Hasendienst am Müggelsee

Freunde aus Frankfurt sind zu Besuch. Jörg will um den Müggelsee seinen ersten Halben laufen, Martin eigentlich supporten. Aber irgendwie ist laufen dann doch lustiger als nur jubeln, und weil er weiß, dass er 15km einfach so kann, meldet er nach einigem mentalem Hin und Her nach, und wir stehen zu dritt im Startblock. Martin will seinen Rhythmus laufen, ich habe Jörg Hasendienste für unter zweieinhalb Stunden angeboten. Weil ich zu wissen glaube, dass er ein kleiner Tiefstapler ist, bei dem es im Training vor allem deshalb hinten raus schwer wird, weil er zu schnell losrennt, spekuliere ich heimlich darauf, dass wir konstant 6:40 laufen und dann ungefähr bei 2:20 rauskommen können.

Der Moderator erzählt, dass dies der schönste Landschaftslauf von werweißwo sei – hab‘ ihn nicht richtig verstanden, aber vermutlich hat er „zwischen Köpenick und Rahnsdorf“ gesagt, denn ehrlich gesagt finde ich die Strecke im Nachhinein, nun ja, ganz ok. Der Start erfolgt in drei Wellen, wir laufen gemütlich mit der dritten los.

Erst geht es ein wenig am See entlang, dann Wald, eine komische Extraschleife. Obwohl wir so weit hinten gestartet sind, werden wir ständig überholt. Irgendwann holt uns auch Katharina ein, mit der ich kurz in der Dixieschlange geplaudert hatte. Sie läuft mit uns weiter. Kurz vor dem Spreetunnel ist eine Streckenpostin im Eisbärkostüm – Jörg ist begeistert und muss sie kurz knuddeln. Ich bin ein bisschen froh, dass sie das offensichtlich ok findet.

Von Anfang an jubeln wir allen Streckenposten, Publikum, völlig unbeteiligten SpaziergängerInnen, PostbotInnen und gegen Ende auch den Kilometermarkierungen zu. Da der Igel das sehr begeistert betreibt und dafür viel Puste hat, bleibe ich bei meinem hinterlistigen Plan. Am besten finde ich, dass wir für unseren Jubel von einer jungen Frau mit einer großen Handvoll Konfetti beworfen werden.

Die Strecke entlang dem Müggelheimer und dann Fürstenwalder Damm ist total öd. Zum Glück ist bei uns da hinten nicht mehr viel los, so dass wir uns auf dem schmalen Gehweg immerhin nicht drängeln müssen. Vom See ist nur kurz vor dem Strandbad etwas zu sehen. Nach der Brücke wird’s schöner, zuerst ist da zwar wieder nur so Wald, aber dann sehen wir auch Wasser. Der Höhepunkt ist ein großer, lärmender Schwarm Kormorane, die auf einem Steg sitzen. Auf den letzten fünf Kilometern überholen wir gelegentlich auch mal. Jörg versucht die Überholten aufzumuntern/anzufeuern, und wenn wir überholt werden, bricht er gleich wieder in begeisterten Applaus aus. Doch, wir haben einen sehr kurzweiligen Lauf.

Ab Kilometer 18 wird er etwas stiller und sieht auch nicht mehr ganz so locker aus, aber wie war das früher immer mit dem Weltbesten Hasen? Die letzten drei Kilometer müssen keinen Spaß machen? Das sage ich nicht, aber dass es sich jetzt auch nicht mehr lohnt, nachzulassen. Wir versuchen also tapfer, das Tempo zu halten und laufen mit 2:21:26 ins Ziel. Da steht schon Martin und fotografiert uns, was das Smartphone hergibt. Er hat nur 2:04 gebraucht, was für untrainiert ganz schön frech ist. Wir fallen uns alle drei um die Hälse, machen noch ein paar Finisher-Selfies und sind insgesamt sehr zufrieden mit dem Lauf. Danach gibt’s noch leckere Erbsensuppe.

Erbsensuppe

Airport Night Run

Der erste Wettkampf seit dem DNF bei der Mauerwegstaffel. Ich hatte vor einigen Wochen den Trainingsplan für unter zwei Stunden von Steffny rausgekramt, mich so halbwegs an die Kilometersteigerungen der langen Läufe gehalten, die Tempoeinheiten aber weitgehend ignoriert. Zum Airport Night Run hatte ich mich zusammen mit dem Hasen (DEM Hasen!) angemeldet, der war aber krank geworden, so dass ich ganz froh war, dass mich wenigstens der knieoperierte Liebste als Supporter begleiten wollte.

Wir sind früh dran, Startnummer abholen geht ganz schnell, der Moderator bewirtschaftet bereits die Bühne, die Schirmfrau, der relativ neue Bauherr des BER und der Bürgermeister von Schönefeld dürfen warme Worte sprechen. Wir erfahren, dass dies vermutlich der „vorletzte“ Airport Run auf dem Gelände ist, nach der Eröffnung des Flughafens soll es dann außen herum gehen. Das klingt erstmal lustig, denn ich war hier schließlich schon 2011 beim damals „letzten“ Airport Run.

Irgendwann stelle ich mich ordnungsgemäß in Startblock B2, plaudere noch kurz mit der Nachbarin – etwa in meinem Alter – mit einer vor Jahren gelaufenen HM-Bestzeit von 1:38. Ui! Erwartungsgemäß ist sie nach dem Startschuss sofort weg. Überhaupt rennen wieder einmal alle wie besemmelt los.

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Potsdam – die Fünfte

Tatsächlich bin ich schon zum fünften Mal beim Potsdamer Schlösserlauf zum Halbmarathon angemeldet. Dieses Jahr habe ich verletzungsbedingt nicht wirklich viel trainiert, und schon gar kein Tempo, aber egal, Potsdam muss sein, da ist es einfach so schön.

Inzwischen ist es schon fast Routine: der Regionalexpress nach Magdeburg fährt um 7:17 ab Zoo, kurz nach halb acht verlassen wir in Potsdam den Hauptbahnhof. Schon von der Rolltreppe sehen wir die Läufertraube am Shuttlebus, aber eine freundliche Ordnerin schickt uns auch gleich nach rechts zur Straßenbahnhaltestelle, da käme gleich die Sondertram. Ich liebe die Sondertram, die ist viel netter als der Shuttlebus, bin also mit der Einweisung sehr zufrieden. Nur, dass die Bahn nicht kommt, stört ein wenig. Manche Läufer überlegen, doch zu den Bussen rüberzurennen, aber dort drängeln sich immer noch die Läufermassen in sehr wenige Busse. Um 8 kommt eine reguläre Tram 91 zum Bahnhof Pirschheide, die wird geentert. Wir quetschen uns rein wie in Tokio zur Rush Hour, einige Fahrgäste bekommen Angst, dass sie nicht mehr raus gelassen werden und schimpfen ein wenig rum, dass diese ganzen Läufer da alles versperren. Eine Läuferin findet, dass gut gelaunte Läufer viel angenehmere Mitreisende seien als besoffene Fußballfans, aber das zieht bei dem älteren Herrn nicht, er grummelt weiter. Viel besser verstehe ich die Leute, die an den folgenden Haltestellen warten und keine Chance haben, in die Bahn reinzukommen, denn von uns steigt schließlich niemand aus.

Am Luftschiffhafen angekommen finden wir alles anders vor als in den Vorjahren: Messe und Startnummernausgabe sind in der neuen MBS-Arena. Da ist leider nicht genug Platz für die Gepäckabgabe. Dafür stehen wir vor einer kleineren Halle nebenan Schlange. Um überhaupt in die Halle reinzukommen. Drin geht es dann aber einigermaßen zügig voran. Praktisch ist das alles nicht wirklich, aber, wie ich in der Toilettenschlange erfahre, ist die große Leichtathletikhalle schon seit dem Winter wegen Einsturzgefahr gesperrt. Na gut. Wir sind gerade noch so rechtzeitig, um uns in den Startblock einzureihen. Olly, der vor zwei Wochen in Kopenhagen Marathon gelaufen ist, will mich begleiten und sicherstellen, dass ich unter zwei Stunden bleibe. Ich erkläre ihm, wie das mit dem Hasieren geht, dass er mich nämlich erst auf den letzten drei Kilometern scheuchen darf. Vorher muss die Sache Spaß machen, erst dann ist ein bisschen Quälen von Seiten des Hasen erlaubt.

Das Wetter ist traumhaft, die Strecke touristisch wertvoll und immer wieder schön. Ganz besonders bei knallblauem Himmel und tollem Licht. Langsam einrollen auf der Zeppelinstraße, es rollt wirklich, die Beinchen laufen ein Tempo, das sich vorläufig anfühlt, als könne es immer so weitergehen, völlig gleichmäßig 5:40, 5:33, 5:33, 5:31, 5:30, 5:27, fein, das ist das Uhrwerk, der Hase hat nichts zu tun. Brandenburger Tor, Altstadt, über die Havel, Richtung Babelsberger Schlosspark, dort abbiegen auf die Berliner Seite und über die Glienicker Brücke zurück nach Potsdam. Hier sind zwei langsamere Kilometer mit 5:43 und 5:40 – das Schneckengekringel unter der Brücke durch kostet etwas Zeit, dann noch der VP. Durch den Neuen Garten und die Nauener Vorstadt nehmen wir wieder Fahrt auf, es geht durch die Russische Kolonie Alexandrowka mit ihren schönen Blockhäusern – und dann passiert’s: vor uns Polizei und Blaulicht: „An die Läufer, hier spricht die Polizei.“ Ich kriege einen Schreck und denke, es sei etwas passiert. „Verlangsamen Sie bitte ihren Lauf und bleiben Sie an der Straße für eine Minute stehen. Es findet ein Radrennen statt. Bleiben Sie bitte stehen!“ Bitte was? „Sie können in einer Minute weiterlaufen. Bleiben Sie bitte stehen!“ Tatsächlich, auf der Jägeralle kommen Rennräder angesaust, begleitet von Autos mit weiteren Rädern auf dem Dach. Das sieht schwer nach Profiveranstaltung aus. Aber was soll das? Wie schlecht darf eine Gemeinde denn ihre Sportveranstaltungen koordinieren? Wir lassen einen Pulk Radler durch, der nächste kommt erst in einigen hundert Metern. Die ersten LäuferInnen stürzen sich zwischen die Begleitfahrzeuge und die meisten folgen. Lange bevor der nächste Radler herangezischt ist, haben wir die Straße gequert. Die hinter uns müssen wieder warten. Bloß gut, dass es bei mir heute nicht wirklich auf Zeit geht, sonst hätte mich das mehr gestört.

Durch den Hintereingang dürfen wir wieder in den Schlosspark Sanssouci, schau mal, Touristen! Einige applaudieren sogar. So langsam wird es anstrengend. Ich habe wirklich nicht Tempo trainiert und finde die Angelegenheit mühsamer als erwartet. So langsam darf der Hase zwar seinen Dienst aufnehmen, aber ich habe ein kleines Motivationstief und reagiere eher grummelig. Der Hase weiß nicht, was er tun soll, und ist sicherheitshalber wieder still. Mein linker Fuß tut weh. Was soll das? Ich habe keine Lust mehr. Der Hase ruft ein verhaltenes „Tschakka“, aber das hilft im Moment auch nicht (ehrlich gesagt, konnte ich das Wort noch nie leiden – die Kilometer vor und nach dem Neuen Palais gehen in 5:37 weg – na, das sollte doch noch immer locker reichen? Aber irgendwie hat Garmine mal wieder zu viel gemessen, und es wird knapp). Die Strecke am neuen Palais zieht sich. Ein Vorfußläufer mit Trinkrucksack überholt in einem Affenzahn. Er rollt kein bisschen über den ganzen Fuß, sondern hüpft die ganze Strecke auf Zehenspitzen. Das sieht ein bisschen lustig aus, scheint aber extrem effizient zu sein.

Der letzte Verpflegungspunkt, es sind nur noch zwei Kilometer. Die Forststraße zieht sich, wie jedes Jahr, aber ich versuche noch ein bisschen Gas zu geben, 5:24, 5:19 – aber ich habe wirklich keine Lust mehr. Der Hase versucht zu motivieren, und die Igelin versucht schnaufend, das Tempo zu halten. Endlich sind wir ums Stadion rum, die Frau in der Kompressionstight und dem neonpinken Shirt kriege ich noch, die davor auch noch? Nein, die beschleunigt ebenfalls, die kriege ich nicht. Ich renne nochmal, so schnell ich noch kann und schon ist die halbe Stadionrunde vorbei und das Ziel erreicht. 1:59:06. Naja, gerade noch so unter zwei Stunden. Ich bin platt. Das Clausthaler schmeckt nicht. Wollen wir die Urkunde ausdrucken lassen? Da stehe ich doch tatsächlich in der Männerwertung drin – nicht dass die Wertung in meiner Preisklasse irgendeine Rolle spielt, aber trotzdem. Vermutlich hat jemand in der Organisation versucht mitzudenken und Vermutungen über anderer Leute Geschlecht angestellt. Tststs, die letzten viermal haben sie es doch auch hinbekommen. Es gibt aber einen Reklamationsstand, der sich als ziemlich interessant erweist. Da gibt es einen jungen Mann, der mit der richtigen Startnummer einen falschen Namen ausgedruckt bekommen hat. Und die Erste der W75, die gemeinerweise mit der W70 gewertet und dort nur Dritte geworden wäre. Alle bekommen geholfen, auch meine Urkunde erfährt eine Geschlechtsumwandlung, die mich immerhin vom 140. Platz der M50 auf den 23. der W50 befördert.

Fazit: das war viel anstrengender als sonst. Ich habe dieses Jahr einfach noch viel weniger Kilometer in der Statistik als letztes Jahr und es waren gar keine wirklich schnellen dabei. Die Beinchen mögen zwar noch einen halbwegs flotten Schritt, aber um den gleichmäßig durchzuhalten, war einfach die Kondition und Kraft noch nicht wieder da. Auf dem linken Fuß, der noch nie Theater gemacht hat, ist eine Beule zu sehen. Die ärgert mich ganz besonders, jetzt, wo gerade der rechte wieder schmerzfrei mitspielt. Immerhin tut sie heute nicht mehr weh, aber eine Warnung ist es schon, nicht gleich wieder übermütig zu werden.

Garmine allein zu Haus

Der Wecker meiner Läuferin klingelt um halb sechs – sie steht auch sofort auf und fängt an hektisch in der Wohnung rumzuwuseln. Bad, Küche, aus irgendwelchen absurden Gründen glaubt sie, die Verbindung, die sie sich gestern Abend ausgeguckt hat, wäre doch zu spät und legt ein sehr ungesundes Tempo vor. Alle möglichen Gegenstände fliegen noch in den Beutel. Ich liege auf dem Schreibtisch, an dem kommt sie leider nicht vorbei. Ich versuche zu fiepen, bin aber ausgestellt und es gelingt mir nicht. Wenig später klappt die Wohnungstür zu – weg ist sie. He, ich liege hier noch! Das kann doch jetzt nicht sein? Bei Feierabendläufen vergisst sie mich ja öfter mal, aber beim Wettkampf ist ihr das noch nie passiert. Meine Güte, ist die Frau verpeilt, dabei ist sie als alte Zahlenfetischistin ohne mich doch vollkommen aufgeschmissen. Nach Gefühl kann die doch gar nicht laufen. Pah, geschieht ihr recht! Die Badelatschen liegen auch noch im Flur und sind genauso empört wie ich.

Inzwischen ist sie wieder da. Sie hat einen Hasen gefunden, also eigentlich zwei. Der eine davon hatte eine Uhr und außerdem auch noch ähnliche Zielzeitvorstellungen, da hat sie sich einfach drangehängt. Es ist dann ihre zweitschnellste HM-Zeit geworden. Tja, den beiden ist sie jetzt furchtbar dankbar, dass sie mitlaufen durfte. Sie behauptet, sie hätte mich gar nicht vermisst. Wenn das stimmt, hätte sie es mir ja wenigstens nicht so unter die Nase reiben müssen.

Wenn sie das noch mal macht, trete ich in Streik. Dann soll sie mal sehen.

Gezeichnet
Garmine

Anmerkung der Läuferin: Danke an runandbike1 und Frank für den schönen Potsdamer Schlösserlauf, die sehr unterhaltsame Nachlaufwurst und die Heimfahrt. Das Wetter war perfekt, die Hasen großartig, und es hat riesig großen Spaß gemacht.

Laufen auf Reisen – Hawassa Halbmarathon

Nein, ein Start um 6:30 ist nichts für mich. Es macht mir überhaupt nichts aus, wenn um 4:45 der Wecker klingelt, aber Frühstück bringe ich um die Zeit nicht wirklich runter. Ich habe mir ein paar kleine Hefebrötchen von gestern aufgehoben, H. hat mir extra noch die Marmelade aus dem Auto gebracht, aber ich habe so gar keinen Appetit. Im Gepäck steckt noch ein Kohlenhydratriegel, den zwinge ich mir rein, dazu noch eine kleine Banane und ein paar Schlucke Wasser. Brrrr. (Note to self: Nächstes Mal egal! Vor dem Wettkampf wird gefrühstückt, mit oder ohne Appetit). In die Laufhose passen mit ein wenig Quetschen zwei Gels, mal sehen, wie weit ich damit komme, B. hat auch noch eins, das sie mir unterwegs reichen kann.

Es ist noch dunkel, als ich aus dem Hotel trete. Der Parkplatzwächter fragt, ob ich laufen werde, ja genau, deshalb habe ich eine Startnummer ans Shirt gepinnt. Das findet er very good. Es sind schon einige Leute unterwegs zur St.-Gabriels-Kathedrale, wo Start und Ziel aufgebaut sind. 

An zwei Tischen sitzen Helfer, die Papierchips für die Schuhe ausgeben und die Empfänger auf der Liste abhaken. Die mit Startnummern für den EveryOne-Lauf sind fast alles Ferenjis – so nennen sie hier Ausländer, das ist eine Verballhornung von „Foreigner“. Die meisten sind Amerikaner, fast alle sind Residents, also Leute, die in Äthiopien leben und arbeiten. Aber da ist ein Shirt von der Berliner City Nacht 2011. Der Träger gehört zu einer Reisegruppe, die mit einem Laufreiseveranstalter hier sind. Sie sind am Donnerstag angekommen, hatten gestern ein Treffen mit Haile Gebrselassie, der alle ihre Startnummern signiert hat (boah, darauf bin ich ja ein bisschen neidisch!), nach dem Lauf geht es zurück nach Addis, und am Dienstag nach Hause (ok, ich bin doch nicht neidisch). Heike hat ein Foto von zwei Babies auf dem Shirt, auf dem Rücken steht „Schnellste Zwillingsoma der Welt“. Das kann gut sein, neulich in Berlin ist sie knapp 1:50 gelaufen.

Insgesamt sind wir 250 Läuferinnen und Läufer. Wir werden aufgefordert, uns in den Startblock zu begeben. Auf einer kleinen Trittleiter steht ein Mann mit einer Luftdrucktröte. Er drückt auf den Knopf, aber es macht kein Geräusch. Er drückt nochmal, schüttelt, drückt… Nichts. Da pfeift er laut auf den Fingern und ruft „Go, go, go!“ das ist das Startsignal. Alle rennen wie die Irren den einzigen Hügel der Strecke hinunter, ich renne mit, Garmine sagt, 4:28, da rufe ich mich zur Ordnung und bremse mich an der ersten Ecke, wo es wieder eben wird, auf 5:30. Mal sehen, wie sich das anfühlt. Erstmal nicht schlecht. Ich habe den Eindruck, dass ich tue, was ich immer mache: irgendwo im Mittelfeld mitlaufen.

Wir laufen auf einem Dreirundenkurs. Auf der ersten Runde ist noch nicht viel los. Ungefähr bei KM 3 gibt es eine Wasserstation, wo nette Helfer uns Plastikbeutel mit Wasser reichen. Die sind prima, man kann mit den Zähnen ein kleines Loch reinreißen und bequem im Laufen trinken. Wir verlassen die Straße und laufen einen schmalen, etwas schlammigen Trampelpfad zum Seeufer. 

Dort biegen wir in den Uferweg ein. Da steht ein Schild KM 4. Ich bin empört. Garmine zeigt erst 3,2 km. Mir war gleich so, als wären wir zu früh abgebogen, denn sollte die erste Runde am Wasserstand nicht noch nach rechts führen? Wir sind geradeaus gelaufen. So was blödes. Ich frage mich, ob die Sreckenposten verschlafen haben und finde es einen Moment lang einfach nur doof. Aber zum Dooffinden ist keine Zeit, denn die Berge am gegenüberliegenden Ufer bekommen gerade die ersten Sonnenstrahlen ab. Das sieht einfach wunderschön aus. Vorne zartgrünes Schilf, glitzerndes Wasser und eine sonnenbeschienene Bergkette. 

An der Anlegestelle für die Boote, die zu den Hippos fahren, geht’s zurück auf die Straße. Ich laufe neben einem Ferenji, der sagt, „There are my wife and kids“. Stimmt, da stehen sie und jubeln Daddy zu. Ich stelle mich vor, er sagt, er heiße Dan, aber mehr mag er nicht plaudern. Ist ja auch schwer, er hat Stöpsel in den Ohren. An der nächsten Kurve überhole ich ihn ein bisschen, weil ich finde, dass er keine unterhaltsame Gesellschaft ist, aber das lässt er nicht auf sich sitzen, er überholt zurück und wird schneller, so dass ich nicht dranbleiben kann. Es geht an unserem Hotel und der Winners‘ Chapel – Home of Signs and Wonders vorbei, meine Supporter sind noch nicht zu sehen. Aber wir sind ja auch erst auf der zweiten Runde verabredet.

Die erste Runde ist geschafft, eine Frau hält ein Schild hoch „Laps to go: 2“ noch läuft es ganz gleichmäßig mit ungefähr 5:30er Pace. Aber jetzt bekomme ich Hunger. Das ist richtig blöd. Auf der Strecke ist jetzt etwas mehr los, es sind Leute da, die uns so mittelenthusiastisch anfeuern. Jetzt laufe ich hinter einem indisch aussehenden Mann, der sich irgendwann zu mir umdreht und sich beschwert „You’re getting all the claps!“ Stimmt, mir jubeln die Leute etwas mehr zu als ihm, ich höre auch einige „Aisosh“, über die ich mich immer besonders freue. Schon viel zu früh vor dem Wasserstand fummele ich das erste Gel aus der Hose, reiße es auf und quetsche es mir in den Mund. Buhäää, ist das fies. Wo bleibt denn der Wasserstand? Da ist er endlich, ein Helfere reicht mir ein Tütchen, ich reiße es auf, trinke die Hälfte und schütte mir den Rest den Nacken hinab, denn es wird schon ziemlich warm.

Wieder geht’s über den Trampelpfad auf den Lehmweg am Ufer. Hier überhole ich die ersten Gehenden. Aber ich habe keinen Anlass zu Übermut, mein Magen versucht gerade aus Gel kleine Klümpchen zu formen, das fühlt sich gar nicht gut an. Die Sonne scheint, es wird wärmer. Zurück auf der Straße, als ich mich dem Kreisel nähere, sind da plötzlich zwei Fahrräder, die einen Läufer begleiten. Ist der Elitelauf schon gestartet? Der Streckenveraluf ist anders als bei uns, aber das kann nicht sein, es ist noch nicht 8:00 Uhr. Das ist dann wohl einer der Schnellen, der sich einläuft. Ich werde kurz langsamer, um ihm nachzuschauen, wie er um den Kreisel fliegt und Richtung Kathedrale verschwindet. Die EveryOnes müssen erst noch nach Süden. Durch diese kurze Verzögerung hat mein indischer Hase einen gewissen Vorsprung erlaufen, den ich auch nicht mehr aufholen kann. Im Gegenteil, ich lasse nach. Dennoch überhole ich einen jungen Koreaner (auf seinem Shirt steht KOREA), den ich gestern schon im Hotel gesehen habe. Viele Kinder stehen jetzt an der Strecke, ich frage mich, was sie hier machen, wenn sie doch gleich da hinten den Eliteläufern zujubeln könnten. Trotzdem bin ich natürlich froh, dass sie da sind, denn sie lenken vom Magen ab. So viele Kinderhände habe ich noch nie abgeklatscht. Nebenbei überhole ich mal wieder eine Läuferin, das Feld ist ziemlich auseinandergezogen, aber wir sind ja auch nicht so viele. Es geht wieder Richtung Norden, am Hotel vorbei. Hier hängt ein KM-Schild 15. Oh, laut Garmine stimmt das wieder. Vielleicht hing ja nur das eine Schild vorhin falsch? Vorne an der Hauptstraße stehen meine SupporterInnen. B. drückt mir das Geltütchen in die Hand, ich frage noch nach einem Schluck Wasser. Mir doch egal, wenn es ein bisschen dauert, bis die Flasche aus dem Rucksack gefummelt ist. Ich nehme ein paar Schluck und laufe weiter. Das Gel ist noch zu, das kann ich also erst an der Wasserstation nehmen. 

Da ist die Frau mit dem Schild „Laps to go: 1″. Es sind nur noch knapp 7 km, das kann doch nicht so schwer sein? Es ist aber inzwischen richtig heiß, ich bilde mir ein zu spüren, wie die Sonnencreme versagt und die Arme und Kniekehlen richtig heiß werden. Und das, was sich da ankündigt, kenne ich auch: Seitenstiche, so ein Schrott. Ich versuche, richtig zu atmen, aber es hilft nichts, sie kommen, es sticht. Aua. Es sticht sehr. Ok, das passt mit der Erfahrung aus der vorigen Woche zusammen: Hunger. Nüchtern laufen ist echt nichts für mich. Ich laufe zwar noch, aber inzwischen nur noch eine Pace von 6:20. Ich fluche innerlich ein bisschen vor mich hin, am liebsten würde ich gehen, aber das geht nicht, hier ist Publikum. Auf der letzten Runde laufen wir auf der Strecke des Elitelaufs, daher sind jetzt wesentlich mehr Leute unterwegs. 

Da, von hinten kommen zwei Motorräder, die Elite ist im Anflug. Ich bleibe einen Moment stehen, um sie vorbeifliegen zu sehen und applaudiere. Der Männerblock läuft noch dicht beieinander. Schon sind sie durch, und der Applaus, der für uns Schnecken bleibt, ist doch deutlich verhaltener. Vor der Wasserstation drücke ich mir beide verbliebenen Geltütchen nacheinander rein, spüle mit Wasser nach und hoffe, dass es hilft. Nur noch fünf Kilometer, wir dürfen jetzt auch gleich Straße laufen und sparen uns auf der letzten Runde den Uferweg. Ich bin ziemlich alle. Jetzt fliegen die schnellen Frauen an mir vorbei, erst fünf Läuferinnen, darunter eine ganz große, dann drei eher kleine im Gleichschritt. Das sieht so schön aus! So langsam helfen meine Kohlenhydrate, mir ist zwar noch ein bisschen schlecht, aber ich habe etwas mehr Energie. 

Schon bin ich zum letzten Mal am Kreisel, jetzt kommt die einzige Steigung der Strecke. Auch irgendwie gemein, dass es auf dem letzten halben Kilometer bergauf geht. Jetzt reicht es zwar nicht mehr unter zwei Stunden, ich laufe trotzdem so schnell ich noch kann. Das ist aber eher langsam. Kurz vor dem Ziel werde ich noch einmal angefeuert. Nach 2:05:39 stoppe ich die Uhr. Im Ziel gibt es Wasser und Cola und einen Beutel mit einem Finishershirt und einer Medaille. Die schnellste Zwillingsoma der Welt versichert mir, auch noch nicht lange da zu sein, aber das ist ein bisschen tief gestapelt. Ein gehörloser Italiener, der schon mal in Berlin gelaufen ist, schlägt mir einen Shirt-Tausch vor, aber ich kann mich vom ersten HM-Finisher-Shirt meines Lebens unmöglich trennen – mal ganz abgesehen, dass ich hier sowieso das Shirt nicht ausgezogen hätte.

H. ruft mich von jenseits der Absperrung, die Ordner wollen mich ganz außen rum schicken. Eigentlich will ich mich schon auf den Weg machen, aber H. lässt nicht locker, so dass ich die Ordner ignoriere und mich unter einer Absperrung durchschlängele. Erst da verstehe ich, warum er so stur ist: direkt am Zieleinlauf unter einem Zeltdach sitzt Haile, und H. findet, er müsse mir unbedingt ein Foto mit ihm zusammen verschaffen. Über die Absperrung spricht er ihn an und schubst mich nach vorne. Ich bin ganz verlegen, sage, dass ich aus Berlin komme und alle Leute in Berlin große Fans seien. Für die, die wissen, wer er ist, stimmt das bestimmt. Haile ist total freundlich, bedankt sich, schüttelt mir die Hand und dotzt auch wieder in äthiopischem Kumpelgruß unsere rechten Schultern aneinander. Dann posiert er noch für ein Foto und ich freu mich.

Danach ist noch der Zieleinlauf der schnellen Männer, dann der schnellen Frauen, mein Sonnenbrand bratzelt, es geht ins Hotel zum Duschen, auschecken und danach zum Post-Race-Lunch ins Haile-Resort. Für die EveryOnes sind unter einem riesigen Baum viele runde Tische gedeckt – das Ticket in den Startunterlagen war eine echte Überraschung. Haile eröffnet das Buffet, ich sitze mit dem Koreaner, den ich überholt habe, und seiner Freundin am Tisch, und es ist richtig schön. Das ist wohl die spektakulärste Nachlauf“wurst“, die mir je serviert wurde.