Wien

Vorspann 1 – mit Erläuterungen zum Thema Hochstapelei

Dass ich dieses Jahr zum Hermann will, ist schon lange klar, spätestens, seit der Kollege aus Bielefeld uns nach dem CeBIT-Run 2012 praktisch alle eingeladen hat (nur sind die anderen Kollegen inzwischen alle abgesprungen). Nun hat aber Titouli sich zum Wien-Marathon angemeldet und gefragt, ob ich nicht mitkommen möchte. EIGENTLICH will ich erst gar nicht – und gegen Marathon spricht nicht zuletzt der Hermann. Aber in Wien kann man ja auch Halbmarathon laufen, und vielleicht wäre das ja ganz schön. Als ich mich anmelden will, ist der Halbmarathon ausverkauft. Am selben Tag postet Bbubu auf Jogmap, dass er einen Gutschein für Wien übrig hätte, und irgendwie bin ich vom Glück geküsst, denn ich bin die erste, die ihn haben will und bekomme ihn auch – hier noch einmal: Danke, @Bbubu, vielen lieben Dank! Da steh‘ ich nun, mit einem Startplatz. Klar kann man damit auch HM laufen, aber irgendwie reizt es mich doch… Weil ich ja durchaus Erfahrung mit Überlastung habe, entscheide ich mich für den ganz langsamen Marquardt-Plan, mit viel Zusatzsport, Schwimmen, Rumpfstabi, Lauf-ABC und halte mich recht ordentlich dran. Ich kündige allen an, dass ich sofort aufhören will, wenn es irgendwo ziept. Aber es ziept nicht. Ehrlich gesagt, verrate ich einigen Leuten auch gar nicht erst, dass ich mit dem Gedanken an die volle Strecke spiele… Aber die Vorbereitung läuft, trotz Eis und Schnee, trotz eines kleinen Infekts. Zum Hermann sind wir natürlich auch gemeldet – immer mit etwas schlechtem Gewissen wegen der Gräten und immer mit dem Gefühl eigentlich eine Hochstaplerin zu sein.

Vorspann 2 – Ausflug!

Im Nachtzug nach Wien reisen ist toll – ich liebe Bahn fahren, und ein Schlafwagen, in den auf der Strecke nach Dresden erstmal die untergehende Sonne scheint, ist einfach großartig. Am Freitag früh sind wir da, holen die Startunterlagen, betreiben moderaten Tourismus (viel Kaffeehaus, wenig Strecke) und kommen bei Titoulis Ex-Kollegen M. ganz zentral unter. Der ist nebenbei noch Jazzmusiker und hat am Samstag zu einem kleinen Hauskonzert geladen, denn die andere Läuferin, die auch bei ihm zu Besuch ist, kann ganz wunderbar singen. Geht’s uns gut!

Hauptteil – Marathon

Auch in Wien fahren am Sonntag früh fast nur Menschen mit den gewissen Kleiderbeuteln in der U-Bahn. Schon da kommt ein wunderbares Gefühl auf, es ist Marathon. Und wir fahren hin. Das Wetter ist traumhaft, die Kulisse vor der UNO-City fantastisch, und dann kommt, während wir unseren Kram in den Kleiderbeuteln verstauen, eine Person mit einem kleinen Schild „Top Athletes“ und direkt danach Haile und all die anderen Spitzenläuferinnen und -läufer auf dem Weg ins VIP-Zelt. Wir Hobbyläufer applaudieren und ich habe schon wieder Gänsehaut. Als die Beutel abgegeben sind, fragt mich Titouli, wo eigentlich meine Uhr sei – er denkt, ich hätte sie eben mit den Klamotten abgegeben und müsse sie halt zurück holen. Aber nein, so ist es nicht, ich Rind hab‘ sie tatsächlich auf dem Nachtschränkchen bei M. liegen gelassen. Arme Garmine, schon wieder allein zu Haus.

Wir stellen uns in den schwarzen Startblock (das wäre in Berlin H wie „hinten“), wo leider von der Musikbeschallung, die es weiter vorne gibt, fast nichts zu hören ist. Da hätten sie aber mal ein paar Lautsprecher mehr spendieren können, zumal die Musik hier wirklich anders ist als anderswo – Klassik, sehr stilvoll! Im Schatten ist es noch kalt. Irgendwann geht es los, das finde ich etwas unspektakulär, so ohne Musik und Luftballons, als es aber über die Donaubrücke geht, bin ich doch ziemlich ergriffen. Am Eingang zum Prater stehen seltsame Schilling-Nostalgiker mit einem „Raus-aus-Europa“- und einem „Marathon statt Banken-Run“-Transparent (hö?) Von solchen Leuten will ich mich ja nicht vereinnahmen lassen und rufe ihnen ein herzliches „Europa!“ zu, einige Läufer lachen. Es geht durch den Prater – noch gibt es keine Blätter an den Bäumen, aber Knospen, die aussehen, als würden sie jeden Moment explodieren. Wir sind eher langsam unterwegs, aber das soll so sein. Genießen und gesund ankommen.

Zuschauer gibt es nicht sehr viele, auch nicht, als wir am Donaukanal Richtung Innenstadt laufen, aber da kommt uns die Spitze entgegen. Wahnsinn, wie die fliegen! Die sind schon bei KM 28 oder so, wir haben gerade mal 9 zurückgelegt. Gelegentlich steht da ein Wagen mit Lautsprechern drauf, hmm, die Live-Musik-verwöhnte Berlinerin reißt sich zusammen und findet auch Konserve fein. In der Innenstadt wird es etwas belebter. An der großen Kreuzung Schwarzenbergplatz spielen sie Walzer – ich versuche Laufschritt und Walzertakt zu vereinbaren, aber das klappt eher bedingt. Vor der Oper, wo die große Leinwand hängt, und wo eine Trommelgruppe trommelt, drängt sich das Publikum, hier werden wir angefeuert! Am Naschmarkt biegt Titouli in eine öffentliche Toilette ab – das will ich auch, aber die Damenabteilung hat geschlossen. Ich fühle mich etwas diskriminiert und laufe weiter. Auf der linken Wienzeile steht unser Gastgeber fotografiert und jubelt uns zu – eigentlich muss der heute am Schreibtisch sitzen, er ist extra für uns an die Strecke gekommen. Danke! Es geht Richtung Schönbrunn. Weil die Straße sich schlängelt, sehen wir den langen bunten Läuferlindwurm vor und hinter uns. Naja, eher vor uns. Fast alle um uns herum haben die Startnummern des HM – ob nachher wohl überhaupt noch jemand übrig ist, der mit uns die zweite Hälfte laufen wird?

Am Staffelwechselpunkt sehe ich ein freies Toitoi (so heißen die Dixies hier). Titouli geht solange weiter, bis ich ihn wieder eingeholt habe. Vom Schloss Schönbrunn ist nichts zu sehen, dafür bekomme ich mal wieder Seitenstiche. KM 17-19 sind etwas mühsam, ich schnaufe und versuche sie wegzuatmen, dann geht’s wieder. Da ist auch schon die Hälfte vorbei und die Halben biegen ab durchs Heldentor. Titouli will noch gar nicht hinschauen – ich schon.

Es wird leerer auf der Strecke, wir laufen den Ring weiter, und irgendwann wieder am Donaukanal Richtung Prater. Links steht ein Schild 28, rechts, wo sie uns schon entgegenkommen eins mit einer 38. Au weia, es wird noch über eine Stunde dauern, bis wir wieder hier sind. Doch, die auf der Gegenfahrbahn sind merklich schneller als wir unterwegs. Ein bisschen beneide ich sie. Am Straßenrand steht ein Mann mit Notenständer und spielt Akkordeon – endlich wieder einmal Live-Musik, danke! Ich entwickle eine Theorie, die geht so: wenn der Marathon erst bei KM 30 anfängt, ein Zehner aber immer geht, dann müssten die Kilometer 30-32 die schlimmsten sein, und danach müsste es wieder leichter gehen. Ich versuche das zu beobachten.

Erstmal sind sie wirklich schlimm: zuerst die blöde kleine Wendestrecke vor dem Ernst-Happel-Stadion, dann die lange Wendestrecke auf der Praterhauptallee. Irgendwo habe ich was von schattigen Praterbäumen gelesen. So ist es aber nicht. Zwar kommt es uns vor, als wären die Knospen noch ein bisschen dicker als vorhin, Schatten spenden sie aber immer noch keinen. Dafür hängen an den Bäumen Lautsprecher, die alle dieselbe Musik spielen. Das ist toll! Wir laufen durch die Musik. Trotzdem zieht es sich ziemlich bis zu diesem ollen Lusthaus, wo wir endlich wenden dürfen. Zum Glück kommen auch uns noch Läufer entgegen, ich dachte schon, hinter uns kommt nichts mehr. Als ich das letzte Gel aus der hinteren Hosentasche fummle, stelle ich fest, dass die Tüte geplatzt ist. Der Notgeldschein, das Ticket für den Nahverkehr und das Gel bilden eine klebrige Einheit. Meine Güte, das Zeug klebt wie Hölle. Irgendwie bekomme ich die Geltüte dann doch raus und leere sie. Die Hände kleben jetzt ebenfalls ganz fies, buäh.

Bin ich froh, als wir wieder bewohntere Gegenden belaufen und ich mir an einer Wasserstelle kurz die Hände waschen kann. Der Mann mit Akkordeon ist immer noch da und spielt. Die Zuschauer, die jetzt noch da sind, sind übrigens großartig. Wir werden so direkt und persönlich angefeuert, wunderbar. Ich beschließe, an meine Theorie zu glauben, und es funktioniert. Die Beine sind längst nicht mehr so schwer wie eben im Prater, ich muss alle, die uns zujubeln anstrahlen, mich bedanken, zurückjubeln und bin einfach total marathongeflasht. Es macht so viel Spaß, die Helferinnen an den Wasserstellen stehen jetzt mitten auf der Fahrbahn, um uns die Becher direkt auf der Ideallinie zu servieren. Nochmal wird Walzer gespielt, diesmal muss ich mich sogar ein paarmal drehen. Es ist nicht mehr weit, es ist nicht mehr weit, ich habe das Gefühl, ich fliege gleich – hat schon mal wer fliegende Schnecken gesehen? Gibt’s echt! Nochmal Oper, nochmal Trommeln, nochmal Jubel! Wow, was machen die hier noch alle? Sind die wegen uns so lange dageblieben? Und da ist endlich die Abzweigung auf den Heldenplatz, der rote Teppich ist hier gelb, gemeinsam fliegen wir nebeneinander durchs Ziel.

Nein, wir sind nicht wirklich geflogen – 4:53 ist nicht schnell. Aber das Gefühl war einfach trotzdem da.

Abspann

Medaille (die ist wirklich toll, sternförmig und mit einem Glitzerstein!), Erdinger, Kleiderbeutel, Belohnungskaffee im Palmenhaus, U-Bahn, Abendessen mit M., Rückfahrt am Montag im Zug (sehr erholsam, kann ich nur empfehlen, auch wenn der Speisewagen keinen Strom hatte und wir nur Salat bekamen), Regenerieren. Das war ein wunderbarer Ausflug nach Wien.

Und jetzt? Wie geht es dem Gestell? Eigentlich gut, aber ganz sicher bin ich nicht, ob es eine gute Idee ist, am Sonntag den Hermann zu laufen. Ein bisschen Hochstapelei halt – oder den Hals nicht voll kriegen. Morgen werde ich noch einen kleinen Test laufen, ob alles sich so anfühlt, wie es soll. Drückt mir die Daumen.

Langer, sonniger Sonntagslauf

Heute nur ein paar Bilder. Im Tiergarten traf ich auf diesen freundlichen Spaziergänger:
Schneemann

Ich glaube, diese Saison wurden die Laufschuhdesigner, was die Farben angeht, ganz besonders von diesem Haus inspiriert:
Bunte Häuser

Am Westhafen steht eine energische Aufforderung für aufgrund des verschneiten/vereisten Untergrunds schwächelnde Läuferinnen:
Trabet24

Sonntags auf dem Tempelhofer Feld

Der Plan sieht nur 14 km vor, die Sonne scheint. Für die urbane Läuferin, die sich im Vorfrühling ein Maximum an Sonneneinstrahlung bei einem Minimum an gefrorenem Wasser auf den Wegen erhofft, bietet sich da das Tempelhofer Feld an. Die Nachbarin, die ich im Treppenhaus treffe, findet es draußen sehr kalt, so dass ich schnell noch einmal umkehre und mir sicherheitshalber eine Mütze hole. Danke Frau Nachbarin, die war sehr nützlich!

Der Parkweg in der Mitte der Fontanepromenade ist noch schneebedeckt, das wird ja ein besonderes Laufvergnügen. Auch in der Hasenheide ist es nicht besser. Hubbeleis, im Schatten noch elend glatt, in der Sonne oben leicht angetaut, so dass sowas ähnliches wie Bodenhaftung möglich ist. Um wenigstens ein bisschen Steigung zu simulieren, nehme ich noch schnell die Rixdorfer Höhe mit. Hoch ist ok, runter extrem rutschig. Gut, das wäre also auch mal geübt.

Über den Eingang Oderstraße erreiche ich das Tempelhofer Feld und erblicke ein Ritterlager. Ich weiß ja, dass unser Hobby auch öfter mal als reichlich abwegig bestaunt wird, da sollte ich gestandenen Männern, die in Ritterkostümen mit Helm, Brustpanzer, Schild und Schwert lustige Übungen abhalten, aufgeschlossen gegenüber stehen. Es ist ja wohl einer der großen Vorteile der Großstadt: egal, wie ausgefallen die Vorlieben sind, es finden sich garantiert immer welche, die sie teilen. Die Ritter haben eine blaugelbe Standarte aufgepflanzt (so heißt das doch?) und sich in einem Quadrat von fünf Reihen mit je fünf Männern aufgestellt, man sagt wohl „in Reih‘ und Glied“. Der Oberritter hat den prächtigsten Umhang und brüllt die Unterritter gelegentlich an. Noch bewegen sie sich nicht, und ich hoffe ein bisschen, dass sie noch da sein werden und ein bisschen mehr Action bieten, wenn ich zurück komme.

Ich nehme den Weg außen rum gegen den Uhrzeigersinn. Die Sonne scheint, es ist warm, ich kann die Handschuhe ausziehen. Nur einen Moment brauche ich, um zu realisieren woran es liegt, dass die Entgegenkommenden einen ziemlich frösteligen Eindruck machen: der eisige Ostwind schiebt mich von hinten. Noch. Schon als er mich von der Seite trifft, ziehe ich die Handschuhe wieder an. Brrrr. Der südliche Rundweg ist stellenweise noch ziemlich verschneit bis verhubbeleist. Trotzdem kaum zu glauben, dass ich mich hier vor einer Woche noch im Schneesturm voran gekämpft habe. Ich werde von einigen Läuferinnen und Läufern überholt, aber da vor mir ist einer, der ist noch langsamer als ich. Komisch, vermutlich trainiert der ja auch langen langsamen Lauf, und ich brauche mir beileibe nichts darauf einzubilden, aber irgendwie macht überholen doch auch ein wenig Spaß.

Am östlichen Ende des Parks steht einer dieser fantastischen Toilettencontainer. Die sind wirklich wunderbar, immer in ziemlich gutem Zustand, es gibt Wasser aus dem Hahn und es ist nicht nötig ein 50-Cent-Stück für eine dieser sogenannten „City-Toiletten“ dabei zu haben oder in Lokalen betteln zu gehen. Nach einem kurzen Boxenstopp geht es mit dem Wind nach Westen. Ich laufe wieder mal auf dem weißen Strich in der Mitte der Startbahn – nur bei meinem heutigen Tempo will nicht so richtig das Gefühl aufkommen, ich könnte am Ende abheben.

Auf der nördlichen Landebahn bläst mir dann der Wind wieder kräftig entgegen. Es macht aber nichts, wenn ich noch langsamer werde, denn links gibt es wieder reichlich Unterhaltungsprogramm. Die Kitesurfer sind heute sehr aktiv, teilweise mit diesen Skateboards mit großen Rädern, teilweise auch noch mit Snowboards – wobei die Schneedecke schon ziemlich viele braune Flecken aufweist. Jemand hat mit einer Schablone auf den Asphalt ein ganz ordenliches blaues „Kite-Verbot auf der Landebahn“ gesprüht. Ich frage mich, ob das wohl eine bereits geltende Regelung oder eine Forderung ist. Die Form – ich meine gesprayt! – deutet schon auf eine etwas seltsame Mischung aus Spießigkeit und Spontitum hin. Aber ehrlich gesagt, habe ich mich auch schon manchmal gefürchtet, wenn weniger erfahrene Kiter etwas unberechenbare Manöver gefahren sind. Auf der Wiese sind sie mir irgendwie doch lieber.

Hurra, die Ritter sind noch da. Ich fühle mich sehr gut unterhalten, denn jetzt üben sie eine Art Schildkrötenpanzer: der Oberritter brüllt, die Unterritter klopfen mit ihren Schwertern gegen die Schilder, und auf ein zweites Kommando bilden sie einen Kreis und halten die Schilde nach außen. Sehr schön.

Ich drehe noch einen Viertelkreis, um den Ausgang am Columbiadamm in der Nähe der Lilienthalstraße zu nehmen. Ich komme an einem chinesisch anmutenden Pavillon vorbei, den ich noch nie wahrgenommen habe. Er gehört zum Berliner Shaolin-Tempel, und ein Hinweisschild verkündet, dass man hier kostenlos an Kampfkunstunterricht bei den Shaolin-Mönchen teilnehmen darf – oder durfte, die letzten Termine lagen schon vor dem Winter. Ob die das Programm wohl wieder aufnehmen? Denen würde ich auch gerne mal zusehen.

Der Heimweg durch die Lilienthal- und Körtestraße ist unspektakulär. Die Kreuzbergerinnen und Kreuzberger spazieren in Scharen, aber ich bin ja schon fertig und kann mich jetzt dem weiteren Sonntagsprogramm widmen.

Heimweg

Eine neue Lebenssituation erfordert gelegentlich etwas Kreativität bei der Planung des Alltags. Bei mir hat sich der Arbeitsweg von nicht der Rede werten 3 km auf 9 km verdreifacht. Ich wohne nicht mehr alleine, und meine Mitbewohnerinnen essen gerne zwischen 19:00 und 19:30 Uhr. Wo bringe ich da einen Lauf unter, wenn ich vor der Arbeit noch einen Termin mit meinem alten Hausverwalter habe? Noch früher aufstehen? Och nö, da probiere ich doch lieber mal etwas Neues aus: von der Arbeit nach Hause laufen.

Ausrüstung: kleiner Laufrucksack, in den neben Hausschlüssel, Geld und Fon hoffentlich noch ein kleiner Einkauf aus dem Supermarkt passt, denn ich habe versprochen zu kochen.

Los geht’s, umziehen, Büroklamotten im Büro lassen, Fahrrad bleibt stehen. Als ich vors Haus trete nieselt es. Macht nichts.

KM 1: Eher langweilig die schnurgerade Rudolstädter Straße entlang, unter der Autobahn durch. Immerhin kann ich mich über den Westwind freuen, der mich von hinten schiebt.

KM 2: Hier beginnt meine alte Volkspark-Hausstrecke am Fennsee entlang – erst links davon, dann über die Brücke auf die andere Seite, denn hier ist beleuchtet.

KM 3: Ab hier ist der Park stockfinster, ich laufe über die Fußgängerbrücke über die Bundesallee und frage mich, ob ich auf Straßen ausweichen soll. Och nö, in der Stadt ist es doch nie so richtig dunkel, das geht schon, also Parkweg. Platsch – das war eine unbeleuchtete Pfütze.

KM 4: OK, doch lieber die Freiherr-von-Stein-Straße nehmen und parallel zum Park bis Rathaus Schöneberg.

KM 5: Belziger Straße – eine nette Schöneberger Seitenstraße, aber im Dunkeln und bei Nieselregen wäre ein bisschen Sound auf den Ohren doch nicht verkehrt gewesen. Notiz an mich selbst: nächstes Mal Musik mitnehmen.

KM 6: Brücken, ich liebe Brücken – erst die Langenscheidt-Brücke, von hier hat man einen guten Blick aufs mit Lichtern geschmückte Gasometer. Genau – das, von wo die Jauch-Sendung ausgestrahlt wird. Dann die Monumentenbrücke mit Blick bis Potsdamer Platz und etwas weiter auf den Fernsehturm. Direkt an der Brücke, Ecke Bautzener Straße ist das Cielo di Berlino, wo ich meinen letzten Geburtstag gefeiert habe – der Name ist sehr treffend, denn der Berliner Himmel ist über der Monumentenbrücke besonders schön.

KM 7: Die Kreuzbergstraße führt unterhalb des Viktoriaparks entlang – wenn es abends wieder länger hell ist, kann ich durch den Park laufen. An der Straße befindet sich das Tomasa in der Villa Kreuzberg, wo seit einiger Zeit die Jogmap-Treffen vor dem Berliner Halbmarathon und dem Marathon stattfinden. Bald ist wieder Halbmarathon, da laufe ich zwar nicht mit, freu mich aber schon aufs Treffen.

KM 8: Die Bergmannstraße ist bunt und lebendig, so lebendig, dass ein bisschen Passantenslalom notwendig ist. Kaufe ich jetzt bei Kaiser’s in der Bergmannstraße oder bei Edeka am Südstern ein? Lieber bei Edeka, da muss ich den Kram nicht so weit tragen. Direkt vor mir bleiben drei junge Touristinnen abrupt stehen, so dass ich fast auf sie auflaufe. Sie finden irgendetwas „totally awesome“ – ich finde aber nicht heraus, was es war.

KM 9: Mitten drin ein kurzer Zwischenstop bei Edeka. Ich mache Gnocchi mit grünen und schwarzen Oliven in Parmesancreme und Salat. Ein bisschen knapp ist das doch mit dem kleinen Rucksack, die Sahne trage ich in der Hand. Ob sie bis zu Hause wohl schon zu Schlagsahne wird?

Nach ziemlich genau 9 km bin ich zu Hause. Experiment geglückt – im Sommer lässt sich das Ganze sicher noch mit der ein oder anderen Grünanlage aufpeppen, aber für einen vernieselten Januarlauf im Dunkeln bin ich sehr zufrieden.

Neues altes Laufrevier

Ein paar Stunden nach einem gemütlichen Frühstück breche ich zu einem Neujahrsläufchen auf. Vor der Haustür wende ich mich nach rechts – hier bin ich noch nie entlang gelaufen. Es geht Richtung Südstern und dort in den Nordwesteingang der Hasenheide. Das Wetter ist bedeckt, aber trocken, ein nicht unwesentlicher Teil der Kreuzberger Bevölkerung scheint sich auf Neujahrsspaziergang zu befinden. Ich trabe gemütlich durch mein altes Laufrevier und lasse die Gedanken schweifen – hier habe ich vor vier Jahren meine ersten Jogmap-Kilometer erlaufen. Hier und am Landwehrkanal. Nach dreieinhalb Jahren bin ich wieder da. Der Dezember war der stressigste seit ich mich erinnern kann – viel Arbeit auf Arbeit und viel Arbeit mit der neuen Wohnung. Am 22. bin ich umgezogen, da waren die Mitbewohnerinnen schon seit drei Tagen da.

Ich laufe rechts um den Hügel herum. Hat der eigentlich einen Namen? Hier kann ich demnächst schön hügelkreiseln üben. Schön, wieder hier zu wohnen. Am Südende verlasse ich den Park, quere den Columbiadamm und laufe an der Moschee und dem islamischen Friedhof vorbei zum Eingang des Tempelhofer Felds. Toll, das war damals noch nicht geöffnet, wunderbar, dass es jetzt zu meinem Laufrevier gehört. Ich denke an unser Weihnachtsessen am 24. – wir haben zwei Traditionen zusammen gelegt: um 16:00 Uhr war Familienweihnachten mit Liedersingen und Geschenken, gegen 19:00 Uhr kamen die anderen Gäste – die, die ich schon seit Jahren zu einem eher unweihnachtlichen chinesischen Feuertopf einlade. Großes Geschnippel, um 20:00 Uhr war alles fertig und der Tisch bog sich fast unter all den leckeren Sachen. 15 Personen kamen zusammen, es hätte aber auch nicht ein Stuhl mehr an den Tisch gepasst – und hinterher gestehen die große Mitbewohnerin und ich einander, dass wir ziemlich besorgt waren, ob das alles gut gehen kann. Es ging aber gut, die große Tischrunde hatte viel Spaß und das Essen war köstlich. Vollkommen egal, dass in allen anderen Räumen noch Umzugskisten standen.

Es ist windig, und es sind einige Kitesurfer unterwegs. Denen sehe ich gerne zu, wie sie sich auf ihren Skateboards ziehen lassen, um dann mit einem eleganten Luftsprung zu wenden. Auch auf Skateboards montierte Surfsegel sind unterwegs. Ich freu mich, dass es so gut läuft. Einen kurzen Moment denke ich darüber nach, was ich wohl in einen läuferischen Jahresrückblick schreiben würde, habe dann aber doch keine Lust dazu – dass der Berlin-Marathon geplatzt ist, war einfach doch zu enttäuschend, und danach lief auch nicht mehr gerade viel. Kein Motivationstief, sondern Wadenbein. Aber heute tut es überhaupt nicht mehr weh, also lieber über neue Pläne nachdenken. Oder darüber, wie das Einleben in der neuen WG sich anfühlt. Ich fühle mich schon richtig zu Hause, auch wenn wir noch lange nicht fertig eingerichtet sind. Zu Silvester hat die kleine Mitbewohnerin zwei Freundinnen eingeladen. Sie wurden von den Eltern gebracht, und wir wurden vor allem von dem einen Vater gründlich begutachtet, ob es wohl sicher ist, Töchterchen bei fremden Leuten Silvester feiern zu lassen. Letztendlich haben wir die Prüfung bestanden. Neben der großen Mitbewohnerin und den drei Teenies war Titouli da, es gab Raclette mit köstlichen Zutaten – ein ganz großer Pluspunkt meiner neuen Familie ist, dass sie unglaublich gerne und gut essen, das ist toll. Um Mitternacht waren wir draußen, haben einander und der Nachbarschaft ein glückliches neues Jahr gewünscht und auch ein bisschen Feuerwerk gezündet.

Nach einer großen Runde ums Tempelhofer Feld verlasse ich den Park an der Nordostseite, quere wieder den Columbiadamm und nehme den Rückweg wieder durch die Hasenheide. Auch ein schöner Park, ich mag die vielen alten Bäume. Der Durchgang durch den kleinen Zoo ist leider zu, da werde ich mich bei den Tieren ein andermal zurückmelden. Nach knapp 10 km bin ich wieder zu Hause. In der Küche steht Kaffee auf dem Tisch und es wird schon wieder gemütlich geplaudert, da trinke ich doch schnell noch vor dem Dehnen und Duschen ein Tässchen mit. 2013 wird schön.