Laufen unterwegs – Mungia

Der letzte Tag. Gestern sind wir bei mal mäßigem, mal starkem Regen über die Autobahn zurück Richtung Bilbao gefahren und haben uns verkehrsgünstig in Mungia einquartiert – von hier schaffen wir es morgen in zehn Minuten zum Flughafen. Es hat die ganze Nacht geregnet, aber als es hell wird, ist der Himmel fast wolkenlos.

Gestern Abend habe ich mir noch bei gpsies.com eine Strecke zusammengesucht, sie aufs iPad herunter- und über die Movescount-App in mein dortiges Konto wieder hochgeladen und „auf der Uhr anzeigen“ aktiviert, dann die Uhr über das Handy mit Movescount synchronisiert. Das ist etwas umständlicher als zu Hause mit dem großen Rechner, aber es funktioniert, und ich bin jedes Mal einfach dankbar, dass die Technik es mir erlaubt, völlig unbekannte Wege zu laufen, ohne mir einen Kopf über Entfernungen, Rückweg oder Verlaufen machen zu müssen.

So brauche ich nur vors Haus zu treten, die Uhr ihre Satelliten suchen lassen, Navigation anwerfen und dem Weg folgen. Mungia ist nicht groß, und wir wohnen am Ortsrand. Es liegt im Landesinneren, aber auch hier ist die Landschaft einfach nur schön. Nach der durchregneten Nacht steigt jetzt Nebel aus den Wiesen, die Farben sind herbstlich warm, ich bin ganz gerührt von so viel Schönheit.

Morgenlicht

Eine Gruppe älterer Damen (noch älter meine ich) kommt angeregt plaudernd in Sportoutfit und mit Walkingstöcken entgegen. Ich laufe auf zumindest jetzt gerade völlig autofreien kleinen Asphaltstraßen, sehr angenehm! Vor mir stromert ein großer Hund ohne Halter an der Straße entlang, er sieht entspannt aus, aber damit das auch so bleibt, verlangsame ich auf flottes, aber unauffälliges Walken. Als ich vorbei bin, beschleunige ich wieder.

Den nächsten Abzweig verpasse ich beinahe, ist das hier Weg oder Erdrutsch? Irgendwas dazwischen, hier müssen heute Nacht Sturzbäche heruntergeschossen sein. Es ist steil und matschig, aber diese Farben, unglaublich!

Eichen

Der Weg wird durchaus benutzt, es gibt Reifen und auch Fußspuren, aber wassergefüllt und vermutlich nicht von heute. Die Luft ist feucht und kühl, es riecht wunderbar. Ich komme an einem Wein-, äh, wie heißt das, ein richtiger Weinberg ist das nicht, aber Weinfeld klingt auch verkehrt. Ein Weinhang? Die Weinlese war jedenfalls schon.

Der Weg führt durch ein bisschen Eukalyptuswald, den mag ich ja nicht, auch wenn er gut riecht.

Dann zeigt die Uhr, dass es gleich links um die Ecke geht. Da war auch mal ein Weg, aber irgendein Hirsch hat wohl Omas Häuschen abgerissen und den ganzen Schutt hier deponiert.

Bauschutt

Sehr unpraktisch und sehr unwegsam. So ein Oma-Häuschen ergibt recht viel Schutt, er liegt in beiden Richtungen, aber da ich ja auf Uhrnavigation vertraue, bin ich in der Streckenführung sowieso nicht so ganz flexibel. Also vorsichtig drüberklettern. Ich komme an einem Gehöft raus, wo fünf Hunde in unterschiedlichen Größen an verschiedenen Gebäuden angekettet sind. Sie machen einen Wahnsinnsradau, und ich fühle mich ein wenig lärmbelästigt. Hoffentlich halten die Ketten.

Auf Asphalt geht es jetzt steil bergab. Ich nähere mich wieder Mungia, laufe beim ersten großen Kreisverkehr noch ein kurzes Stück an der Autostraße Richtung Gernika (auf spanisch Guernica), biege dann aber in einen nassen Feldweg ein. Ich muss mich kurz daran erinnern, wie schön Matsch ist, wie weich und angenehm, dass es wunderbar ist, vom hohen Gras völlig durchnässte Schuhe und Socken zu haben – denn ab morgen gibt es unter der Woche nur noch Asphalt im Dunkeln zu laufen. Also genieße ich die nassen Füße und die von der Sonne beschienenen nackten Beine.

Dann ist der Wiesenweg aber schon wieder zu Ende, und ich gelange in die ersten Wohngebiete, laufe außen im die Innenstadt herum, um noch einen kleinen Weg am Fluß nutzen zu können, aber jetzt ist es nicht mehr weit, bis ich am Hotel ankomme.

Das war mein letzter Urlaubslauf. Es liegt noch ein wunderbarer Tag vor uns mit Ausflug nach San Juan Gaztelugatxe und an einen wundervollen Strand, wo wir ein letztes Mal in den Wellen baden (alle anderen haben Neos an und Surfbretter dabei, es ist aber wirklich nicht SEHR kalt, sondern ein großer Spaß!). Jetzt noch ein letztes baskisches Abendessen, morgen geht‘s heim.

Laufen unterwegs – Klippenpfad

Als ich zum ersten Mal aus dem Fenster sehe, ist draußen orangefarbener Nebel. So etwas habe ich noch nie gesehen. Es riecht leicht nach Rauch, aber das Gehirn bekommt keine Verbindung zustande und blendet diesen Sachverhalt gleich wieder aus. Wir wundern uns nur über die Farbe.

Beim Frühstück sehen wir eine rote Sonne hinter dem Nebel, die das Meer rot glitzern lässt. Von der Kellnerin erfahren wir, dass es brennt. In Asturien und Galizien. Der Fernseher läuft und in einer Sondersendung sind Menschen zu sehen, die mit Eimerketten und Gartenschläuchen versuchen, das Feuer, das schon hinter dem Zaun des Nachbargrundstücks lodert, von ihren Häusern fernzuhalten. Das ist Galizien, der Waldbrand in Asturien sei schon unter Kontrolle sagt die Kellnerin. Zum Glück wird Regen erwartet.

Als wir vors Hotel treten, sieht der Himmel schon fast wieder normal aus. Dennoch ist es unheimlich zu wissen, dass gar nicht so weit entfernt Menschen gegen das Feuer kämpfen müssen.

Ich habe mir einen Weg ausgesucht, der von La Isla nach Colunga und auf dem Klippenpfad zurück führt. Durchs Dorf führt ein gelb-weiß markierter Wanderweg zwischen Obstwiesen und Kuhweiden nach Nordwesten. Die Apfelbäume hängen voller Äpfel, manche dunkelrot, andere eher gelb oder grün. Die Gegend ist für ihren Sidre bekannt.

Ich laufe durch ein kleines Dorf, neben fast jedem Haus steht ein Hórreo, ein Getreidespeicher. In Asturien sind sie quadratisch. Sie stehen auf dicken Holzsäulen, auf denen große Steinscheiben liegen, auf denen erst der eigentliche Speicher steht. Die Wände haben Lüftungsschlitze und die Steine halten Mäuse ab. Unter den Speichern steht oft Werkzeug, Mülltonnen oder anderes Gerümpel. Einer überdacht einen schönen altmodischen Kickertisch. Die Männlein haben noch richtig zwei Beine und einen kleinen Bauch. Als Wetterschutz war der Hórreo aberdoch eher ungeeignet, die Stangen bewegen sich kaum noch. Hier hat lange niemand gespielt.

Bevor ich loslief hatte ich noch angegeben, von wegen 120 Höhenmeter seien ja nix. Tja, kommt drauf an, auf wieviele Kilometer sie sich verteilen. In meinem Fall auf nicht sehr viel. Der Weg führt in einen Eukalyptuswald, und zwar steil und ziemlich matschig bergauf. Auf dem Weg wachsen gelbe und schwarze Pilze. Der Wald ist mindestens so hässlich wie unser Kiefernindustrieforst in Brandenburg, vor allem, weil der Farn, der am Boden wächst, um diese Jahreszeit schon braun verwelkt ist.

Eukalyptuswald

Es riecht zwar gut, aber das ist genau das Zeug, was ein Stück weiter so gut brennt. Als es mir zu steil wird, gehe ich ein bisschen, ich habe es schließlich nicht eilig. Runter ist dann fast genau so schwierig, weil der Untergrund sehr uneben und schwer zu belaufen ist.

Ich komme an der Playa Griega heraus, ein sehr schöner Strand, der vollkommen menschenleer ist. Ab hier ist der Weg einfach traumhaft, es geht oberhalb des Strands und dann an der Steilküste entlang. Zuerst komme ich an den berühmten Saurierspuren vorbei. Ohne Infotafel hätte ich sie sicher nicht erkannt, aber wenn das da Fußstapfen sind, waren die zugehörigen Beine ganz schön mächtig.

Saurierfußabdrücke

Ohne Referenzbeine ist das hier allerdings nicht wirklich zu erkennen. Es gibt in Colungga ein Sauriermuseum, das haben wir aber nicht besucht.

Immer wieder gibt es wunderbare Ausblicke Richtung Lastres. Als der Wald zu Ende ist, macht mich ein Schild darauf aufmerksam, dass ich auf eigenes Risiko unterwegs bin. Das bin ich gern, der Klippenpfad ist wunderschön. Es ist ein schmaler Fußpfad, zum Teil mit weichem Gras bewachsen. Die Aussicht ist wunderbar, am liebsten würde ich nach jeder Biegung stehen bleiben um sie zu genießen, aber ich bin zum Laufen hier. Ein paar kleine Stopps müssen aber schon sein.

Steilküste

In La Isla bin ich mit Titouli in der einzigen offenen Bar verabredet. Da sitzen jetzt nach Saisonende vor allem die Seniorinnen und Senioren des Orts zusammen, trinken Kaffe oder Sidre und knabbern Chips. Es wird lebhaft irgendwas diskutiert. Ich bekomme Wasser und ebenfalls ein Tütchen Chips – die sind selbstverständlich nur gesalzen, wie sich das gehört, und ein unglaublich leckerer Nachlauf-Snack.

Laufen unterwegs – um die Bucht von San Sebastian

Pension Fani war ein Fehlgriff. Vielleicht gibt es ja auch Zimmer mit Fenstern nach außen, aber unseres geht auf einen engen, seltsam riechenden Schacht im Innern des Hauses. Das komische Duftteil in der Steckdose macht alles nur schlimmer. Dafür ist die Lage sensationell, direkt hinter der Kathedrale.

Die Morgenluft ist frisch und kühl, ich laufe auf die Kathedrale zu und umrunde ein paar Jakobswegpilger, leicht zu erkennen an den Muscheln, die an ihren Rucksäcken baumeln. Ob die wohl aus religiösen Gründen pilgern?

Auf der Brücke über den Urumea begegnen mir die ersten drei Läufer, alle in Shirts von verschiedenen Laufevents, sie sind aber so schnell, dass ich nicht erkennen kann, von welchen. Ich laufe Richtung Mündung und dann die Mole weiter, um einen Blick auf den Surferstrand zu werfen. Da sind jede Menge Köpfe im Wasser. Ich kann von hier keine Surfbretter erkennen. Sie sehen aus wie Schwimmvögel, die Wellen scheinen nicht besonders hoch, warten die auf besseres Wetter? Ich umlaufe den Hund eines Anglers, der mich mit großem Maul angähnt. Er sieht sehr entspannt aus.

Als Wellenbrecher benutzen die hier riesige Marmorwürfel. Sehr vornehm, aber das ist hier ja auch ein „mondänes Seebad“.

Marmorwürfel

Auf dem Weg um den Monte Urgull ist die Läuferdichte so hoch wie auf einem mittleren Volkslauf. Habe ich den Startschuss verpasst? Dagegen spricht, dass in beide Richtungen gelaufen wird. Unten branden die Wellen an die Mauer, das Meer ist dunkeltürkis, die Gischt schäumt dramatisch. Ich laufe um den Berg herum, sehe die Isla de Santa Clara in der Bucht liegen. In der Bucht treiben viele kleine Boote mit Anglern drin.

Oberhalb des Hafens geht es durch ein Stückchen Altstadt, an der netten Bar vorbei, von wo wir gestern Abend den Sonnenuntergang betrachtet haben (falls mal jemand in der Gegend ist, der Laden heißt Akerbeltz und ist definitiv DER Ort für ein Feierabendgetränk). Ich mache einen kleinen Abstecher zum Hafen, wo gerade ein Angler hereingerudert kommt.

Angler

Auf dem Weg zur Strandpromenade muss ich mich ein wenig beeilen um eine kleine nach Diesel stinkende Kehrmaschine bei der Morgenreiniging der Straße zu überholen.

Dann bin ich auch schon auf der Strandpromenade. Die Bucht ist wunderschön. Eine Besonderheit sind die kleinen Wellen, die sich auf der ganzen Länge gleichzeitig am Strand brechen. Das sieht wie eine runde Spitzenborte aus. Am Bootsverleih werden gerade drei schnittige schmale Seekajaks ins Wasser geschoben. Ein älterer Herr in Badehose steigt zu seinem Morgenbad ins Wasser. Merkwürdig, dass da nicht mehr Leute baden gehen. Ich laufe die ganze Länge der Strandpromenade entlang bis zur Westseite, wo der Funicular, ein alter Schrägaufzug auf den Monte Igueldo fährt. Da oben waren wir gestern, die Aussicht war sagenhaft.

An der Kaimauer sind Surfer im Wasser. Eine junge Surferin in Neo und mit langem blonden Zopf ruft den Jungs da unten etwas zu und springt dann mitsamt ihrem Brett von der Mauer ins Wasser. Das sind mindestens vier Meter! Hier muss ich einfach stehenbleiben und eine Weile zusehen. Die Stelle ist günstig, denn die Bucht ist geschützt und surfbare Wellen gibt es nur hier an der Mauer. Ein junger Mann ist richtig gut und steht öfter mal bis die Wellen auslaufen. Er wendet dann noch oben auf der Welle, damit er nicht durch die Gischt zurückpaddeln muss. Sehr elegant.

Surfer

Ich drehe um und laufe zurück. Öfter werde ich überholt, ein paarmal überhole ich jemanden. Am Hotel Londres biege ich in die Straße ein, die zur Pension führt. Schnell duschen und dann nichts wie abreisen!

Laufen unterwegs – Morgenlauf in Bilbao

Wir sind hier so weit westlich, dass die Sonne erst um Viertel nach acht aufgeht. Als ich durch die Altstadt trabe, gehen gerade die ersten Rolläden an einigen Geschäften auf und die Straßenlaternen aus. Am Platz El Arenal gelange ich an den Fluss. Die Uferpromenade ist belebt, Hunde werden spazierengeführt, RadlerInnen sind in beiden Richtungen auf den eigens ausgewiesenen Radspuren auf dem Weg zur Arbeit oder sonstwohin, und es kommen einige Läuferinnen und Läufer entgegen. Genau wie in Berlin grüßen manche, manche auch nicht.

Ich laufe unter der eleganten Fußgängerbrücke von Santiago Calatrava mit dem zauberhaften baskischen Namen Zubizuri durch. Das Licht ist noch schräg, der Himmel blau und ich finde alles wunderbar. Etwas weiter steht am gegenüberliegenden Ufer das Guggenheim-Museum, das Gebäude, von dem alle denkbaren Fotos schon tausendfach aufgenommen sind. Ich kann es trotzdem nicht lassen und stümpere mit dem Handy ein weiteres hin.

Guggenheim Bilbao

Die übernächste Brücke ist Puente Euskalduna, deren bemerkenswertestes Feature der überdachte Fuß- und Radweg ist. Direkt dahinter ist eine schöne Parkanlage, der Doña Casilda Iturrizar-Park, benannt nach der Dame, die vor über hundert Jahren das Gelände stiftete. Springbrunnen funkeln im Gegenlicht, es gibt eine Pergola mit schönen bunten Fliesen und einen großen Ententeich, in dem auch ein paar Schwäne sitzen.

Springbrunnen

Über die Plaza Euskadi und um den Iberdrola-Tower geht es zurück ans Flußufer. Am Guggenheim-Museum bekommt der monströse Blumenhund von Jeff Koons gerade ein bisschen Fellpflege.

Blumenhund

Mein Weg verläuft fast die ganze Zeit auf der Uferpromenade, nur am Bahnhof Santander-Bilbao (ob man hier auch woanders hin fahren kann?) muss ein Hochhaus auf der Straße umrundet werden. Ein Stück weiter gibt es interessante Eisentreppen zu hoch gelegenen Hauseingängen.

Eisentreppen

Die nächste Brücke hat keinen Namen. Ich nehme sie trotzdem und laufe zurück in die Altstadt. Unter den Arkaden der Calle Ribera gibt es angenehm normale Geschäfte – im Gegensatz zu den touristischen Läden im Zentrum der Altstadt. In einem Fischladen liegen beeindruckend große Fische im Fenster. Ein paar ältere Herren sitzen vor einem Café und frühstücken. Das möchte ich jetzt auch! Noch um einige Ecken, da ist das Hotel. Das war ein wunderbarer, touristisch höchst wertvoller Vorfrühstückslauf.

Laufen unterwegs – Havelquelle

Wir sind auf dem Land. Also eigentlich sind wir aus Gründen, die nicht näher erläutert werden sollen, eine Woche zu früh auf dem Land. Die Unterkunft, die eigentlich nächstes Wochenende angemietet wurde, ist aber glücklicherweise frei, so dass wir einfach zweimal kommen dürfen.

Das Müritz-Freifunk-Netz ist ein bisschen lahm, so dass es ziemlich mühsam ist, bei gpsies.com eine Strecke zusammen zu klicken und auf die Uhr zu laden. Vor dem Haus klappt es dann doch noch. Der Plan sieht eigentlich ein 10km Testrennen vor. Da hier aber keines stattfindet, ich außerdem nach den vergeigten Intervallen von Mittwoch überhaupt keine Lust auf Tempo habe, und ich mich alleine sowieso nicht annähernd in so was wie 10km-Wettkampf-Stimmung bringen könnte, hole ich stattdessen die versäumten langsamen 19km nach (ja ich weiß, soll man nicht).

Zuerst geht es asphaltiert 3 km nach Norden bis Zahren. Die Gegend ist sanft hügelig, die Felder riesengroß und an den Rändern blühen Kornblumen und Mohn. Das sieht sehr schön aus.

Am Ortsrand biege ich nach Südwesten. Jetzt kommt der Wind genau von vorn. Lustig ist, dass die Mohnblumen mir jetzt genau entgegen geweht werden und aussehen, als würden sie sich verbeugen oder mir freundlich zunicken.

Im Wald lässt der Wind nach. Ich sollte mir mal anschauen, ob es bei Open Street Map nicht doch eine Legende gibt, die erklärt, was die verschieden gestrichelten Waldwege bedeuten sollen. Vor dem, den die Uhr vorsieht, steht eine schon ziemlich verrottete Holzschranke. Das, was dahinter kommt, sieht vorläufig nach Weg aus. Aber nicht sehr lange. Ich stelle fest, dass es eine tolle Idee war, das vom Paddeln noch bereitstehende Mückenzeug einzupacken. Noch genialer wäre es gewesen, mich damit einzusprühen. Sobald ich nämlich unter Laufgeschwindigkeit abbremse, fallen die Mücken schwärmeweise über mich her. Der Untergrund ist sehr uneben und von Brennesseln überwuchert, die meisten Bäume, die im Wald umfallen, scheinen sich über Wege zu legen. Speziell über diesen hier. Einmal versuche ich, mit dem Fuß auf einem umgestürzten Baum aufzusetzen, um elegant darüber zu hüpfen. Blöde Idee, der Stamm ist total glitschig, und ehe ich mich versehe, sitze ich rittlings darauf. Aua! Wieso ist hier bei gpsies überhaupt ein Weg eingezeichnet?

Irgendwann darf ich rechts abbiegen, und zwar auf einen echten Weg. Super, ich kann ein bisschen beschleunigen. Als ich aus dem Wald herauskomme, bin ich richtig froh über den Wind. Ich darf durch eine wunderschöne, duftende Lindenallee laufen. Hier gibt es keine Mücken, aber Wanderwegmarkierungen und eine Infotafel über die historische Salzstraße, die hier einmal verlief. Die Havelquelle ist ein touristischer Höhepunkt. Ein klitzekleines Becken, dahinter erst fängt ein nunja – Bach? – an. Sieht eher nach stehendem Gewässer mit viel Entengrütze aus. Ich weiß auch nicht warum, muss aber einen kleinen Schluck aus dem Quellbecken nehmen. So richtig einladend sieht es nicht aus, aber das Wort Quelle impliziert einfach Trinkwasser. Stimmt wahrscheinlich nicht, aber bisher hatte es keine Nebenwirkungen. Um das Quellbecken stehen Steine mit den Wappen der Gemeinden, die die Havel durchfließt – von Ankershagen bis Havelberg.

Danach ist Buchenwald. Sehr düster, aber schön. Ich meine, den Weg verloren zu haben, aber es könnte auch an der Satellitendichte über Mecklenburg liegen. Ein kurzes Querfeldeinexperiment bringt nichts, ich kehre auf den sichtbaren Weg zurück. Links vom Weg ist ein Sumpf, in dem vermutlich die Havel fließt. Einmal quere ich sie tatsächlich noch.

Jedes Mal, wenn ich ein Bild mache, fallen die Stechmücken über mich her. Vielleicht sollte ich mehr laufen und weniger fotografieren.

Zwischen Lehmsee und Krummer See passiert es dann: die Abzweigung sieht schon etwas zweifelhaft aus, aber das, was da abzweigt, könnte vorläufig noch als Weg durchgehen. Die Uhr ist sich total sicher. Um mich ist heller Birkenwald, sehr schön. Das Gras auf dem Weg ist hoch und sehr nass. Das ist eigentlich ganz angenehm, denn es kühlt meine zerstochenen und nesselverbrannten Waden. Allerdings werden die Füße immer nasser. Der Weg wird immer unscheinbarer, das ist sozusagen ein Weg-Fadeout. Vor mir schrecken zwei Rehe auf – mit weißen Punkten! Sie hüpfen elegant davon und ich folge in ihrer Spur, ist schließlich auch eine Art Weg. Das Gras wird struppiger, eigentlich ist das fast schon Schilf. Was die Uhr angeht, bewege ich mich parallel zum Weg. Ich versuche, mich wieder anzunähern, aber das, was mich vom Weg trennt, ist echter Sumpf: hohe Grasbüschel, dazwischen Schlamm bzw. Wasser. Das geht auch als Ausdauertraining durch. Ich fluche ein bisschen vor mich hin und zücke dann irgendwann das Telefon – GPS ist großartig. Googlemaps sagt mir, dass ich zwar parallel zum geplanten Weg, aber auf der falschen Seite eines Sees unterwegs bin. Na toll, zurück. Ich versuche es mit Singen im Wald – nicht weil ich mich fürchte, eher weil es mir ziemlich lästig ist, mich ohne Weg durch eine See- und Sumpflandschaft zu bewegen. Der Untergrund ist zu schwierig um zu laufen, da kann ich ja auch singen. Ob mein Gröhlen wohl Wilddschweine verscheuchen könnte?

Die Uhr behauptet, ich hätte den Weg gefunden. Na, wenn das ein Weg ist – was sind das eigentlich für Leute, die sich da bei Open Streetmap einbringen? Wilderer? Zumindest geht es wieder bergauf und die Gefahr im Sumpf zu versinken lässt nach. Sobald es geht, trabe ich an. Und dann ist es plötzlich ganz einfach: ein richtiger Weg. In einer Hütte, aus der ich Vögel beobachten soll, nutze ich kurz die Bank, um meine Socken auszuwringen. Das Quatschgeräusch, das das Wasser in meinen Schuhen verursacht hat, ging mir doch auf die Nerven. Und dann geht es ganz schnell: Liepen (ja, klingt wie Leipe und heißt ebenfalls sowas wie „Ort mit Linden“), ein echter Wegweiser nach Hartwigsdorf, und sobald ich aus dem Wald herauslaufe, sehe ich in gar nicht allzu großer Ferne das Dach unserer Unterkunft. Der letzte  Kilometer ist ein Klacks. Titus sitzt auf der Treppe und liest in seinem Schachbuch. Schön.

In meiner Ellbogenbeuge sehe ich eine Zecke und grusle mich sehr. Titus holt die Pinzette. Auf meinen Beinen finde ich mindestens acht dieser Biester. Die meisten suchen noch nach einer guten Einstichstelle und sind leicht zu entfernen. Brrrrr! Es ist sehr eklig, dass so viele von diesen Biestern mich für ihr Abendessen halten. Eine übersteht anschließend sogar die Dusche, aber ich vermute mal, dass ich inzwischen alle erwischt habe.