewohnerin schnappt sich den Müllbeutel und fragt, ob sie den mit der Nichte zusammen schön machen dürfe. Meinetwegen, sage ich leichtsinnig, und die beiden verschwinden in ihrem Zimmer. Es dauert lange. Eigentlich möchte ich früh ins Bett und frage irgendwann, ob ich mir schon mal die Zähne putzen kann. Nein, heißt es, das Model sei gleich soweit, ich soll noch warten.

Auftritt: Die Nichte im Müllbeutel, der vorne mit bunter Acrylfarbe bemalt und mit vielen bunten Federn beklebt ist. Aus dem runden Teil, das sie als Halsloch ausgeschnitten haben, wurde eine passende Kopfbedeckung, dazu gibt es noch einen gelben Pappschnabel.

Ich: „… und in dem Teil soll ich mich in den Startblock trauen?“ Die kleine Mitbewohnerin breit grinsend: „Du hast kein anderes!“ Was ja nun mal stimmt. Die große Mitbewohnerin grinst auch „Damit bist Du so schnell wie ein Papagei.“

Kopfbedeckung und Schnabel habe ich zu Hause gelassen, aber den Müllbeutel habe ich angezogen. Er hat gut funktioniert. Und weil renbueh es sich gewünscht hat, hier der Beweis:

Der Müllbeutel

P.S.: Der Marathon war auch schön.

Laufen auf Reisen – Bodenseehinterland

Als ich aufwache, ist es für Urlaub noch recht früh. Wir sind vor zwei Tagen zufällig hier gelandet und hängen geblieben. Ein Hofgut mit Fremdenzimmern, ein paar Ferienwohnungen, einem Hofladen mit eigenen Produkten, einem wunderschönen Café und vielleicht das Beste: mit einem eigenen See. Die Kinder der Feriengäste rennen auf dem Hof und in den Ställen rum, der Altbauer spricht ein zauberhaftes Oberschwäbisch, bei dem mir das Herz auf- und samtliche Heimatgefühle mit mir durchgehen, er sagt, die Söhne des Gastes, der selber schon als Kind hier seine Ferien verbracht hat, seien „em Deifl us d’r Budda gjuckt“ – und ich bin gerührt. Seine Enkelin führt das Unternehmen zusammen mit ihrem Bruder, sie kümmert sich um die Gäste, er um die vierbeinigen Rindviecher. Wer als Kind niemals Ferien auf dem Bauernhof gemacht hat, fragt sich unweigerlich, wieso eigentlich nicht.

Leise stehe ich auf und ziehe mir Laufsachen an. Auf dem Plan stehen mal wieder Intervalle, aber wie sagt der Schalk immer? Dembbo wird überbewertet, und zwischen diesen Hügeln kriege ich das sowieso nicht hin. Also erstmal sachte einlaufen. Vorgestern bin ich rechtsrum gelaufen, also heute vor dem Hof nach links. Die Straßen hier haben vierstellige Nummern, also L7777 oder so, sie sind sehr schmal, so dass zwei Fahrzeuge, die sich entgegen kommen, immer ein bisschen umeinander herum manövrieren müssen, es sind aber nur wenige unterwegs. Ich habe mir vorgenommen, zu einer in der Nähe gelegenen Burgruine zu laufen, die ich auf der Landkarte gesehen habe. Das Telefon hat gerade mal Empfang, das ist gut für die Orientierung. Heute soll es richtig heiß werden, aber noch ist der Himmel eher bedeckt, die Wiesen sind weiß vom Tau. Links von mir ist der See, da werde ich nachher reinspringen, darauf freu ich mich jetzt schon.

Im nächsten Dorf ist es ganz ruhig, ein kleiner Hund steht vor einem Haus und wedelt mit dem Schwanz. Die Obstwiesen hier sehen ganz anders aus als ich sie kenne, das hier sind richtige Obstplantagen, die Bäume sind nicht sehr groß, damit noch angenehm gepflückt werden kann, sie stehen in dichten ordentlichen Reihen, und manche Wiesen sind flächendeckend mit Netzen geschützt, was das Landschaftsbild ein wenig beeinträchtigt. Die meisten sind Apfelbäume mit noch unreifen Äpfeln dran, es gibt aber auch Kirschbäume, die über und über voller reifer Früchte hängen. Sie sind aber nicht nur gegen Fressattacken aus der Luft geschützt, sondern auch außen herum eingezäunt. Ich laufe vorbei und durchs nächste Dorf. Hier verpasse ich eine Abzweigung und folge einer Straße in ein Tal. Unterhalb rauscht ein Bach, es geht steil bergab. Erst als die Straße den Bach kreuzt, werfe ich einen Blick auf die Karte – falsch. Etwas weiter führt ein Waldweg genauso steil wieder hinauf. Fein, das trainiert „Berg“. Energisch trabe ich an und denke, ich komme so bis oben. Nichts da, nach wenigen hundert Metern falle ich in den Alte-Dampflok-Modus, und komme nur noch in Tippelschritten voran. Ok, das muss ich noch üben. Ich passiere einen einsamen Hof, der Weg nimmt eine unerwartete Richtung, und das, was Open Streetmap zeigt, ist Waldrand mit Wiese. Macht nix, nasse Füße sind nicht schlimm. Ein Reh steht direkt neben dem Weg im Wald, für einen kurzen Moment schaut es mich regungslos an und verschwindet dann mit eleganten Sprüngen bergab ins Tal.

Im nächsten Dorf steht ein merkwurdiges Schild „Königliche Domäne Gitzensteig Freistaat Rodheim v.d.H.“ was das wohl bedeutet? Ist das was Historisches oder haben die hier einen merkwürdigen Humor? Hinter dem übernächsten Dorf muss die Ruine liegen. Der Pfad dorthin ist eingezäunt und mit einem Tor versehen, das aber glücklicherweise unverschlossen ist, auch wenn die Anleitung sagt, man dürfe sich nur zwischen 9:00 und 19:00 Uhr dort aufhalten. Aufhalten will ich mich sowieso nicht, nur kurz gucken. Verglichen mit den Burgruinen der Albkante ist diese ein bisschen unspektakulär, dennoch klettere ich auf eine Mauer, um vielleicht etwas Aussicht vorzufinden. Die Bäume sind aber zu hoch. Also nix wie runter, und weiter geht’s.

Inzwischen scheint die Sonne und es ist schon richtig warm. Da ist der Weg durch den Wald wunderbar. Jenseits des Waldes gibt es ein paar Hopfenfelder mit ihren fünf Meter hohen Stangen – das hier gehört zu Tettnang, einem wichtigen Hopfenanbaugebiet. Ich mag Hopfenfelder und muss gleich mal hin, den Hopfen anfassen. Die Pflanzen sind rauh, die Blüten noch winzig klein, die typischen Dolden leider noch nicht zu sehen.

Noch zwei Dörfer, noch ein Waldweg, noch einmal durch eine nasse Wiese, dann sehe ich schon den Hof. Auf der Café-Terrasse wird gefegt, der Bauer führt die beiden Haflinger über den Hof. Schnell hole ich die Badesachen aus dem Zimmer und laufe zum See hinunter, am liebsten würde ich einfach so hineinspringen, aber das ist hier ein Familienferienort, also schnell ins Badegewand gestiegen und mit Köpper vom Steg. Außer mir ist niemand im See, das Wasser ist kühl und erfrischend. Ich kraule ein paar Züge, aber weil ich nur grün sehe und Wasser in den Augen nicht so toll ist, lasse ich das wieder. Auf den Rücken drehen und in den blauen Himmel schauen ist toll. Aber auch Brustschwimmen ganz unsportiv mit Kopf aus dem Wasser ist hier passend, die Landschaft genießen, die Glocke der kleinen Kapelle bimmeln hören, und wissen, dass ich so langsam mal umkehren muss, um noch Frühstück zu bekommen. Ferien!

Laufen auf Reisen – Glastal

Während in Berlin Sommer ist, kommt hier im Süden so viel Wasser von oben, wie ich seit Jahren nicht gesehen habe. Vor ein paar Tagen haben wir die Alb überquert, ein Lauf stand auf dem Plan, der sollte durchs schöne Glastal führen.

Titouli, der im Gasthof Friedrichshöhle auf mich warten will, wird erstmal wieder weggeschickt. Eine Busladung Gäste hat den ganzen Laden reserviert, so dass er nach Zwiefalten in ein Café ausweichen muss. Da es im Gasthof aber durchgehend warme Küche gibt, sind wir für nach der Touristeninvasion wieder hier zu einem späten Mittagessen verabredet.

Mit Käppi und Regenhaut starte ich in den Nieselregen. Eine alte Kastanienallee führt zu Schloss Ehrenfels, einem schön gelegenen Barockbau, den sich der Abt von Zwiefalten im achtzehnten Jahrhundert als Sommerresidenz hinstellen ließ. Der Weg führt um das Anwesen herum, kurz darauf biege ich ins Glastal ab. Der Name stammt von einer Glashütte, die es hier irgendwann einmal gab. Der Nieselregen lässt nach, und ich binde mir die Regenjacke um die Hüfte. Das Glastal führt zwischen steilen Felswänden an ein paar Höhlen vorbei, es soll gerade im Sommer sehr schön kühl und schattig sein. Was für die aktuelle Wetterlage eher irrelevant ist. A propos Wetter, ein gleichmäßiger Regen setzt ein. Mir egal, ich bin schließlich auch größtenteils aus Wasser und vom Laufen schon gut aufgewärmt. Das Glastal ist zwar sehr romantisch aber leider viel zu kurz.

An der Hayinger Brücke laufe ich Wanderweg Nr. 1 nach. Keine Ahnung wohin, heute habe ich keinen Track auf der Garmine und das Telefon findet kein Netz, so dass mir auch Googlemaps nicht weiterhilft. Wie entscheidet die entschlossene Läuferin in so einem Fall? Bergauf natürlich. Die Gegend ist gewellt, auf den Wiesen zwischen den Waldstücken stehen die typischen Wacholderbüsche herum. Schön sieht das aus. Es regnet. Wanderweg Nr. 2 biegt in einen steilen Waldweg ein, den nehme ich. Irgendwann wird der Weg wieder flacher, er führt aus dem Wald heraus, wieder Wacholderheide und ein paar Felder. Auf einem wächst ein dünnes Getreide, das ich nicht kenne, ein Schild erklärt, dass das ein Forschungsprojekt ist, irgendwas mit Diversität oder so.

Ich laufe, was ich für einen weiten Bogen halte, um irgendwann wieder an der Hayinger Brücke zu landen. Erfreulicherweise erkenne ich irgendwann Wanderweg Nr. 2 wieder, ab da nehme ich einfach denselben Weg zurück. Aus dieser Richtung macht das Glastal nochmal mehr her als auf dem Hinweg. Die Felswände sind spektakulärer und jetzt finde ich auch die Glashöhle, die ich vorhin übersehen habe. Der Eingang sieht aus wie ein etwas schlecht gelaunter Mund. Kurz vor Talende kommt eine Schulklasse auf Wandertag entgegen. Sie tragen bunte Schirme und/oder Regenjacken und als die meisten freundlich Hallo rufen, bin ich doch ein wenig verblüfft. Keine blöden Bemerkungen oder spöttisches Anfeuern? Klar, uns haben sie damals auch beigebracht, allem, was spazierend oder wandernd daher kommt, ein freundliches „Grüß Gott“ entgegen zu schmettern, aber nach fast dreißig Jahren Berlin überrascht es mich doch, dass es das so ähnlich noch gibt.

Am Talausgang begegne ich noch ein paar Schafen, die ebenfalls freundlich blöken. Schloss, Kastanienallee, Wimsener Höhle (wenn es sehr heiß ist, ist die ebenfalls eine Empfehlung), schon ist das Ziel erreicht. Und das ist jetzt mal eine echte Empfehlung, Gasthof Friedrichshöhle, die kochen allerbeste Regionalküche, Forellen aus der Öko-Forellenzucht, Fleisch von glücklichen Alb-Kühen, und alles köstlich zubereitet. Schnell ziehe ich mir trockene Sachen an – das späte Mittagessen habe ich ja sowas von verdient!

Laufen auf Reisen – Regen

Seit dem Gewitter am Vorabend regnet es durch, so dass ich mir Gedanken mache, wo sich für das geplante Tempotraining einigermaßen asphaltierter Untergrund findet, denn die lokale Erde hat die herausragende Eigenschaft, sich bei Nässe als immer dicker werdende Lehmklumpen an Schuhsohlen anzulagern. Nach einem Blick nach draußen studiere ich erst noch eine Weile die WM-Beilage der Südwestpresse. Es wird aber kein Stück heller, also los. Es regnet gleichmäßig in feinen, aber dichten Tropfen.

Zunächst geht es in einem großen Halbkreis außen ums Dorf, dann aus dem Ermstal hinaus Richtung Mittelstadt. Statt Intervalle nehme ich mir ein Fahrtspiel vor, das geht so: immer, wenn es bergauf geht, laufe ich, so schnell ich kann, wenn die Steigung nachlässt, ruhe ich ein bisschen in langsamem Trab aus. Sobald ich wieder Luft habe, renne ich wieder los, egal ob mit oder ohne Steigung, aber wenn es hoch geht, wird gelaufen, was geht.

Kurz vor Mittelstadt biege ich links in den Wald ab. Der Weg ist angenehm geschottert, dann auch wieder asphaltiert, super. Der Regen mischt sich mit den großen Tropfen, die von den Bäumen fallen. Auf einem Schild steht „Weg ohne Fortsetzung“. Ich grüble ein bisschen, warum da wohl nicht „Sackgasse“ steht, ob das wohl ein aus der Mode gekommenes Wort ist, da hört der Weg auch schon auf. Normalerweise würde ich hier einfach dem Trampelpfad folgen, der sich um die fehlende Wegfortsetzung überhaupt nicht schert, aber heute werden die Schuhe schon beim Anblick der lehmigen Pfützen schwer, also umkehren und einen anderen Weg versuchen.

Der Fahrradweg nach Reicheneck bietet sich an, er verlässt nach einer Weile den Wald und führt auf einer Art Hochebene, von der ich nicht weiß, ob sie einen Namen hat, durch große Felder mit Gerste und Mais. Die Aussicht Richtung Alb ist großartig. Den höheren Bergen wie Achalm und Jusi wabern dramatische Nebelfetzen um die Gipfel, die Wolken sind dick, dunkelgrau und ziemlich schnell. Außer mir ist niemand unterwegs. Ich probiere einige Wege aus, kehre aber immer dann um, wenn der Qualitätsasphalt in Traktorspur übergeht, denn das hier ist ja Fahrtspiel. Es macht mir nichts aus, denselben Weg zurück zu laufen, denn die Perspektive ist ja eine ganz andere, die Tempowechsel machen Spaß und sorgen für Extraabwechslung. Die dünne Jacke klebt wie eine Zweithaut an den Armen, das Wasser fließt von den Beinen in die Schuhe, bloß gut, dass ich kurze Hosen an habe.

Irgendwann sehe ich einen Wegweiser nach Metzingen, dem folge ich wieder zurück in den Wald. An einem Baum hängt ein laminiertes A4-Blatt mit dem Piktogramm eines Läufers. Das hat der Metzinger Marathon-Stammtisch hingehängt. Aber unter der Woche mitten am Vormittag haben seine Mitglieder wohl anderes zu tun als durch den Wald zu wetzen. Kurz fällt mir ein, dass der Ermstal-Marathon dieses Jahr ausfällt. Schade, das wäre nächstes Wochenende gewesen und hätte endlich einmal gepasst. Vielleicht nächstes Jahr.

Der Weg führt bergab, unten habe ich die Wahl über eine Brücke ins Industriegebiet von Metzingen weiter zu laufen oder den Radweg links parallel zur B 312 am Waldrand Richtung Riederich zu nehmen. Ich entscheide mich für den Radweg. Der stellt sich als nicht sonderlich idyllisch heraus, denn ganz in der Nähe rauscht die B 312 bei diesem Wetter besonders laut, und dann hat ja auch Riederich seine Gewerbegbiete. Hier stehen einige Gebäude, deren immer noch völlig zerbeulte Jalousien an den Hagelsturm vom vergangenen Jahr erinnern. Damals waren sehr viele Dächer in Riederich zerstört worden. Sämtliche draußen geparkte Autos wurden zerbeult wie Golfbälle – außer dem meiner alten Freundin, deren Mann die Wetterwarnung gehört hatte, und als es finster wurde mit einer Babybadewanne als Schutzhelm gegen die riesigen Eisklumpen das Auto mit sämtlichen Woll- und Picknickdecken des Haushalts zudeckte. Die Nachbarn standen staunend an den Fenstern und merkten erst, als es zu spät war, dass es keineswegs bekloppt war, was der Mann da tat. Die Leute hier in der Gegend streiten teilweise heute noch mit ihren Versicherungen, und viele Fassaden warten immer noch auf Reparatur.

Als ich wieder die Straße nach Mittelstadt erreiche, stelle ich fest, dass es noch nicht reicht. Dann eben den nächsten asphaltierten Feldweg genommen und eine weitere Anhöhe hinaufgeschnauft. So langsam werde ich sehr hungrig. Nur noch bis auf die Höhe, noch einmal die dramatische Aussicht übers Ermstal bestaunt, dann darf ich umdrehen. Ab der Brücke über die B312 erkläre ich den Rest zu „gemütlichem Auslaufen“.

Intervalle, wie der Plan sie vorsah, waren das jetzt zwar nicht, aber der Spaßfaktor dafür umso größer.