Eigentlich will ich auf die Alb, an der Kante entlang laufen, ins Tal gucken. Aber die Alb ist nicht zu sehen, zu dicht der Nebel, selbst der Besen auf dem Metzinger Weinberg trägt Wolkenmütze. Als ich noch Kind war, durfte man kurz vor der Weinlese, wenn der riesige Besen oben zu sehen war, nicht in den Weinberg. Das, klärt mich meine Mutter auf, ist schon seit Jahren nicht mehr so. Der Besen ist noch da, aber das Verbot wurde aufgehoben. Na gut, dann laufe ich halt über den Weinberg, den Neuhäuser Hofbühl und zurück um den Florian.
Früher war am Wegle nach Metzingen eine Kuhweide. Wir haben die jungen Rinder mit unreifen Äpfeln gefüttert und gehofft, sie so zu zähmen. Als wir dann den Heimweg über ihre Weide abkürzen wollten, sind sie uns alle hinterher gerannt. Wir haben nie herausgefunden, ob das ein heimtückischer Angriff oder Zutraulichkeit war, denn wir haben uns an der nächstbesten Stelle über den Zaun geflüchtet – mitten in die dichtesten und höchsten Brennnesseln. Der Weg führt am Rand der Wiese entlang, der Zaun ist weg, Kühe gibt es keine. Nach nicht einmal einem Kilometer sind die Schuhe nass, die Füße eiskalt, na toll.
Ich trabe ein Stück durch Metzingen, immer an der Bahnlinie entlang, dann den Wanderweg auf den Weinberg. Es ist steil, ich schnaufe, und nutze ein schönes Erklärschild als Ausrede, kurz anzuhalten: Am Weinberghäusle ist über hundert Jahre alter Vandalismus zu sehen, in die Ziegelwand geritzte Hinterlassenschaften, Namen, Daten, Gekritzel, heute denkmalgeschützt.
Die Sicht ist nicht toll, aber der Wein ist wunderschön üppig.
Mir scheint, es ist ein gutes Jahr, aber ich kann ich nicht beurteilen, ob das wirklich stimmt. Oberhalb der höchstgelegenen Reben umrunde ich den Weinberg und laufe dann nach hinten ins Tal, das ihn vom Neuhäuser Hofbühl trennt. Hier gibt es Obstwiesen, im Moment hängen vor allem die Apfelbäume übervoll.
Das sieht sehr schön aus. Zum Glück ist es total unpraktisch, während des Laufens Äpfel zu essen, sonst könnte ich einer kleinen Verkostung verschiedener Sorten sicher nicht widerstehen.
An einem Bänkle (bin selber ganz verblüfft, aber nach anderthalb Wochen in der Gegend denke ich beim Laufen auf Schwäbisch) halte ich kurz an, um wieder ins Tal zu schauen, da fällt mir auf, dass dahinter einer eine leere Trinkflasche und ein paar Laufschuhinnensohlen der Marke adidas Ortholite hinterlassen hat. Ist das seltsam! Mir will einfach keine plausible Geschichte einfallen, was den Läufer dazu gebracht hat, sich von seinen Sohlen zu trennen.
Auch auf dem Hofbühl steht der traditionelle Besen, der die Weinlese ankündigt.
Ich laufe unter dem Gestell durch, in den Wald und dann Richtung Florian. Auf dem Weg nach oben sehe ich vor mir eine Gruppe Wanderer. Oh je, ich bin so langsam, das wird dauern, bis ich an denen vorbei bin, und das wird Kommentare geben. Geht schon los: „Semm’r z‘ langsam?“ – „Hanoi, wieso au?“ ist eine ziemlich lahme Antwort (andererseits erwartet hier auch niemand Berliner Schlagfertigkeit).
Dann biege ich vor dem letzten Anstieg zum Gipfel ab und laufe außen, oberhalb der Weingärten um den Berg. Das ist jetzt schon Heimweg. Noch ein bisschen Wald, noch eine Steigung, dann am Schäferhof vorbei bergab rollen lassen, noch ein letzter kurzer Anstieg – 15 km und einige ungewohnte Höhenmeter Herbstlauf.