Schon kurz bevor der Wecker lärmt, spazieren die Katzen auf mir rum, schlecken an meinen Haaren und schnurren laut direkt neben meinem Ohr. Ich hab’s gern, außerdem wollte ich sowieso gleich aufstehen und vor der Arbeit laufen gehen.
Es ist kalt draußen, im Westen ist der Himmel noch dunkel. Die Beine sind von Anfang an leicht, der Plan erwartet eine Steigerung von 6:10 min/km auf 5:30 verteilt auf 8km. Ich laufe Richtung Tempelhofer Feld, und als ich durch den weiter westlich gelegenen Eingang am Columbiadamm trabe, liegt vor mir etwa menschhoher Nebel auf dem Feld. Die Stimmung ist herbstlichschön.
Der Blick nach links ist unglaublich: der Himmel ist ein einziges Leuchten aus türkis, himmelblau, rosa- bis orangeglühenden Wolken und Flugzeugkondensstreifen, und davor zeichnen sich wie ein schwarzer Schattenriss die Silhouette der Şehitlik-Moschee mit ihren zwei Minaretten, die alten Bäume des islamischen Friedhofs und daneben die Häuserzeile der Oderstraße ab. Weit weg bläst ein Schornstein dicke Schwaden in die Luft, aber auch das sieht als Umriss wunderschön aus. Diese Farben! Ich bekomme Gänsehaut und bin plötzlich ganz gerührt. Ich biege rechts auf den Rundweg ab, die Steinfassade des Flughafengebäudes fängt an, rosa zu leuchten. Noch brennen die Straßenlaternen auf dem Tempelhofer Damm und im Süden an der Autobahn vor dunklem Hintergrund. Eine S-Bahn, die auf dem Ring fährt, leuchtet golden. Aus dem Nebel taucht ein Paar mit Hund auf, die obere Hälfte der Menschen ragt schon schwarz aus dem Dunst, die untere ist unscharf grau, genau wie der Hund. Die Müllcontainer, die weiter weg am Rand der Landebahn stehen, sehen aus wie Kühe im Nebel. Es läuft wie von selbst, die Umgebung ist so schön, dass ich schon wieder ganz ergriffen bin. Ich muss an den Marathon denken. Am Sonntag, das sind nur noch vier Tage, ich bin aufgeregt, aber dieses Mal sicher, dass es toll wird. Bilder vom ersten Mal kommen mir in den Sinn.
Am Zaun des Hundeauslaufgebiets hängen weiß betaute Spinnennetze wie Weihnachtsdeko, und der wilde Wein der am Außenzaun des Geländes rankt, hat sich schon dunkelrot verfärbt. Einige Ahornbäume fangen an, es ihm nachzumachen. Das tut auch der Himmel, es wird heller, rosa wird zu gelb, bald muss die Sonne aufgehen. Das kann ich aber nicht sehen, denn ich bin inzwischen zu nah an Bäumen und Häusern. Links des Wegs sitzt ein Fuchs im nassen Gras. Soll ich langsamer werden? Er sitzt ganz still. Als ich wenige Meter von ihm entfernt einfach stehen bleiben muss – er ist so hübsch! – springt er mit allen Vieren gleichzeitig hoch, wendet in der Luft und schnürt dann gelassen davon.
Die Sonne ist inzwischen aufgegangen, sie spiegelt sich in den Fenstern des Flughafengebäudes und auf dem kugeligen Radarturm. Ich laufe weiter im Schatten, verlasse das Gelände und mache mich auf den Heimweg. Lilienthalstraße, Südstern, Körtestraße, schon da. Das war ein ganz verzauberter Lauf, der letzte nennenswerte vor dem großen Tag, und ich widme ihn allen, die am Sonntag in Berlin oder sonstwo starten werden: das wird toll.