Laufen unterwegs – Frühling in Winterthur

Kurz vor Abreise hat Knopf_13 mir aus einer großen Misere geholfen. Weil das Garmin-Plugin für gpsies.com nicht mehr geht, und es mir nicht geglückt ist, mit diesem doofen Garmin Connect Strecken auf die Garmine zu schubsen – immer und immer wieder Fehler bei der Synchronisation – war ich schon ziemlich verzweifelt: eine nahende Reise und keine schicken Strecken auf der Uhr. Ja, ja, vielleicht sollte ich viel spontaner sein, aber echt mal, mit dieser Wurmnavigation auf der Uhr renne ich viel unbeschwerter in unbekannten Wäldern rum. Jedenfalls hat Knopf_13 gewusst, dass es mit dem guten alten Trainingscenter noch geht. Ich also die Uhr präpariert, nach Zürich geflogen, sofort eine Bahn nach Winterthur erwischt und schon gegen elf im Hotel eingecheckt. Super, da komme ich ja früh los. Musste dann aber doch erst noch eine Kleinigkeit zu essen jagen und ein Nickerchen machen, das mache ich sonst nie.

Um halb zwei geht es endlich los, Plan ist es, vom Bahnhof aus nach Süden bis zur Töss, dann durchs Tösstal bis Sennhof und in einem großen Bogen um den Eschenberg zurück Richtung Winterthur zu laufen. Schon der Weg aus der Stadt ist unglaublich. Was der Frühling hier treibt, ist mehr als üppig. Bäume und Büsche blühen wie verrückt, in den Mischwäldern ringsum mischen die jungen quietschgrünen Buchenblätter die dunklen Tannen so richtig auf, dazu Sonne, kurze Laufklamotten und etwas, woran ich gar nicht mehr gedacht hatte: Mittagshitze! Stimmt ja, viele versuchen in der warmen Jahreszeit lieber früh oder später zu laufen. Ich genieße die Sonne auf der Haut, bekomme aber schon nach einem Kilometer Durst. Das muss mental sein. Macht aber nix, denn am Straßenrand plätschert Wasser aus einem Rohr in ein kleines Becken. Super Service!

Der Weg verlässt die Straße und folgt der Töss stromauf. Alle paar Meter gibt es flache Staustufen, höchstens dreißig Zentimeter hoch, aber es geht stetig sanft bergauf. Der Fluß plätschert, die Winterthurer Bevölkerung erholt sich spazierend, wandernd oder radelnd – wobei der Unterschied zwischen den ersten beiden Aktivitäten deutlich durch die Wahl des Outfits demonstriert wird. An allen mit Steinen befestigten Feuerstellen, werden Feuerchen gemacht, zum Teil mitgebrachter Proviant an Stecken darüber gehalten. Es ist ja dermaßen schön hier! Eine überdachte Brücke sieht aus wie in „Die Brücken am Fluß“. Sie hat auf jeder Seite zwei Fenster, an die von innen Trittleitern angebracht sind, so dass die Touristin hochkletterten und auf den Fluss schauen kann. Mach ich natürlich. Einmal muss ich auch unbedingt ans Ufer hinunter steigen und ins Wasser fassen, es fühlt sich großartig an. Im Gras gibt es leuchtende Löwenzahnsonnen und neongrüne kleine Blumen, von denen ich nicht weiß, wie sie heißen. Der Wald riecht warm nach Moos und stellenweise nach Bärlauch. Den halte ich übrigens für total überbewertetes Modegemüse.

Die Töss macht schöne Mäander, aber dennoch bin ich viel zu schnell in Sennhof, wo ich den Flußlauf verlasen soll. Es kommt mir ein bisschen langweilig vor, den Eschenberg einfach nur zu umrunden, wo es oben doch einen Aussichtsturm geben soll. Bei Googlemaps sah es vorher auch aus, als gäbe es so viele Wege auf und über diesen Berg, dass eine sich gar nicht verlaufen kann. Kurzentschlossen biege ich in einen Weg ein, der bergan führt.

Das Rauschen des Wassers hört auf, Vöglein zwitschern im Wald, und chillige Loungemusik erklingt. Hä? Die Töne kommen aus einer nach vorne hin offenen Wetterhütte, in der es sich drei männliche Jugendliche mit einer Shisha gemütlich gemacht haben. Die Schweizer Jugend mit augenscheinlichem Migrationshintergrund ist sehr höflich und spendiert mir ein freundliches Grüezi. Ich schnaufe bergauf, langsam, in kleinen Schritten, aber laufend. Ein Bächlein kommt mir entgegen, ich beschließe, dass das Wasser trinkbar ist (mindestens einmal…), finde es sehr köstlich und schwappe auch eine Handvoll über den Kopf.

An einer Wegabelung bin ich nicht sicher, in welche Richtung es wohl mehr bergauf und vor allem hoffentlich Richtung Aussichtsturm geht. Wanderwegweiser gibt’s keine, nur Wegbezeichnungen auf Holzschildern für die Waldwege, die mir natürlich gar nicht weiter helfen. Vielleicht links, da sieht es steiler aus. Plötzlich höre ich Gebimmel, laut, hoch und tief und vielstimmig. Sind das Kuhglocken? Hoffentlich komme ich bei den Kühen vorbei, das müssen viele sein. Ich frage ein Wandererpaar (Outfit!) nach dem Weg zum Aussichtsturm, und die Frau sagt, das sei aber weit. Der Mann sagt, so weit auch wieder nicht, und er weist mir die Richtung. Da vorne habe es ein Fescht, da geht es rechts hoch und dann in diese Richtung. Der Weg führt erst ein bisschen bergab, dann aus dem Wald hinaus und glücklicherweise an der Weide der lauten Kühe vorbei. Wunderbar, muss gleich mit dem Handy eine kleine Tonaufnahme machen, das klingt großartig!

Auf einer Anhöhe stehen Menschen mit dem Rücken zu mir, die dadurch logischerweise alle in die gleiche Richtung schauen. Ich muss unbedingt wissen, um was für ein Schauspiel es sich handelt, laufe direkt darauf zu und steige durch eine Absperrung aus Flatterband. Das war nicht so ganz korrekt, denn eigentlich kostet das da Eintritt, und der Eingang ist auf der anderen Seite. Aber eine Läuferin in kurzen Hosen ist ganz offensichtlich unsichtbar, denn alle verfolgen aufmerksam das Spektakel in der Mitte. Dort sind drei Kreise von vielleicht sieben Metern Durchmesser dick mit Sägemehl bedeckt. In der Mitte je zwei junge Männer, die über der langen eine kurze Hose aus Sackleinen tragen, an der sie sich gegenseitig packen und versuchen zu Boden zu ringen. Dieser Sport heißt Schwingen und ist ein Nationalsport. Ein kleines Mädchen sammelt „leere Flaschli“ in einen Kasten, was ich sehr niedlich finde. Ich schaue eine Weile zu und verlasse den Festplatz durch den Eingang.

Der Eschenbergturm ist 30 m hoch, eine Wendeltreppe führt über mehrere Plattformen nach oben. Alles wirkt sehr transparent und ein ganz bisschen ist es mir unheimlich. Auf der Plattform ist schwer was los, die Aussicht ist großartig, Schneeberge im Süden, ringsum der hell-dunkelgrüne  Wald, im Norden Winterthur. Ein Flugzeug, das gerade auf dem Zürcher Flughafen gestartet ist, wird aufmerksam beobachtet. Ist das Riad fragt einer? Nein, Emirates, sagt ein anderer, und die Umstehenden stimmen zu, ja genau, Emirates. Sind das hier Planespotters? Ich steige wieder hinab und laufe Richtung Stadt zurück. Jetzt geht es nur noch bergab, erstmal Waldautobahn, aber zum Glück zweigt ein netter Trimm-dich-Pfad ab, der heutzutage Vitaparcours heißt, und mich ganz in der Nähe meines Ausgangspunkts wieder ausspuckt.

Am Bahnhof gibt’s ein fettes Belohnungseis, wobei das ein völlig irreführender Ausdruck ist, denn eigentlich war der Lauf ja schon eine Riesenbelohnung, wofür auch immer.

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