Advent, Advent

Es ist trüb, aber trocken. Sonntag, Stadtlauf. Es ist nicht so richtig toll für die Motivation, wenn der Liebste überhaupt nicht mehr laufen darf, sondern ganz im Gegenteil eine fiese OP vor sich hat. Es fällt mir schwerer, für den Sonntagslauf großzügig Zeit einzuplanen, wenn ich die gemeinsame Zeit eben nicht nur ums Laufen herum drapieren möchte.

Ich stöpsle mir die Kopfhörer in die Ohren und laufe los. Das glaubt mir keiner, dass ich Weihnachtslieder höre. Tu ich aber. Seit mein Wohnprojekt gescheitert ist, habe ich wieder mehr Zeit und fand, ich sollte endlich mal meinen alten Traum wahr machen und im Chor singen (hat dazu geführt, dass ich jetzt donnerstags auf jeden Fall morgens laufen muss, weil abends Probe ist). Tja, und wer im Oktober einem Chor beitritt, sollte sich nicht wundern, wenn dort Weihnachtslieder geprobt werden. Fürs Konzert stehen 22 Lieder auf dem Plan – und nicht nur das klassische einheimische Liedgut, für das ich aus Kindertagen immerhin noch (fast) die ganzen Texte und die Melodiestimmen drauf habe. Mein neuer Chor singt auch englisch, französisch, lateinisch und schwedisch, und Chorsätze gehen auch ein bisschen anders als das, was in den gängigen Liederbüchern steht. Das will geübt werden. Tja, und bis ich das alles kann, gibt’s eben beim Laufen die Aufnahme vom Konzert aus dem letzten Jahr auf die Ohren.

Ich laufe durch Schöneberg, Richtung Gasometerpark, dann über den Bahnhofsvorplatz vom Südkreuz und weiter Richtung Süden, Richtung Schöneberger Südgelände. Ich bleibe außen auf dem Rad- und Fußweg, der Wind kommt von vorn. Ich versuche, ganz besonders auf die Sopranstimmen zu achten, gelegentlich probiere ich mitzusingen, gebe ich aber schnell wieder auf, dazu reicht die Puste nicht. Blick auf die Uhr – blöd, leider nicht so viel Zeit, da hätte ich früher aufstehen müssen. Ich streiche den Insulaner vom inneren Plan und laufe am Priesterweg in den Südgeländepark. Das ist quasi schon der Heimweg. Manche Lieder klingen so schön, wenn ich da nicht selber mitsinge, werde ich ganz gerührt. Das Parkgelände ist herbstlich kahl und nass, die Graffiti an den dafür vorgesehenen Mauern der einzige Farbfleck. Einige sind richtig toll. Über die Treppe am Nordende verlasse ich den Park, laufe Richtung Westen und kreuze die Autobahn auf dem Fußgängersteg hinter Möbel Kraft. Kurz danach wiederholt sich der „Gummibaum“ – ein Lied von Maybebop, in dem ein Mensch mit Migrationshintergrund die Weihnachtssitten der Einheimischen unter die Lupe bzw. auf die Schippe nimmt. Das ist ziemlich schwer zu singen. Am Rathaus Schöneberg ist Flohmarkt, ich laufe außen rum und nehme dann den direkten Weg Richtung Norden. Ich denke dran, dass wir heute Nachmittag mit einer Freundin zum Plätzchen backen verabredet sind – bei mir. Das ist gut, denn eine relativ neu bezogene Wohnung muss schließlich durch Geselligkeiten „eingewohnt“ werden. Kurz vor dem Viktoria-Luise-Platz, als zum zweiten Mal „Oh Du Fröhliche“ erklingt, frage ich mich, ob ich womöglich an Weihnachten nur noch Punk hören mag. Aber bis dahin ist es ja noch eine Weile, da werden mich die Weihnachtslieder bestimmt noch auf dem ein oder anderen Lauf begleiten. Einen frohen ersten Advent allerseits!

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