Nein, die Reise ist noch nicht zu Ende. Ich bin nach Addis zu meinen Freunden zurück geflogen, damit wir gemeinsam weiter reisen können. Dieses Mal haben wir den Landrover vollgepackt und sind am Dienstag nach Süden aufgebrochen. Ziel ist der Bale National Park, wo wir im Harenna Forest zelten wollen.
Die erste Nacht dürfen wir im Haus des Projektmanagers der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt übernachten. Das ist ein Ire, der gerade auf Dienstreise in Kenia ist. Er hatte am Sonntag mit Frau und Töchterchen zusammen den Schlüssel vorbei gebracht. Das Haus ist rustikal mit rohem Holz auf einem Steinsockel gebaut, außerhalb des niedrigen Gartenzauns sehen wir gleich bei der Ankunft eine Herde Warzenschweine.
Kurz nach halb sechs laufe ich los. Eine Stunde habe ich noch vor Sonnenuntergang. Hier im Park gibt es keine Tiere, die Läuferinnen fressen, auch die Wölfe nicht. Die sollen ziemlich klein und scheu sein, außerdem gar nicht hier, sondern auf dem Hochplateau leben, über das wir erst morgen fahren. Hoffentlich sehen wir dann welche. Erstmal den sehr holprigen Weg zurück, dann folge ich einem Wegweiser zur Lodge. Da sitzen ein paar Einheimische rum, die ich frage, wo ich mal langlaufen soll. Sie deuten bergauf. Ich folge einem Wegweiser zur Camp Site. Es geht steil bergauf, ich bin total langsam und schnaufe mal wieder. Dennoch fühlt es sich um Längen besser an als vor einer Woche noch, obwohl wir hier über 3000 m hoch sind. Vor mir steht plötzlich eine kleine Antilope, sie hat niedliche nach außen gebogene Hörnchen. Das muss ein Bock sein, denn er ist in unbehörnter Begleitung von zwei weiteren Tieren, die ich daher für Weibchen halte (inzwischen erfahren: es sind Bush Bucks). Sie sind so nah! Höchstens fünf Meter, das ist nicht mehr als die Länge eines Paddelboots. Ich bewege mich langsam, aber die haben anscheinend gar keine Angst. Erst als ich vorbei bin, trabe ich wieder an. Herr Steffny sieht für heute die letzten Intervalle vor, aber das ist hier wirklich nicht zu machen. Vielleicht hilft Höhentraining ja auch.
Von dem freien Platz, wo man zelten kann – es sind aber keine Zelte da – ist die Aussicht unbeschreiblich schön. Sorry, da fehlen mir die Worte, Abendlicht über einer Wahnsinnsberglandschaft, dieses Mal vermisse ich die Kamera sehr.
Der Fahrweg hört schon wieder auf, aber ein Fußpfad führt zwischen stacheligen Büschen hindurch. Dei Blätter sind gewellt, ähnlich wie bei Eichen, sie sind extrem stachelig und haben tomatenförmige gelbe Früchte. Da alle noch dran hängen, obwohl sie eigentlich reif aussehen, vermute ich, dass man nichts sinnvolles mit ihnen anfangen kann. Ich muss ziemlich aufpassen mir nicht die Beine zu zerkratzen oder die Hose zu zerreißen. Unter riesigen Bäumen endet der Pfad und ich laufe zurück. Zwischen den Büschen bricht eine Rotte Warzenschweine hervor. Einige haben furchterregende Hauer. Nein, das war gelogen, sie haben zwar beachtliche Hauer, aber irgendwie sind sie einfach nur niedlich. Niedriger, aber etwas länger als unsere Wildschweine, jedenfalls fürchte ich mich kein bisschen, sondern bin nur begeistert.
Ein Stück weiter unten steht eine andere Antilope, viel größer, vielleicht so hoch wie ein kleines Pferd? Die Hörner sind viel länger als bei dem einen Böckchen vorhin, ragen steil nach oben und sind etwas nach außen gedreht. Zwischen den Augen verläuft eine weiße Linie, so dass es aussieht, als würde das Tier eine Brille tragen. Eine sehr intellektuell dreinblickende Antilope, die gemächlich zwischen den Bäumen verschwindet, als sie mich sieht. Inzwischen werde ich schon kaum noch langsamer, wenn ich Tiere sehe, es sind einfach so viele! Aber ich freu mich wie ein kleines Kind über jedes einzelne.
Ein Wegweiser zeigt zum Web Valley, der Weg endet an einen Eisentor, durch das gerade zwei Mädchen mit Reisigbündeln auf dem Rücken durchgehen. Ich gehe mit durch, sie lachen sich schlapp über mich. Vielleicht weil, wie Teddy gesagt hat, so viele Spitzenläufer hier aus der Nähe kommen? Es geht auf einem weichen, mit schönem, grünem Rasen bewachsenen Weg leider steil abwärts. Ich laufe durch eine Schaf- und Ziegenherde, die mir das wesentlich übler nimmt als die Warzenschweine und Antilopen eben. An einem Flussbett angelangt, stelle ich fest, dass die Sonne bereits hinter den Bergen verschwindet. Wer weiß, wie lange es noch hell bleibt, also mache ich mich auf den steilen Rückweg. Ein kleiner Junge mit einer Gerte in der Hand läuft mit mir um die Wette. Plötzlich sind da drei Hunde, die uns leider gar nicht ignorieren, sondern böse die Zähne fletschen. Der Junge schreit was und schwingt seine Gerte, die Hunde weichen zurück. Sicherheitshalber hebe ich auch einen dünnen Stecken auf, aber sie folgen uns nicht. Wir laufen wieder bergauf, er immer neben mir her. Er könnte viel schneller sein, das ist deutlich zu sehen. Die Mädchen mit den Reisigbündeln sind immer noch da und kichern wieder. Außerhalb des Tors zum Park bleiben die drei zurück. Jetzt geht der Weg nur noch bergauf. Das ist immer noch anstrengend. Sehr. Am Parkplatz von H.s Landrover stoppe ich die Uhr und gehe die Stufen zum Haus hinauf. Die Sonne ist weg, die Dämmerung setzt ein, und die ist hier sehr kurz. Vielleicht schaffe ich es ja morgen früh noch einmal loszuziehen…