Der Schalk hatte eingeladen – zum Kaulsdorfer Seenlauf mit wahlweise 6 oder 12,5 km. Ich freu mich. Aufs Laufen, aber noch mehr darauf, einige der supernetten JogmapperInnen zu treffen.
Leichtsinnigerweise habe ich mir vorher die Website angesehen, und konnte es auch nicht lassen, in die Ergebnislisten des 12,5-km-Laufs vom letzten Mal zu schauen. Und da steht es: die letztjährige Siegerin der AK W50 hat 68 Minuten gebraucht, d. h., sie ist eine 5:30er Pace gelaufen. Diese Tatsache verursacht Rangeleien zwischen meinem heimlichen Ehrgeiz und seinem Gegenspieler, dem gepflegten Understatement, denn einerseits kommt’s ja immer nur auf die eigenen Möglichkeiten an (um den Schalk sinngemäß zu zitieren: wir haben schließlich keinen Einfluss darauf, ob die Schnelleren an diesem Tag auch dabei sind oder woanders laufen), andererseits darf eine sich ja auch mal Ziele setzen. 5:30, das müsste ich doch schaffen… aber das wird ein Crosslauf, ich bin noch nie auf Zeit durch den Wald gewetzt, keine Ahnung, welche Pace da machbar ist. Nach einigem Abwägen beschließe ich zu laufen, so schnell ich kann.
Zeitsprung zum Startschuss – alle brettern los wie angestochen. Ich auch. Aber nicht weit, denn dass eine 5er-Pace für mich nicht durchzuhalten ist, sehe ich schon nach wenigen hundert Metern ein. Ab da ändert sich lustigerweise in dem Teil des Feldes, von dem ich etwas mitbekomme, nicht mehr viel. Vorne rennen sie davon, hinter mir haben sich anscheinend auch alle auf ihr Tempo besonnen. Mir ist es egal, denn mein privates Ziel lautet: etwas unter 5:30er Pace. Am Anfang gibt’s noch etwas laubbedeckten Qualitätsasphalt, dann festen Fahrweg durch eine Kleingartenanlage – lieber hier noch etwas schneller, denn wer weiß wie es wird, wenn es dann in die Wiesenpfade um die Seen geht. Ein Mann ganz in Blau läuft direkt vor mir, an den hänge ich mich erstmal dran. Schmal wird der Weg, teils wurzelig, aber jemand scheint das Laub beiseite gepustet zu haben, so dass die Hindernisse gut zu erkennen sind.
Auf dem Weg zum Start hat Schalk uns schon gebrieft: da ist der Sandstrand, da kann man überholen, anschließend den kleinen Anstieg hoch Druck machen und die Überholten überrascht hinter sich lassen. Wenn man kann. Ich bleibe brav hinter dem Blauen, auf dem Strand hüpfe ich direkt in seine Fußstapfen, das ist eine gute Technik. Weiter geht’s um den See, dann sind da die von Wildschweinen gewühlten Löcher, vor denen beim Start schon gewarnt wurde, eine kleine Steigung und weiter den schmalen Fußweg entlang. Die Pace ist immer noch bei 5:20, es ist anstrengend, aber Beine und Lunge tun was sie sollen: Laufen und Schnaufen – letzteres schon etwas lauter. Das muss dieses Verlassen-der-Komfortzone sein, von dem man so viel hört.
An der Engstelle, wo der Weg vor und nach der Seeschleife entlang führt, stehen die drei bezaubernden Supporterinnen, jubeln und fotografieren. Vor Begeisterung achte ich nur kurz nicht auf den Untergrund und gerate auch gleich ins Straucheln. Dreistimmig wird mir empfohlen (oder befohlen?) nicht zu stürzen, also halte ich mich daran.
Am Ende der ersten Runde fürchtet der Blaue vermutlich, dass ihn gleich eine kleine Dampflok überrollt, so muss er meinen Atem im Nacken spüren – kein Wunder, dass er einen Zacken drauflegt und sich langsam nach vorne entfernt. Ich schaffe es beim besten Willen nicht, dran zu bleiben. Grrmpf. Der Mann in der gelben Jacke, der bisher dicht hinter uns gelaufen ist, zieht nun an mir und dann auch an dem Blauen vorbei, und die beiden werden leider immer kleiner. Sie bleiben – solange ich sie sehen kann – dicht beieinander und wirken zusammen wie eine hoppelnde schwedische Flagge. Ich versuche die Beine schneller zu bewegen, aber das gelingt nicht mehr. Laufe ich wirklich, so schnell ich kann? Wo sind denn mal meine Grenzen? Keine Ahnung.
In der Kleingartenanlage höre ich rhythmisches Schnaufen von hinten. Ein Mann trabt unglaublich locker heran. Er hatte sich verlaufen, plaudert ein wenig (er plaudert, ich habe keine Luft übrig und antworte eher einsilbig) und entschwindet dann nach vorne, wo er auch Blau und Gelb locker hinter sich lässt. Eine Frau in Schwarz taucht dort auf. Ich meine, langsam näher zu kommen. Blau-Gelb haben sie schon eingeholt, aber auch ich verringere den Abstand. Kurz vor dem Strand überhole ich sie, stolpere dieses Mal meine eigenen Abdrücke in den weichen Sand, gebe alles an der kleinen Steigung und habe die Frau abgehängt. Darauf brauche ich mir allerdings überhaupt nichts einzubilden: sie war, wie ich später erfahre, nur für 6 km gemeldet und ist versehentlich am Ziel vorbei gelaufen. Großartig, dass sie die 12,5 km überhaupt geschafft hat.
Noch einmal geht es um den See, bei den Wildschweinlöchern fühle ich mich für kurze Zeit noch einmal ganz stark und leichtfüßig, aber schon bei dem kleinen Anstieg dahinter lässt das abrupt nach. Ich muss beißen, dabei kann ich das doch gar nicht, wenn mich niemand antreibt. Ketzerische Gedanken blitzen: es macht keinen Unterschied, vorne niemand zum Einholen, von hinten niemand, der mich einholen will, was soll die Hetzerei? Ich versuche, an den Trainer zu denken („Kämpfen, Micha!“) oder an den Hasen („Die letzten drei Kilometer müssen keinen Spaß machen“). Es sind weniger als zwei Kilometer, also los. Ich wollte mich schließlich sputen und tu’s dann auch wieder.
Kurz vor dem Ziel wartet der Schalk, der schon längst fertig ist, und begleitet mich auf dem letzten Stück. Er kommentiert die letzten Abs und Aufs, noch fünfzig Meter, gleich bist Du da. Eigentlich möchte ich fragen, wie es für ihn ausgegangen ist, aber dazu reicht die Puste nicht. Also rennen, was das Fahrgestell noch hergibt. Da stehen schließlich im Ziel Leute und jubeln, die haben es verdient, dass ich alles gebe. Das Zeitmessverfahren ist interessant: ein Mann mit Stoppuhr drückt alle Einlaufzeiten ab, dazu wird der Minizettel von Startnummer abgegeben und aufgespießt, so dass die Reihenfolge des Einlaufs feststeht. Am Ende können so die Startnummern den Zeiten zugeordnet werden.
Tja, und dann bin ich tatsächlich AK-Zweite, bekomme bei der Siegerehrung eine niedliche Urkunde (A5) und die Hand geschüttelt. Ich schüttle meinerseits die Hände der Ersten und der Dritten. Zwar war ich eine Minute schneller als die Schnellste von letztem Jahr, aber eben sechseinhalb Minuten langsamer als die Siegerin. Wäre ich in flottem Wohlfühltempo gelaufen, wäre ich immer noch Zweite, und weil es nur drei Teilnehmerinnen in W50 gab, selbst mit Wandern noch Dritte. Was lernt uns das? Es stimmt einfach: ich kann mich nur an den eigenen Möglichkeiten messen, und das ist sehr gut so.
Der gesellige Höhepunkt des Tages war dann das anschließende Frühstück bei den Schalks, das war sehr fein, sehr gemütlich und lustig. Vielen herzlichen Dank dafür!