Laufen auf Reisen – Antilopen und Warzenschweine

Nein, die Reise ist noch nicht zu Ende. Ich bin nach Addis zu meinen Freunden zurück geflogen, damit wir gemeinsam weiter reisen können. Dieses Mal haben wir den Landrover vollgepackt und sind am Dienstag nach Süden aufgebrochen. Ziel ist der Bale National Park, wo wir im Harenna Forest zelten wollen.

Die erste Nacht dürfen wir im Haus des Projektmanagers der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt übernachten. Das ist ein Ire, der gerade auf Dienstreise in Kenia ist. Er hatte am Sonntag mit Frau und Töchterchen zusammen den Schlüssel vorbei gebracht. Das Haus ist rustikal mit rohem Holz auf einem Steinsockel gebaut, außerhalb des niedrigen Gartenzauns sehen wir gleich bei der Ankunft eine Herde Warzenschweine.

Kurz nach halb sechs laufe ich los. Eine Stunde habe ich noch vor Sonnenuntergang. Hier im Park gibt es keine Tiere, die Läuferinnen fressen, auch die Wölfe nicht. Die sollen ziemlich klein und scheu sein, außerdem gar nicht hier, sondern auf dem Hochplateau leben, über das wir erst morgen fahren. Hoffentlich sehen wir dann welche. Erstmal den sehr holprigen Weg zurück, dann folge ich einem Wegweiser zur Lodge. Da sitzen ein paar Einheimische rum, die ich frage, wo ich mal langlaufen soll. Sie deuten bergauf. Ich folge einem Wegweiser zur Camp Site. Es geht steil bergauf, ich bin total langsam und schnaufe mal wieder. Dennoch fühlt es sich um Längen besser an als vor einer Woche noch, obwohl wir hier über 3000 m hoch sind. Vor mir steht plötzlich eine kleine Antilope, sie hat niedliche nach außen gebogene Hörnchen. Das muss ein Bock sein, denn er ist in unbehörnter Begleitung von zwei weiteren Tieren, die ich daher für Weibchen halte (inzwischen erfahren: es sind Bush Bucks). Sie sind so nah! Höchstens fünf Meter, das ist nicht mehr als die Länge eines Paddelboots. Ich bewege mich langsam, aber die haben anscheinend gar keine Angst. Erst als ich vorbei bin, trabe ich wieder an. Herr Steffny sieht für heute die letzten Intervalle vor, aber das ist hier wirklich nicht zu machen. Vielleicht hilft Höhentraining ja auch.

Von dem freien Platz, wo man zelten kann – es sind aber keine Zelte da – ist die Aussicht unbeschreiblich schön. Sorry, da fehlen mir die Worte, Abendlicht über einer Wahnsinnsberglandschaft, dieses Mal vermisse ich die Kamera sehr.

Der Fahrweg hört schon wieder auf, aber ein Fußpfad führt zwischen stacheligen Büschen hindurch. Dei Blätter sind gewellt, ähnlich wie bei Eichen, sie sind extrem stachelig und haben tomatenförmige gelbe Früchte. Da alle noch dran hängen, obwohl sie eigentlich reif aussehen, vermute ich, dass man nichts sinnvolles mit ihnen anfangen kann. Ich muss ziemlich aufpassen mir nicht die Beine zu zerkratzen oder die Hose zu zerreißen. Unter riesigen Bäumen endet der Pfad und ich laufe zurück. Zwischen den Büschen bricht eine Rotte Warzenschweine hervor. Einige haben furchterregende Hauer. Nein, das war gelogen, sie haben zwar beachtliche Hauer, aber irgendwie sind sie einfach nur niedlich. Niedriger, aber etwas länger als unsere Wildschweine, jedenfalls fürchte ich mich kein bisschen, sondern bin nur begeistert.

Ein Stück weiter unten steht eine andere Antilope, viel größer, vielleicht so hoch wie ein kleines Pferd? Die Hörner sind viel länger als bei dem einen Böckchen vorhin, ragen steil nach oben und sind etwas nach außen gedreht. Zwischen den Augen verläuft eine weiße Linie, so dass es aussieht, als würde das Tier eine Brille tragen. Eine sehr intellektuell dreinblickende Antilope, die gemächlich zwischen den Bäumen verschwindet, als sie mich sieht. Inzwischen werde ich schon kaum noch langsamer, wenn ich Tiere sehe, es sind einfach so viele! Aber ich freu mich wie ein kleines Kind über jedes einzelne.

Ein Wegweiser zeigt zum Web Valley, der Weg endet an einen Eisentor, durch das gerade zwei Mädchen mit Reisigbündeln auf dem Rücken durchgehen. Ich gehe mit durch, sie lachen sich schlapp über mich. Vielleicht weil, wie Teddy gesagt hat, so viele Spitzenläufer hier aus der Nähe kommen? Es geht auf einem weichen, mit schönem, grünem Rasen bewachsenen Weg leider steil abwärts. Ich laufe durch eine Schaf- und Ziegenherde, die mir das wesentlich übler nimmt als die Warzenschweine und Antilopen eben. An einem Flussbett angelangt, stelle ich fest, dass die Sonne bereits hinter den Bergen verschwindet. Wer weiß, wie lange es noch hell bleibt, also mache ich mich auf den steilen Rückweg. Ein kleiner Junge mit einer Gerte in der Hand läuft mit mir um die Wette. Plötzlich sind da drei Hunde, die uns leider gar nicht ignorieren, sondern böse die Zähne fletschen. Der Junge schreit was und schwingt seine Gerte, die Hunde weichen zurück. Sicherheitshalber hebe ich auch einen dünnen Stecken auf, aber sie folgen uns nicht. Wir laufen wieder bergauf, er immer neben mir her. Er könnte viel schneller sein, das ist deutlich zu sehen. Die Mädchen mit den Reisigbündeln sind immer noch da und kichern wieder. Außerhalb des Tors zum Park bleiben die drei zurück. Jetzt geht der Weg nur noch bergauf. Das ist immer noch anstrengend. Sehr. Am Parkplatz von H.s Landrover stoppe ich die Uhr und gehe die Stufen zum Haus hinauf. Die Sonne ist weg, die Dämmerung setzt ein, und die ist hier sehr kurz. Vielleicht schaffe ich es ja morgen früh noch einmal loszuziehen…

Laufen auf Reisen – im Dunkeln ist es öd

Der Flieger zurück nach Addis geht um neun, d. h., der Flughafenshuttle um sieben, und wenn ich vorher laufen will, muss es wohl so früh wie gestern sein. Immerhin weiß ich schon, dass ich es nicht zum Fürchten finde, im Dunkeln zu laufen. Diesmal ohne Verabredung. Ich wecke wieder den Torwächter und laufe los. Im Dunkeln ist es ziemlich langweilig. Ich muss auf der Hauptstraße bleiben, es ist ziemlich leer, bzw. einfach öd, Fußgänger zu überholen, die nichts anderes tun als zu Fuß zu gehen, oder von Tuktuks überholt zu werden, die einfach nur tuckern. Ich sehe wenige Läufer, zwei recht flott, einer eher gemächlich, heute leider keinen, der schwebt. Trotzdem ist es langweilig. Am Ortsende, wo die Straßenlaternen aufhören, kehre ich um, laufe zurück, am Hotel vorbei, bis auf der anderen Seite zwar nicht die Laternen aufhören, es mir aber zu einsam wird. Wieder zurück in die erste Richtung. Es ist immer noch dunkel und immer noch langweilig. Ich bin ein bisschen genervt, dass die paar Fahrzeuge so furchtbar stinken.

Kurz vor Schluss gibt es noch in kleines Highlight. Vor mir laufen zwei Jungs in Trainingsanzügen sehr gemütlich. Ein Dritter begleitet sie auf dem Rad und sie plaudern die ganze Zeit. Ich wundere mich ein bisschen, dass sie so langsam sind, denn sie laufen einfach schön. Dennoch komme ich ganz allmählich näher. An der Kirche passiert es einfach so: sie müssen stehenbleiben, um sich zu bekreuzigen, ich ziehe vorbei. Aber wupp, sind sie wieder da und der eine erzählt mir einen vom Pferd: dass sein Kumpel der schnellste 5000-Meter-Läufer von Äthiopien sei, er der beste Halbmarathonläufer. Außerdem würden sie nach London fahren zu Olympia. Sein Name sei Tiger. Ehrlich gesagt, habe ich nach der Erfahrung von gestern und einigen anderen Begegnungen in Bahir Dar, die eher touristischer Natur waren, kein Wort geglaubt, aber achtet mal darauf: falls ihr von einem Spitzenläufer mit Spitznamen Tiger hört, mit dem bin ich ein Stück gelaufen. Und vor dem Hotel habe ich die kumpelhafte Variante der äthiopischen Verabschiedung bekommen, dabei reicht man sich die rechte Hand, zieht das Gegenüber zu sich heran, und stößt auch noch leicht mit der rechten Schulter aneinander. Aber auch wenn ich mir darauf nicht später mal was einbilden kann, war diese Begegnung zumindest spaßig.

Laufen auf Reisen – Verabredung um fünf

Gestern Abend habe ich im Bahir Dar Hotel im schönen Innenhof gesessen und zu Abend gegessen, denn die Küche des Ghion- Hotel, wo ich abgestiegen bin, hat eher zweifelhaften Ruf. Ich war schon fertig, als sich ein junger Mann zu mir setzte und mich fragte, wie es mir gefällt. Er sei Ashenawi, außerdem der Cousin des Managers und sie befragten gerne die Gäste. Wir unterhielten uns eine Weile, er erzählte, er sei ein Sports Addict und ginge jeden Tag zum Workout im Gym. Das fand ich mehr als glaubwürdig, denn unterm figurbetonten T-Shirt hatte er einen sehr definierten Oberkörper und ebensolche Arme. Ich erwähnte, dass ich lieber laufe, und fragte, ob er mir nicht für morgen früh eine Laufstrecke empfehlen könne. Darauf hin sagte er, er laufe jeden Tag um fünf Uhr morgens und ginge anschließend zum Workout, und er lade mich ein, einfach mitzukommen. Ich gab zu Bedenken, dass ich langsam laufe, aber das sei kein Problem, er würde sich nach mir richten. Wie lange wolle ich laufen? Naja, eine Stunde mindestens. Alles bestens, dann laufen wir Richtung Flughafen, da ist es nicht busy. Wir plaudern noch eine Weile, dann begleitet er mich zu meinem Hotel zurück.

Ein bisschen frage ich mich schon, ob es sicherheitstechnisch opportun ist, mit einem wildfremden jungen Mann im Finstern rumzurennen, aber andererseits ist er total bekannt hier, er wurde auf dem Weg ständig gegrüßt, und zur Sicherheit klopfe ich nochmal kurz bei den Nachbarinnen, drei jungen Israelinnen, damit die einen Suchtrupp losschicken können, falls ich nicht wieder auftauche.

Um Punkt fünf stehe ich innen vor dem verschlossenen Tor. Der Wächter steht aus seinem Liegestuhl auf und lässt mich hinaus. Gut, da sieht der auch gleich, mit wem ich unterwegs bin. Ich warte vor dem Tor, zwei Läufer kommen vorbei. Ich glaube, ich bin einfach immer zu spät gelaufen und habe deshalb nie andere Leute laufen gesehen. Ashenawi erscheint ein paar Minuten später, in beigen Shorts, weißem Poloshirt und Laufschuhen. Wir begrüßen uns und gehen los Richtung Flughafen.

Öh, wieso gehen wir? Weil wir erst einmal ein Stück mit dem Bus fahren und die Haltestelle ist da hinten. Aber da können wir ja auch hinlaufen. Ok, wir traben an. Ich plappere ihm die Hucke voll, frage, was und wie er so trainiert, er ist ziemlich einsilbig. Nach relativ kurzer Zeit fängt er ziemlich an zu schnaufen. Er erklärt mir, dass es sehr ungewohnt für ihn ist, so langsam zu laufen, aber er stellt sich gerne auf mich ein.

Nach nicht mal einem Kilometer wechselt er die Strasenseite. Was jetzt? Wir laufen zurück. Komisch, wieso ist die Bushaltestelle jetzt auf der anderen Seite? Ich frage aber nicht, denn mir kommt schon der Verdacht, dass die Unternehmung anders verläuft als er sich das vorgestellt hat. Das sieht nach Planänderung aus. Er fordert mich auf zu gehen, denn hier ist ein Büro des Präsidenten von Äthiopien, da ist es nicht erlaubt, vorbeizulaufen. Gut, Gehpause. Nach hundert Metern dürfen wir wieder traben. Mein Begleiter schnauft und schwitzt. Ehrlich gesagt, glaube ich ihm das Präsidentenbüro nicht. Nach kurzer Zeit kommen wir wieder an einem angeblich offziellen Gelände vorbei, dieses Mal schaue ich genauer hin, kann aber weder ein Schild, noch auch nur ein halbwegs repräsentabel aussehendes Gebäude sehen. Nach zwei Kilometern sind wir wieder am Hotel, wo er mich zum Frühstück schicken will. Es ist nicht mal halb sechs. Er versichert ein weiteres Mal, dass er vollkommen anders trainiere. Ich versichere, dass ich das gut verstehen kann und bedanke mich noch einmal, dass er auf mich Rücksicht genommen hat, ich werde aber noch weiter laufen.

Es ist immer noch stockfinster. Alle Läufer, die ich bisher gesehen habe, laufen auf der Straße, es geht eben nichts über Qualitätsasphalt. Die Strecke parallel zum See ist die, auf der ich gestern aus Gondar kam. Zum Laufen ist es total langweilig. In der Nähe muss eine Kirche sein, denn ich höre wieder die Priester singen, über die sich H. in Addis immer so ärgert. Ich habe gelernt, sie singen auf Ge’ez, einer Art liturgisches Altäthiopisch. Das ist richtig laut und klingt so ähnlich wie „Waaa-äööööoooo, waaa-ääöööooo“ und soll bestimmt allen ein schlechtes Gewissen machen, die sich jetzt nicht auf den Weg zur Kirch begeben.

Irgendwann kehre ich um, es ist jetzt hell, das ist gut so, denn es gibt Leute, die zu meiner Unterhaltung beitragen: ein Mann, vermutlich in meinem Alter, der an den Füßen Sandalen, in der Hand eine Tüte mit einer kleinen Schüssel drin trägt – Frühstück? – fängt an zu laufen und überholt mich. Läuft der wegen mir? Ich laufe am rechten Fahrbahnrand, er auf der anderen Seite am Mittelstreifen. Der Abstand wird nicht größer, und er sieht sich öfter um, ob ich noch da bin. Da fängt ein zweiter an zu laufen, ein junger Mann, an dem ich eben vorbeigekommen bin. Bei dem ist es noch offensichtlicher – hihi, gleich trete ich der Machojägergruppe bei – immer kurz vor mir, dreht er sich öfter mal um, ob ich noch da bin. Das zieht sich fast einen Kilometer, bis der erste sich noch einmal  umsieht, und dann wieder geht. Der zweite stellt sich beim Umlaufen einer Fußgängergruppe ein bisschen ungeschickt an, und ich ziehe wieder vorbei. Das geht ja mal gar nicht, er beschleunigt und übernimmt wieder die Führung. Ich amüsiere mich köstlich. Da kommt plötzlich ein echter Läufer entgegen: doppelt so lange Beine wie normale Menschen, eine unglaubliche Leichtigkeit, große Schritte, aber die kommen daher, dass seine Flugphase so lang ist. Wow, der schwebt! Schon ist er vorbei, und ich beschäftige mich wieder mit meinem Begleiter. Auch der schnauft nicht schlecht, während es mir auf 1800 m viel besser geht als die letzten Tage. Tja mein Lieber, dann zeig mal, wie lange du das durchhältst. Genau bis zur nächsten Abzweigung, die nimmt er dann auch, und gibt sich sogar die Blöße noch in Sichtweite in Schritttempo zu verfallen. Nochmal: hihi!

Einem Impuls und dem Schild zum Shore Resort folge ich Richtung Tana-See. Dort beginnt das schönste Stück. Die haben einen Betonplattenweg am Ufer entlang gebaut. Ich folge ihm stadtauswärts. Wow, das Schilfzeug muss Papyrus sein, das sieht genau aus wie auf Bildern, dickes Gras mit ganz filigranen Puscheln oben. Zwischen Weg und See gibt es einen schmalen Streifen mit Gemüsebeeten, hier sind schon Leute unterwegs, die in ihren Gärtchen arbeiten. Der Weg führt an einem großen Hotelrohbau vorbei, der noch mit Eukalyptusstämmen eingerüstet ist (diese Gerüste sehen oft abenteuerlich aus!). Hier wächst noch mehr Tourismus. Einige hundert Meter später ist der Ort zu Ende, hinter einer riesigen Sykomore (danke, Strider!) geht die Sonne auf, und der Weg hört einfach auf. Ich mache ein Päuschen, um den Sonnenaufgang hinter dem tollen Baum und den Blick uber den See zu genießen. Dann geht es zurück. Am Eingang der Kirche in der Nähe der Bootsanlegestelle hat sich eine lange Schlange gebildet, fast alles Frauen. Die wollen da offensichtlich rein. Außen herum gibt es einen Holzzaun, da stehen ganz viele Männer mit weißen Tüchern um die Schultern geschlungen mit Gesicht zum Zaun, die Hände zum Beten erhoben. Ob das die Schnellversion für diejenigen ist, die nicht an der mehrere Stunden dauernden Messe teilnehmen wollen? Die Lautsprecher sind inzwischen verstummt, es sind wohl alle da.

Heute habe ich es immerhin auf rund 12 km gebracht. Es wäre auch noch weiter gegangen, aber der Tourismus ruft mal wieder – zur Bootsfahrt über den See. Bevor ich zum Frühstück gehe, schiebe ich noch wie verabredet einen Zettel bei meinen Nachbarinnen unter der Tür durch, dass alles in Ordnung ist.

P.S.: Nicht alle Äthiopier sind Lauftalente, aber es gibt ganz unglaubliche!

P.P.S.: Duschwertung (Copyright MC) – es gibt eine Art Minidurchlauferhitzer. Gestern war mir noch nicht aufgefallen, dass die Drähte, die in diesen merkwürdigen Duschkopf führen, offen liegen und nur ein wenig mit Isolierband umwickelt sind. Auch nicht, dass das Wasser am Duschkopf entlang zurück Richtung Wand fließt und nur Milimeter vom blanken Draht entfernt spratzelt. Heute ist es mir aufgefallen, und ich habe kalt geduscht.

Laufen auf Reisen – Hunde, Speerwurf und Sägen

Gestern Abend habe ich im Bahir Dar Hotel im schönen Innenhof gesessen und zu Abend gegessen, denn die Küche des Ghion- Hotel, wo ich abgestiegen bin, hat eher zweifelhaften Ruf. Ich war schon fertig, als sich ein junger Mann zu mir setzte und mich fragte, wie es mir gefällt. Er sei Ashenawi, außerdem der Cousin des Managers und sie befragten gerne die Gäste. Wir unterhielten uns eine Weile, er erzählte, er sei ein Sports Addict und ginge jeden Tag zum Workout im Gym. Das fand ich mehr als glaubwürdig, denn unterm figurbetonten T-Shirt hatte er einen sehr definierten Oberkörper und ebensolche Arme. Ich erwähnte, dass ich lieber laufe, und fragte, ob er mir nicht für morgen früh eine Laufstrecke empfehlen könne. Darauf hin sagte er, er laufe jeden Tag um fünf Uhr morgens und ginge anschließend zum Workout, und er lade mich ein, einfach mitzukommen. Ich gab zu Bedenken, dass ich langsam laufe, aber das sei kein Problem, er würde sich nach mir richten. Wie lange wolle ich laufen? Naja, eine Stunde mindestens. Alles bestens, dann laufen wir Richtung Flughafen, da ist es nicht busy. Wir plaudern noch eine Weile, dann begleitet er mich zu meinem Hotel zurück.

Ein bisschen frage ich mich schon, ob es sicherheitstechnisch opportun ist, mit einem wildfremden jungen Mann im Finstern rumzurennen, aber andererseits ist er total bekannt hier, er wurde auf dem Weg ständig gegrüßt, und zur Sicherheit klopfe ich nochmal kurz bei den Nachbarinnen, drei jungen Israelinnen, damit die einen Suchtrupp losschicken können, falls ich nicht wieder auftauche.

Um Punkt fünf stehe ich innen vor dem verschlossenen Tor. Der Wächter steht aus seinem Liegestuhl auf und lässt mich hinaus. Gut, da sieht der auch gleich, mit wem ich unterwegs bin. Ich warte vor dem Tor, zwei Läufer kommen vorbei. Ich glaube, ich bin einfach immer zu spät gelaufen und habe deshalb nie andere Leute laufen gesehen. Ashenawi erscheint ein paar Minuten später, in beigen Shorts, weißem Poloshirt und Laufschuhen. Wir begrüßen uns und gehen los Richtung Flughafen. 

Öh, wieso gehen wir? Weil wir erst einmal ein Stück mit dem Bus fahren und die Haltestelle ist da hinten. Aber da können wir ja auch hinlaufen. Ok, wir traben an. Ich plappere ihm die Hucke voll, frage, was und wie er so trainiert, er ist ziemlich einsilbig. Nach relativ kurzer Zeit fängt er ziemlich an zu schnaufen. Er erklärt mir, dass es sehr ungewohnt für ihn ist, so langsam zu laufen, aber er stellt sich gerne auf mich ein. 

Nach nicht mal einem Kilometer wechselt er die Strasenseite. Was jetzt? Wir laufen zurück. Komisch, wieso ist die Bushaltestelle jetzt auf der anderen Seite? Ich frage aber nicht, denn mir kommt schon der Verdacht, dass die Unternehmung anders verläuft als er sich das vorgestellt hat. Das sieht nach Planänderung aus. Er fordert mich auf zu gehen, denn hier ist ein Büro des Präsidenten von Äthiopien, da ist es nicht erlaubt, vorbeizulaufen. Gut, Gehpause. Nach hundert Metern dürfen wir wieder traben. Mein Begleiter schnauft und schwitzt. Ehrlich gesagt, glaube ich ihm das Präsidentenbüro nicht. Nach kurzer Zeit kommen wir wieder an einem angeblich offziellen Gelände vorbei, dieses Mal schaue ich genauer hin, kann aber weder ein Schild, noch auch nur ein halbwegs repräsentabel aussehendes Gebäude sehen. Nach zwei Kilometern sind wir wieder am Hotel, wo er mich zum Frühstück schicken will. Es ist nicht mal halb sechs. Er versichert ein weiteres Mal, dass er vollkommen anders trainiere. Ich versichere, dass ich das gut verstehen kann und bedanke mich noch einmal, dass er auf mich Rücksicht genommen hat, ich werde aber noch weiter laufen. 

Es ist immer noch stockfinster. Alle Läufer, die ich bisher gesehen habe, laufen auf der Straße, es geht eben nichts über Qualitätsasphalt. Die Strecke parallel zum See ist die, auf der ich gestern aus Gondar kam. Zum Laufen ist es total langweilig. In der Nähe muss eine Kirche sein, denn ich höre wieder die Priester singen, über die sich H. In Addis immer so ärgert. Ich habe gelernt, sie singen auf Ge’ez, einer Art liturgisches Altäthiopisch. Das ist richtig laut und klingt so ähnlich wie „Waaa-äööööoooo, waaa-ääöööooo“ und soll bestimmt allen ein schlechtes Gewissen machen, die sich jetzt nicht auf den Weg zur Kirch begeben. 

Irgendwann kehre ich um, es ist jetzt hell, das ist gut so, denn es gibt Leute, die zu meiner Unterhaltung beitragen: ein Mann, vermutlich in meinem Alter, der an den Füßen Sandalen, in der Hand eine Tüte mit einer kleinen Schüssel drin trägt – Frühstück? – fängt an zu laufen und überholt mich. Läuft der wegen mir? Ich laufe am rechten Fahrbahnrand, er auf der anderen Seite am Mittelstreifen. Der Abstand wird nicht größer, und er sieht sich öfter um, ob ich noch da bin. Da fängt ein zweiter an zu laufen, ein junger Mann, an dem ich eben vorbeigekommen bin. Bei dem ist es noch offensichtlicher – hihi, gleich trete ich der Machojägergruppe bei – immer kurz vor mir, dreht er sich öfter mal um, ob ich noch da bin. Das zieht sich fast einen Kilometer, bis der erste sich noch einmal  umsieht, und dann wieder geht. Der zweite stellt sich beim Umlaufen einer Fußgängergruppe ein bisschen ungeschickt an, und ich ziehe wieder vorbei. Das geht ja mal gar nicht, er beschleunigt und übernimmt wieder die Führung. Ich amüsiere mich köstlich. Da kommt plötzlich ein echter Läufer entgegen: doppelt so lange Beine wie normale Menschen, eine unglaubliche Leichtigkeit, große Schritte, aber die kommen daher, dass seine Flugphase so lang ist. Wow, der schwebt! Schon ist er vorbei, und ich beschäftige mich wieder mit meinem Begleiter. Auch der schnauft nicht schlecht, während es mir auf 1800 m viel besser geht als die letzten Tage. Tja mein Lieber, dann zeig mal, wie lange du das durchhältst. Genau bis zur nächsten Abzweigung, die nimmt er dann auch, und gibt sich sogar die Blöße noch in Sichtweite in Schritttempo zu verfallen. Nochmal: hihi!

Einem Impuls und dem Schild zum Shore Resort folge ich Richtung Tana-See. Dort beginnt das schönste Stück. Die haben einen Betonplattenweg am Ufer entlang gebaut. Ich folge ihm stadtauswärts. Wow, das Schilfzeug muss Papyrus sein, das sieht genau aus wie auf Bildern, dickes Gras mit ganz filigranen Puscheln oben. Zwischen Weg und See gibt es einen schmalen Streifen mit Gemüsebeeten, hier sind schon Leute unterwegs, die in ihren Gärtchen arbeiten. Der Weg führt an einem großen Hotelrohbau vorbei, der noch mit Eukalyptusstämmen eingerüstet ist (diese Gerüste sehen oft abenteuerlich aus!). Hier wächst noch mehr Tourismus. Einige hundert Meter später ist der Ort zu Ende, hinter einer riesigen Sykomore (danke, Strider!) geht die Sonne auf, und der Weg hört einfach auf. Ich mache ein Päuschen, um den Sonnenaufgang hinter dem tollen Baum und den Blick uber den See zu genießen. Dann geht es zurück. Am Eingang der Kirche in der Nähe der Bootsanlegestelle hat sich eine lange Schlange gebildet, fast alles Frauen. Die wollen da offensichtlich rein. Außen herum gibt es einen Holzzaun, da stehen ganz viele Männer mit weißen Tüchern um die Schultern geschlungen mit Gesicht zum Zaun, die Hände zum Beten erhoben. Ob das die Schnellversion für diejenigen ist, die nicht an der mehrere Stunden dauernden Messe teilnehmen wollen? Die Lautsprecher sind inzwischen verstummt, es sind wohl alle da.

Heute habe ich es immerhin auf rund 12 km gebracht. Es wäre auch noch weiter gegangen, aber der Tourismus ruft mal wieder – zur Bootsfahrt über den See. Bevor ich zum Frühstück gehe, schiebe ich noch wie verabredet einen Zettel bei meinen Nachbarinnen unter der Tür durch, dass alles in Ordnung ist.

P.S.: Nicht alle Äthiopier sind Lauftalente, aber es gibt ganz unglaubliche!

P.P.S.: Duschwertung (Copyright MC) – es gibt eine Art Minidurchlauferhitzer. Gestern war mir noch nicht aufgefallen, dass die Drähte, die in diesen merkwürdigen Duschkopf führen, offen liegen und nur ein wenig mit Isolierband umwickelt sind. Auch nicht, dass das Wasser am Duschkopf entlang zurück Richtung Wand fließt und nur Milimeter vom blanken Draht entfernt spratzelt. Heute ist es mir aufgefallen, und ich habe kalt geduscht.

Laufen auf Reisen – Morgenlauf

Ich übernachte im Africa Hotel von Axum. Wenn ich von alleine um 6:00 Uhr aufwache, gehe ich laufen, sonst reicht es nicht vor der Weiterreise. Viertel vor sechs testet einer den Motor seines Minibusses im Hof. Das passt ja.

Auf der Hauptstraße sind schon viele Leute unterwegs. Hier tragen fast alle Frauen ein großes weißes Umschlagtuch, viele Männer auch. Auf der Piazza steht ein riesiger Sycamore Baum (wie heißt der auf deutsch?). Gestern saßen da den ganzen Tag Leute drunter, aber die kommen wohl erst später. Von Tesfay, einem siebzehjährigen Schüler habe ich gestern erfahren, dass es eine Art Berufsschule gibt, wo die Steinmetze einen deutschen Lehrer haben, von dem sie das Pflastern lernen. Tatsächlich wird in Axum tüchtig gepflastert, im Zentrum vor allem die Bürgersteige, aber auch viele Nebenstraßen, und zwar alles in schickem zweifarbigen Fußgängerzonenpflaster, regelmäßige Bögen aus hellen und alle paar Reihen dunklen Steinen. Das ganze wird mit einem schwarzen quarzig schimmernden Sand verfüllt. 

In der Nähe der Kathedrale kommen mir einige Nonnen entgegen. Die sind an ihren zylinderförmigen Stoffmützen und ihrem Stab mit dem oben verzierten Ende zu erkennen, dessen Funktionen mir gestern der Guide erklärt hat: man kann ihn wie einen Spazierstock verwenden oder wie eine Krücke unter eine Schulter klemmen, oder auch mit beiden Händen darauf stützen und quasi dagegen lehnen, um sich während der langen Messen ein bisschen auszuruhen. Manchmal bereue ich es doch ein bisschen, die Kamera so sparsam dabei zu haben, denn vor einem Bauzaun, der aus abwechselnd gelb und grün angestrichenen Wellblechen besteht, haben sich zwei Nonen niedergelassen, die eine im gelben Gewand sitzt vor einem gelben Blech, die daneben hat ein grünes an. 

Ich passiere das Stelenfeld. In Axum liegt der Ursprung der äthiopischen Kultur, von hier stammte der legendäre erste Kaiser Menelik, der ein Sohn von König Salomon und der Königin von Saba gewesen sein soll. Eine Zeitlang war es bei den axumitischen Herrschern Mode, sich gewaltige Grabstelen aus Granit aufstellen zu lassen, von denen hier noch viele rumstehen oder auch -liegen. Die älteren sind ganz schlicht, die neueren (6. Jh.) sehen wie kleine Hochhäuser aus und sollen den Zusammenhang mit der jemenitischen Kultur beweisen. Nach dem gestern absolvierten Hardcore-Tourismus mit Guide müsste ich eigentlich noch die Maße aller Stelen im Stelenfeld mit Gewicht und Bauherrn hersagen können, aber mir war es wohl ein bisschen zu heiß, um mir alles zu merken. 

Rechts geht es raus in die Dörfer und den Berg hoch zum Yeha-Hotel. Hui, ist das steil und anstrengend, aber von der Terrasse des Hotels hat man einen tollen Blick über die Stadt und das Stelenfeld. Von hier oben ist deutlich zu sehen, dass auch Axum kein Luftkurort ist. Hier oben ist die Luft klar und das Licht wunderbar, aber über der Stadt hängen um diese Zeit noch ganz deutlich lokalisierbare blaue Wolken: über der Piazza, wo gerade viele LKWs warmlaufen und über den drei größten Straßen. Das muss an den vielen Zweitakterdreiradtaxen liegen. Komisch, unten hatte ich das gar nicht bemerkt.

Jemand hat Krümel auf die Terrasse geworfen, um die sich jetzt die Vögel streiten. Da sind zwei etwa amselgroße, auf den ersten Blick schwarze, mit gelben Augen, deren Gefieder aber wunderschön blau-grün schimmert. Einer sieht aus wie eine Taube, aber gelblich-grün – oder ist das eine Art Papagei? Nach kurzer Pause kehrte ich um.

Am Sycamore-Baum stehen zwei abgedeckte Kickertische, na, wenn ich die mal gestern schon gesehen hätte! Ich biege rechts ab und laufe noch zwei Blocks weiter, dann wieder links Richtung Africa Hotel. Ein Trupp Leute macht die Kanalisation sauber. Sie haben ein paar große Abdeckgitter hochgehoben und stochern unten im Kanal. Der rausgefischte Dreck wird auf einen Karren gepackt. Im Park, der eigentlich nur noch auf dem Stadtplan so heißt, weil die gesamte Fläche mit kleinen Buden für Essen und Getränke gibt, spielt schon laute Musik. Gäste sind aber noch keine da.

Heute habe ich nicht so viel Zeit, also zurück zum Hotel, duschen. Zum Glück beteiligt sich das Hotel nicht an der Duschwertung, denn das, was da an der Wand hängt, war vielleicht in seinem vorigen Leben ein Luftbefeuchter. Es gibt vielleicht zehn Löchlein, aus denen Wasser kommt, dafür sprühen die alle in unterschiedliche Richtungen. Irgendwann ist aber auch damit die Seife wieder abgewaschen, und ich darf frühstücken gehen.