Ich sitze am Rechner und tippe mit einer Hand, weil ich mir mit der anderen ein Coolpack ans Kinn halte. Dazu kam es so: dritte Woche Trainingsplan, so langsam muss da mal wieder etwas Zug in die Sache kommen. Mit leichtem Bedauern verabschiede ich mich von den Freundinnen, die noch weiter durch 48 Stunden Neukölln bummeln wollen. Wir haben spannende, lustige und interessante Orte und Kunstprojekte gesehen, aber wenn ich schon in Woche drei anfange rumzuschluffen, wird das nix mit dem Marathon. Also fix nach Hause geradelt, nur ganz kurz mit den Katzen gespielt und dann ab in die Laufsachen.
Heute sind 15 langsame Kilometer dran, die laufe ich am Kanal, ab dem Badeschiff (von wo gerade immer WM-Club gesendet wird) die Spree entlang in den Plänterwald. Dort wird sonntags tüchtig spaziert, es sind auch viele Läuferinnen und Läufer unterwegs, die meisten überholen mich, denn wie gesagt: ich soll langsam, und als kleine Planfetischistin tue ich das dann auch. Der Lauf ist recht unspektakulär, nur auf dem Rückweg biege ich in einen mir unbekannten Asphaltweg ein, der leider in einem eingezäunten Grundstück endet. Das Tor steht offen, ich hoffe immer noch auf einen Ausgang, stehe aber plötzlich an der Kreuzung zweier S-Bahn-Gleise. OK, das war falsch. Habe immer noch keine Lust, den ganzen Weg zurück zu laufen und versuche mein Glück über ein anderes eingezäuntes Grundstück, auf dem zwei große Bagger schon ordentlich Dreck umgeschichtet haben. Am Bauzaun vorne an der Kiefholzstraße ist ein kleines Lager mit ein paar Decken, vollen Plastiktüten und einem Einkaufswagen – hier wohnt wohl eine obdachlose Person, die aber nicht da ist. Glücklicherweise ist der Zaun nicht besonders dicht, da pass ich schon durch. Der Rückweg führt mich wieder an den Landwehrkanal zurück, das ist praktisch Hausrunde, da wird es wieder ganz unspannend.
Bis plötzlich zwei große Hunde entgegenkommen, die sich gegenseitig spielerisch jagen. Sie sind gut kniehoch, haben dicke Köpfe und einen beachtlichen Brustumfang. Direkt vor mir wechseln sie die Richtung und einer läuft mir direkt vor die Füße. Ich kann unmöglich ausweichen und noch im Fallen über den dicken Hund hoffe ich, dass ihn das nicht so sehr verstimmt, dass er schlechte Laune bekommt. Weil der Hund im Weg ist, kann ich mich nicht mit den Händen abfangen, und lande unsanft mit dem Kinn im Dreck. Der Hund scheint mich kaum bemerkt zu haben, ist schon weiter gerannt. Sein Kollege schnuffelt ein wenig an mir rum, wird aber dann zurück gerufen. Ich setze mich auf und bin ziemlich benommen. Die Besitzer sind von der Sorte Neuköllner mit schlechten Zähnen. Eine Frau, die nicht dazu gehört, fragt, ob ich einen Arzt brauche, aber das verneine ich natürlich. Ich will nur ein bisschen sitzen und mich sammeln. Der Besitzer meint, kein Arzt, dann ist ja gut, wenn was ist, wir sind hier gleich in der Nähe. Er deutet unspezifisch hinter sich. Aha, in der Nähe denke ich, und ganz diffus kommt es mir vor, als sei das eher so eine mittelnützliche Auskunft. Die Frau reicht mir ein Papiertaschentuch, ich tupfe an meinem Kinn rum, das zwar weh tut, aber nur ein wenig aufgeschürft ist. Ich muss noch ein Weilchen sitzen und bin so richtig froh, dass mir an den Beinen nix weh tut – die Knie sind ja auf dem Hund und erst danach auf dem Boden aufgeschlagen. Ich bewege Arme und Beine durch und finde, dass ich Glück hatte. Die Hunde und ihre Herrchen sind weg, die Frau begleitet mich noch bis zu nächsten Ecke, wo ich erstmal in die Eckkneipe abbiege, um mir das Gesicht zu waschen und den Sand aus dem Mund zu spülen. Dort sitzen drei ergraute Zausel am Tresen, trinken Bier und rauchen. Der Wirt sieht genauso aus. Mein Satz „Ich bin über einen dicken Hund gefallen, darf ich mal Ihre Toilette benutzen und mir das Gesicht waschen?“ kommt mir schon in dem Moment, als ich ihn sage, reichlich bescheuert vor. Im Spiegel sehe ich, dass mein Kinn zwar um einiges größer ist als normal, aber wenn man mich nicht kennt, fällt das sicher gar nicht auf. Ich wasche mir das Gesicht, trinke ein bisschen Wasser aus dem Hahn, und bedanke mich anschließend beim Wirt. Draußen beschließe ich, wieder zu laufen (nicht ohne an die Ultraheldinnen und -helden zu denken, die viel schlimmer gestürzt und einfach weiter gelaufen sind, ohne sich groß anzustellen).
Tja, und jetzt sitze ich hier, das Kinn hat inzwischen die Farbe gewechselt und eine Beule nach unten bekommen. Macht nix, morgen ist kein Kundenkontakt, und in zwei Tagen habe ich sowieso Urlaub. Und ehrlich: ich bin immer noch froh, dass das Fahrgestell überhaupt nichts abbekommen hat.