Laufen unterwegs – Havelquelle

Wir sind auf dem Land. Also eigentlich sind wir aus Gründen, die nicht näher erläutert werden sollen, eine Woche zu früh auf dem Land. Die Unterkunft, die eigentlich nächstes Wochenende angemietet wurde, ist aber glücklicherweise frei, so dass wir einfach zweimal kommen dürfen.

Das Müritz-Freifunk-Netz ist ein bisschen lahm, so dass es ziemlich mühsam ist, bei gpsies.com eine Strecke zusammen zu klicken und auf die Uhr zu laden. Vor dem Haus klappt es dann doch noch. Der Plan sieht eigentlich ein 10km Testrennen vor. Da hier aber keines stattfindet, ich außerdem nach den vergeigten Intervallen von Mittwoch überhaupt keine Lust auf Tempo habe, und ich mich alleine sowieso nicht annähernd in so was wie 10km-Wettkampf-Stimmung bringen könnte, hole ich stattdessen die versäumten langsamen 19km nach (ja ich weiß, soll man nicht).

Zuerst geht es asphaltiert 3 km nach Norden bis Zahren. Die Gegend ist sanft hügelig, die Felder riesengroß und an den Rändern blühen Kornblumen und Mohn. Das sieht sehr schön aus.

Am Ortsrand biege ich nach Südwesten. Jetzt kommt der Wind genau von vorn. Lustig ist, dass die Mohnblumen mir jetzt genau entgegen geweht werden und aussehen, als würden sie sich verbeugen oder mir freundlich zunicken.

Im Wald lässt der Wind nach. Ich sollte mir mal anschauen, ob es bei Open Street Map nicht doch eine Legende gibt, die erklärt, was die verschieden gestrichelten Waldwege bedeuten sollen. Vor dem, den die Uhr vorsieht, steht eine schon ziemlich verrottete Holzschranke. Das, was dahinter kommt, sieht vorläufig nach Weg aus. Aber nicht sehr lange. Ich stelle fest, dass es eine tolle Idee war, das vom Paddeln noch bereitstehende Mückenzeug einzupacken. Noch genialer wäre es gewesen, mich damit einzusprühen. Sobald ich nämlich unter Laufgeschwindigkeit abbremse, fallen die Mücken schwärmeweise über mich her. Der Untergrund ist sehr uneben und von Brennesseln überwuchert, die meisten Bäume, die im Wald umfallen, scheinen sich über Wege zu legen. Speziell über diesen hier. Einmal versuche ich, mit dem Fuß auf einem umgestürzten Baum aufzusetzen, um elegant darüber zu hüpfen. Blöde Idee, der Stamm ist total glitschig, und ehe ich mich versehe, sitze ich rittlings darauf. Aua! Wieso ist hier bei gpsies überhaupt ein Weg eingezeichnet?

Irgendwann darf ich rechts abbiegen, und zwar auf einen echten Weg. Super, ich kann ein bisschen beschleunigen. Als ich aus dem Wald herauskomme, bin ich richtig froh über den Wind. Ich darf durch eine wunderschöne, duftende Lindenallee laufen. Hier gibt es keine Mücken, aber Wanderwegmarkierungen und eine Infotafel über die historische Salzstraße, die hier einmal verlief. Die Havelquelle ist ein touristischer Höhepunkt. Ein klitzekleines Becken, dahinter erst fängt ein nunja – Bach? – an. Sieht eher nach stehendem Gewässer mit viel Entengrütze aus. Ich weiß auch nicht warum, muss aber einen kleinen Schluck aus dem Quellbecken nehmen. So richtig einladend sieht es nicht aus, aber das Wort Quelle impliziert einfach Trinkwasser. Stimmt wahrscheinlich nicht, aber bisher hatte es keine Nebenwirkungen. Um das Quellbecken stehen Steine mit den Wappen der Gemeinden, die die Havel durchfließt – von Ankershagen bis Havelberg.

Danach ist Buchenwald. Sehr düster, aber schön. Ich meine, den Weg verloren zu haben, aber es könnte auch an der Satellitendichte über Mecklenburg liegen. Ein kurzes Querfeldeinexperiment bringt nichts, ich kehre auf den sichtbaren Weg zurück. Links vom Weg ist ein Sumpf, in dem vermutlich die Havel fließt. Einmal quere ich sie tatsächlich noch.

Jedes Mal, wenn ich ein Bild mache, fallen die Stechmücken über mich her. Vielleicht sollte ich mehr laufen und weniger fotografieren.

Zwischen Lehmsee und Krummer See passiert es dann: die Abzweigung sieht schon etwas zweifelhaft aus, aber das, was da abzweigt, könnte vorläufig noch als Weg durchgehen. Die Uhr ist sich total sicher. Um mich ist heller Birkenwald, sehr schön. Das Gras auf dem Weg ist hoch und sehr nass. Das ist eigentlich ganz angenehm, denn es kühlt meine zerstochenen und nesselverbrannten Waden. Allerdings werden die Füße immer nasser. Der Weg wird immer unscheinbarer, das ist sozusagen ein Weg-Fadeout. Vor mir schrecken zwei Rehe auf – mit weißen Punkten! Sie hüpfen elegant davon und ich folge in ihrer Spur, ist schließlich auch eine Art Weg. Das Gras wird struppiger, eigentlich ist das fast schon Schilf. Was die Uhr angeht, bewege ich mich parallel zum Weg. Ich versuche, mich wieder anzunähern, aber das, was mich vom Weg trennt, ist echter Sumpf: hohe Grasbüschel, dazwischen Schlamm bzw. Wasser. Das geht auch als Ausdauertraining durch. Ich fluche ein bisschen vor mich hin und zücke dann irgendwann das Telefon – GPS ist großartig. Googlemaps sagt mir, dass ich zwar parallel zum geplanten Weg, aber auf der falschen Seite eines Sees unterwegs bin. Na toll, zurück. Ich versuche es mit Singen im Wald – nicht weil ich mich fürchte, eher weil es mir ziemlich lästig ist, mich ohne Weg durch eine See- und Sumpflandschaft zu bewegen. Der Untergrund ist zu schwierig um zu laufen, da kann ich ja auch singen. Ob mein Gröhlen wohl Wilddschweine verscheuchen könnte?

Die Uhr behauptet, ich hätte den Weg gefunden. Na, wenn das ein Weg ist – was sind das eigentlich für Leute, die sich da bei Open Streetmap einbringen? Wilderer? Zumindest geht es wieder bergauf und die Gefahr im Sumpf zu versinken lässt nach. Sobald es geht, trabe ich an. Und dann ist es plötzlich ganz einfach: ein richtiger Weg. In einer Hütte, aus der ich Vögel beobachten soll, nutze ich kurz die Bank, um meine Socken auszuwringen. Das Quatschgeräusch, das das Wasser in meinen Schuhen verursacht hat, ging mir doch auf die Nerven. Und dann geht es ganz schnell: Liepen (ja, klingt wie Leipe und heißt ebenfalls sowas wie „Ort mit Linden“), ein echter Wegweiser nach Hartwigsdorf, und sobald ich aus dem Wald herauslaufe, sehe ich in gar nicht allzu großer Ferne das Dach unserer Unterkunft. Der letzte  Kilometer ist ein Klacks. Titus sitzt auf der Treppe und liest in seinem Schachbuch. Schön.

In meiner Ellbogenbeuge sehe ich eine Zecke und grusle mich sehr. Titus holt die Pinzette. Auf meinen Beinen finde ich mindestens acht dieser Biester. Die meisten suchen noch nach einer guten Einstichstelle und sind leicht zu entfernen. Brrrrr! Es ist sehr eklig, dass so viele von diesen Biestern mich für ihr Abendessen halten. Eine übersteht anschließend sogar die Dusche, aber ich vermute mal, dass ich inzwischen alle erwischt habe.