Der Priester der nahegelegenen Kirche weckt mich schon um halb sechs mit lautem „Aaaäää-öööö“ (das haben wir alles dem Heiligen Yared zu verdanken, der sich von den Vögeln das Singen abgeguckt hat), aber ich wollte ja sowieso mein letztes lockeres Läufchen vor Tag X machen.
Hawassa oder Awassa, da sind sie sich hier nicht so ganz einig, hat breite, zum Teil palmenbestandene Straßen, breite Gehwege für Fußgänger (die leider manchmal an tiefen, normalerweise mit Betonplatten abgedeckten Abwassergräben abrupt enden, blind möchte ich hier nicht sein) und an der Hauptstraße sogar Fahrrad- oder eher Tuktukspuren. Die Nebenstraße, an der unser Hotel liegt, ist nicht asphaltiert.
Es ist kurz nach sechs. So viele Läufer und andere Frühsportler wie in Hawassa habe ich noch nirgendwo sonst hier gesehen. Und die hier spotten auch nicht, wenn sie mich sehen, von den meisten bekomme ich ein Daumen hoch, viele grüßen. Eigentlich hatte ich damit gerechnet auch einige Blassnasen zu sehen, die morgen mitlaufen, es sind aber keine unterwegs.
Auf den Bäumen sitzen unglaublich viele, unglaublich hässliche, große Marabus. Da, wo die Straße am See als Sackgasse endet, und jetzt noch keine Autos fahren, staksen sie auch auf der Straße herum. Sie lassen sich von den dort besonders zahlreich vorhandenen Frühsportlern überhaupt nicht stören. Meine Güte sind die aus der Nähe hässlich.
Ich kehre um und laufe die Straße parallel zum See. Die Beinchen wissen noch, was zu tun ist, aber es ist nach den Tagen in den Bergen sehr schwül und drückend. Leider ist der tolle Effekt, dass ich jetzt von über 3000 auf 1700 m abgestiegen bin, überhaupt icht zu merken. Egal, der Lauf morgen soll ja in erster Linie Spaß machen.
Frauen fegen die Straße. Als ich an einer vorbeilaufe, sagt sie „Aisosh“ – hey, das verstehe ich, das haben die netten, amharisch sprechenden israelischen Volunteers mir beigebracht. Es wird mit „be strong“ übersetzt und ist vielseitig einsetzbar: als Aufmunterung, zum Trösten, zur Ermutigung, zum Anfeuern. Ich freu mich riesig über diese Motivationshilfe, und vor allem, dass ich dieses Lieblingswort meiner Reisebekannten im Einsatz erlebt habe. Zu Männern muss man übrigens „Aisoh“ sagen.
Noch bis zu diesem großen Baum da vorne, das muss für heute reichen. Auf dem Baum streiten sich kleine Äffchen. Ich schaue kurz zu und drehe dann um. Ein entgegenkommender Läufer winkt mir zu und ruft „We’ll meet tomorrow“ – „Yes, we will“ antworte ich und bekomme sofort einen Hibbelschub.
Vor dem Hotel angekommen höre ich laute Partymusik. Um diese Zeit? Der Parkplatzwächter sagt „Church“ und tatsächlich, gegenüber hängt ein großes Schild über einer Toreinfahrt „Chapel of Winners – Home of Signs and Wonders“. Da drinnen singen und klatschen sie zu einem in meinen Ohren wenig sakralen Disco-Beat. Vielleicht sollte ich bei denen ein Kerzchen anzünden, damit das morgen gut geht. Aber dann gehe ich doch lieber noch eine besonders gründliche Runde dehnen.
Inzwischen haben wir im Haile Resort meine Startunterlagen abgeholt. Es wird ein Drei-Runden-Lauf, der an der St. Gabrielskathedrale beginnt und endet. Das ist hier ganz in der Nähe, so dass ich morgen früh vom Hotel aus hinlaufen kann. Ich habe es mir vorsichtshalber schon mal angesehen, da wurde gerade der Zielbogen vor dem Aufstellen von einem kleinen Jungen mit dem Lappen abgestaubt. Gleich gibt es Rahmenprogramm an der Uferpromenade, da soll Musik spielen. Morgen früh um 6:30 fällt der Startschuss. Ihr lest dann wieder von mir…