Potsdam – die Fünfte

Tatsächlich bin ich schon zum fünften Mal beim Potsdamer Schlösserlauf zum Halbmarathon angemeldet. Dieses Jahr habe ich verletzungsbedingt nicht wirklich viel trainiert, und schon gar kein Tempo, aber egal, Potsdam muss sein, da ist es einfach so schön.

Inzwischen ist es schon fast Routine: der Regionalexpress nach Magdeburg fährt um 7:17 ab Zoo, kurz nach halb acht verlassen wir in Potsdam den Hauptbahnhof. Schon von der Rolltreppe sehen wir die Läufertraube am Shuttlebus, aber eine freundliche Ordnerin schickt uns auch gleich nach rechts zur Straßenbahnhaltestelle, da käme gleich die Sondertram. Ich liebe die Sondertram, die ist viel netter als der Shuttlebus, bin also mit der Einweisung sehr zufrieden. Nur, dass die Bahn nicht kommt, stört ein wenig. Manche Läufer überlegen, doch zu den Bussen rüberzurennen, aber dort drängeln sich immer noch die Läufermassen in sehr wenige Busse. Um 8 kommt eine reguläre Tram 91 zum Bahnhof Pirschheide, die wird geentert. Wir quetschen uns rein wie in Tokio zur Rush Hour, einige Fahrgäste bekommen Angst, dass sie nicht mehr raus gelassen werden und schimpfen ein wenig rum, dass diese ganzen Läufer da alles versperren. Eine Läuferin findet, dass gut gelaunte Läufer viel angenehmere Mitreisende seien als besoffene Fußballfans, aber das zieht bei dem älteren Herrn nicht, er grummelt weiter. Viel besser verstehe ich die Leute, die an den folgenden Haltestellen warten und keine Chance haben, in die Bahn reinzukommen, denn von uns steigt schließlich niemand aus.

Am Luftschiffhafen angekommen finden wir alles anders vor als in den Vorjahren: Messe und Startnummernausgabe sind in der neuen MBS-Arena. Da ist leider nicht genug Platz für die Gepäckabgabe. Dafür stehen wir vor einer kleineren Halle nebenan Schlange. Um überhaupt in die Halle reinzukommen. Drin geht es dann aber einigermaßen zügig voran. Praktisch ist das alles nicht wirklich, aber, wie ich in der Toilettenschlange erfahre, ist die große Leichtathletikhalle schon seit dem Winter wegen Einsturzgefahr gesperrt. Na gut. Wir sind gerade noch so rechtzeitig, um uns in den Startblock einzureihen. Olly, der vor zwei Wochen in Kopenhagen Marathon gelaufen ist, will mich begleiten und sicherstellen, dass ich unter zwei Stunden bleibe. Ich erkläre ihm, wie das mit dem Hasieren geht, dass er mich nämlich erst auf den letzten drei Kilometern scheuchen darf. Vorher muss die Sache Spaß machen, erst dann ist ein bisschen Quälen von Seiten des Hasen erlaubt.

Das Wetter ist traumhaft, die Strecke touristisch wertvoll und immer wieder schön. Ganz besonders bei knallblauem Himmel und tollem Licht. Langsam einrollen auf der Zeppelinstraße, es rollt wirklich, die Beinchen laufen ein Tempo, das sich vorläufig anfühlt, als könne es immer so weitergehen, völlig gleichmäßig 5:40, 5:33, 5:33, 5:31, 5:30, 5:27, fein, das ist das Uhrwerk, der Hase hat nichts zu tun. Brandenburger Tor, Altstadt, über die Havel, Richtung Babelsberger Schlosspark, dort abbiegen auf die Berliner Seite und über die Glienicker Brücke zurück nach Potsdam. Hier sind zwei langsamere Kilometer mit 5:43 und 5:40 – das Schneckengekringel unter der Brücke durch kostet etwas Zeit, dann noch der VP. Durch den Neuen Garten und die Nauener Vorstadt nehmen wir wieder Fahrt auf, es geht durch die Russische Kolonie Alexandrowka mit ihren schönen Blockhäusern – und dann passiert’s: vor uns Polizei und Blaulicht: „An die Läufer, hier spricht die Polizei.“ Ich kriege einen Schreck und denke, es sei etwas passiert. „Verlangsamen Sie bitte ihren Lauf und bleiben Sie an der Straße für eine Minute stehen. Es findet ein Radrennen statt. Bleiben Sie bitte stehen!“ Bitte was? „Sie können in einer Minute weiterlaufen. Bleiben Sie bitte stehen!“ Tatsächlich, auf der Jägeralle kommen Rennräder angesaust, begleitet von Autos mit weiteren Rädern auf dem Dach. Das sieht schwer nach Profiveranstaltung aus. Aber was soll das? Wie schlecht darf eine Gemeinde denn ihre Sportveranstaltungen koordinieren? Wir lassen einen Pulk Radler durch, der nächste kommt erst in einigen hundert Metern. Die ersten LäuferInnen stürzen sich zwischen die Begleitfahrzeuge und die meisten folgen. Lange bevor der nächste Radler herangezischt ist, haben wir die Straße gequert. Die hinter uns müssen wieder warten. Bloß gut, dass es bei mir heute nicht wirklich auf Zeit geht, sonst hätte mich das mehr gestört.

Durch den Hintereingang dürfen wir wieder in den Schlosspark Sanssouci, schau mal, Touristen! Einige applaudieren sogar. So langsam wird es anstrengend. Ich habe wirklich nicht Tempo trainiert und finde die Angelegenheit mühsamer als erwartet. So langsam darf der Hase zwar seinen Dienst aufnehmen, aber ich habe ein kleines Motivationstief und reagiere eher grummelig. Der Hase weiß nicht, was er tun soll, und ist sicherheitshalber wieder still. Mein linker Fuß tut weh. Was soll das? Ich habe keine Lust mehr. Der Hase ruft ein verhaltenes „Tschakka“, aber das hilft im Moment auch nicht (ehrlich gesagt, konnte ich das Wort noch nie leiden – die Kilometer vor und nach dem Neuen Palais gehen in 5:37 weg – na, das sollte doch noch immer locker reichen? Aber irgendwie hat Garmine mal wieder zu viel gemessen, und es wird knapp). Die Strecke am neuen Palais zieht sich. Ein Vorfußläufer mit Trinkrucksack überholt in einem Affenzahn. Er rollt kein bisschen über den ganzen Fuß, sondern hüpft die ganze Strecke auf Zehenspitzen. Das sieht ein bisschen lustig aus, scheint aber extrem effizient zu sein.

Der letzte Verpflegungspunkt, es sind nur noch zwei Kilometer. Die Forststraße zieht sich, wie jedes Jahr, aber ich versuche noch ein bisschen Gas zu geben, 5:24, 5:19 – aber ich habe wirklich keine Lust mehr. Der Hase versucht zu motivieren, und die Igelin versucht schnaufend, das Tempo zu halten. Endlich sind wir ums Stadion rum, die Frau in der Kompressionstight und dem neonpinken Shirt kriege ich noch, die davor auch noch? Nein, die beschleunigt ebenfalls, die kriege ich nicht. Ich renne nochmal, so schnell ich noch kann und schon ist die halbe Stadionrunde vorbei und das Ziel erreicht. 1:59:06. Naja, gerade noch so unter zwei Stunden. Ich bin platt. Das Clausthaler schmeckt nicht. Wollen wir die Urkunde ausdrucken lassen? Da stehe ich doch tatsächlich in der Männerwertung drin – nicht dass die Wertung in meiner Preisklasse irgendeine Rolle spielt, aber trotzdem. Vermutlich hat jemand in der Organisation versucht mitzudenken und Vermutungen über anderer Leute Geschlecht angestellt. Tststs, die letzten viermal haben sie es doch auch hinbekommen. Es gibt aber einen Reklamationsstand, der sich als ziemlich interessant erweist. Da gibt es einen jungen Mann, der mit der richtigen Startnummer einen falschen Namen ausgedruckt bekommen hat. Und die Erste der W75, die gemeinerweise mit der W70 gewertet und dort nur Dritte geworden wäre. Alle bekommen geholfen, auch meine Urkunde erfährt eine Geschlechtsumwandlung, die mich immerhin vom 140. Platz der M50 auf den 23. der W50 befördert.

Fazit: das war viel anstrengender als sonst. Ich habe dieses Jahr einfach noch viel weniger Kilometer in der Statistik als letztes Jahr und es waren gar keine wirklich schnellen dabei. Die Beinchen mögen zwar noch einen halbwegs flotten Schritt, aber um den gleichmäßig durchzuhalten, war einfach die Kondition und Kraft noch nicht wieder da. Auf dem linken Fuß, der noch nie Theater gemacht hat, ist eine Beule zu sehen. Die ärgert mich ganz besonders, jetzt, wo gerade der rechte wieder schmerzfrei mitspielt. Immerhin tut sie heute nicht mehr weh, aber eine Warnung ist es schon, nicht gleich wieder übermütig zu werden.

Asics Grand 10 – reine Kopfsache

Eigentlich habe ich keine Lust auf Hetzen – brr, Zehner! Und andererseits heißt es immer, so zwei, drei Wochen nach dem Marathon sei schon mal eine PB auf 10km möglich (Proteco hat vorgemacht, wie’s geht!). Und weshalb habe ich mich überhaupt angemeldet? Weil an dem einen Wochenende jede sechste Anmeldung den Startplatz geschenkt bekam? Bei meinem sprichwörtlichen Losglück? Absurd! 

Als ich mich in Startblock 3 wiederfinde – wo ich unbedingt hingehöre, denn ich habe noch nie sub 50 geschafft – ist mir also schon einmal reichlich ambivalent. Ich habe den Verdacht, dass so einiges Kopfsache ist: z. B., dass ich mich ärgere, dass so viele mit Startnummer für B4 um mich herum stehen. Über sowas ärgere ich mich sonst nie. Als es losgeht, finde ich es richtig doof. Von wegen am Anfang rennen alle wie die Besammelten – Startblock 3 setzt sich in einer Gemütsruhe in Bewegung, dass ich manche Viererreihe vor mir mit stechendem Blick in den Hintern piekse. Davon merken sie natürlich nichts, und ich zickzacke mich durch sich auftuende Lücken. Wieso startet eigentlich der 55-Minuten-Pacemaker in Block 3 ganz vorne? Und der für 50 Minuten weit vorne in Block 2, wo nur Leute starten sollen, die die Zeit längst drauf haben? Seltsam. Ich versuche, die Pace auf unter 5 Min/km zu bringen, aber das klappt erst auf KM 2. Ich überhole immer weiter, bis ich das alles auf knapp der Hälfte ziemlich anstrengend und doof finde. Zwar bin ich immer noch auf Bestzeitenkurs, aber es macht keinen Spaß. Im Zoo wird es dann richtig eng, und ich habe keine Lust mehr. Das Nashorn guckt in unsere Richtung, und ich habe den Verdacht, es findet uns vollkommen bescheuert. Ich werde langsamer – ok, das werden im Zoo wohl alle, aber ich habe ein Motivationstief. Ich hadere, ob ich jetzt versuchen sollte, das Tempo zu halten, oder ob es mir einfach egal ist. Einen halben Kilometer lang, ist es mir egal, aber dann bin ich doch wieder schneller. Bis Kilometer 8 ist die PB noch drin, dann fehlen plötzlich 3 Sekunden. Oh je, oh je. Und anstatt die Beine in die Hand zu nehmen, hadere ich erstmal eine Runde und werde noch ein bisschen langsamer. Auf der Schlossstraße renne ich zwar nochmal wie bekloppt – aber es reicht nicht mehr. Es fehlen 27 Sekunden – an der Bestzeit, zu sub 50 fehlt nochmal gut eine Minute. 

Fazit: Ambivalenz ist keine Einstellung an einen schnellen Lauf ranzugehen. Entweder rennen oder trödeln, aber nicht innerhalb eines Laufs viermal die Meinung ändern! Außerdem geht mir definitiv das Qäulgen ab, ich kann alleine einfach nicht beißen (auch keine ganz neue Erkenntnis). Sollte ich also mal wieder vorhaben, eine PB anzugehen, dann lieber nicht alleine, sondern ich suche mir wieder einen Hasen, der im richtigen Moment die Ansagen macht. 

Berlin: genau wie beim ersten Mal, nur anders

Mein zweiter Marathon in Berlin – der dritte überhaupt – war eigentlich genau wie der erste. Aber irgendwie auch ganz anders.

Gleich: ich bin sooo aufgeregt. Aber auch anders: ich habe wieder nach Plan trainiert, dieses Mal nach Marquardt, habe fast alle Lauf-ABC, Rumpf- und Koordinationsübungen gemacht, bin gut mit den Tempoeinheiten klar- und ohne Verletzung durch den Plan gekommen. Ich weiß auch schon, dass ich Marathon kann. Beim ersten Mal wusste ich das noch nicht, da war nicht nur Lampenfieber, sondern auch große Angst, es nicht zu schaffen. Dieses Mal weiß ich, ich schaffe das, aber es geht nicht mehr nur ums Ankommen, ich habe ein Ziel und das heißt 4:15. Plan B? Habe ich nicht.

Gleich: am Vorabend ist Jogmap-Treffen im Tomasa – aber anders: große Aufregung, weil der von uns reservierte Raum anderweitig vergeben ist, gleichzeitig kommen viel mehr Leute, als sich angekündigt haben – Stachel kämpft wie eine Löwin und siegt: am Ende dürfen wir doch in „unseren“ Raum, und es wird ein wunderbarer Abend. Alte und neue Bekannte, Nicknames, deren Blogs ich seit Jahren verfolge, und die nun einen echten Namen und ein Gesicht bekommen, Gespräche, Lachen, Essen, Trinken, und eine Verabredung mit fast allen für den nächsten Morgen an der Schweizer Botschaft. Auch anders ist, dass ich Besuch habe: Frau happy gibt sich die Ehre bei mir zu übernachten, das ist schön (nicht so schön ist, dass der Sprössling der Nachbarin oben etwas nachtaktiv ist, sorry, happy!).

Gleich ist das strahlende Wetter. Seit Tagen habe ich die Vorhersage verfolgt und mich auf goldenes Herbstlicht gefreut – so geht Berlinmarathon! Anders als vor zwei Jahren bleibt es aber kühl – ideales Laufwetter, es muss einfach toll werden! Im Startblock ist es noch kalt, das ist gleich. Mit Frau mainrenner stehe ich da, sie wird filmen (gibt’s das Ergebnis auf youtube?), die Ehrengäste werden begrüßt, aber in Startblock H (wie „Hinten“) sehen wir natürlich nichts. Die Musik ist wieder „Pirates of the Caribbean“, und auch wenn ich die Luftballontraube wie immer seit Jahren wunderbar finde, bin ich nicht so sentimental wie beim letzten Mal und muss ganz und gar nicht heulen. Es geht los. Hach, ist die Goldelse schön. Am großen Stern werden wir auch schon von renbueh, Schalk, Fairy, Stachel und ete69 angefeuert. Prima. Meine Versuche, gelegentlich touristisch wertvolle Informationen zu liefern geraten ziemlich lahm, sorry, Frau mainrenner. Bis in die Torstraße laufen wir gemeinsam, dann wird sie schneller, ich bleibe bei meinem Tempo, denn ich habe ja einen prima Plan A. Der Plan ist insofern super, dass ich, wenn ich einen glatten Sechserschnitt laufe, ganz leicht rechnen kann, weil dann alle fünf Kilometer eine halbe Stunde vergangen sein sollte. Dazu muss ich natürlich etwas schneller laufen als Garmine anzeigt, denn die findet wie üblich alles etwas weiter. Bloß gut, dass sich das so leicht rechnet, na, und damit das Rechnen leicht bleibt, muss ich einfach nur gleichmäßig laufen. So ungefähr (ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, wie ich das geschafft habe):

5 km: 00:30:09
10 km: 00:59:51
15 km: 01:29:26
20 km: 01:59:30
25 km: 02:29:08
30 km: 02:59:00
35 km: 03:28:44
40 km: 03:58:10

Es ist toll, die Strecke schon zu kennen. Ich freue mich auf die Karl-Marx-Allee, denn vor dem Kino International steht S. (meine langjährigste Supporterin, die schon meinen ersten Zehner anno 2009 bejubelt hat). Sie ist sehr leicht von weitem zu erkennen, denn ihre blonden Wuschellocken leuchten im Gegenlicht. Sie hat nicht nur mir zwei Gürkchen mitgebracht, sondern auch Sohn und Freund, und sie haben ein spitzenmäßiges Supporterplakat dabei, mit dem ausgesprochen motivierenden Text „Micha Micha Micha“ – finde ich super! Hat bestimmt auch noch ein paar andere Michas froh gemacht.

Der Springbrunnen am Straußberger Platz leuchtet und funkelt genau wie beim letzten Mal, auch auf den habe ich mich sehr gefreut, er ist einfach wunderschön. Und noch mehr Dinge sind genau wie beim ersten Mal: der Verpflegungspunkt in der Ritterstraße wird moderiert! Der Moderator findet es toll, dass wir alle noch lächeln, verspricht in dem Fall besonders guten Service, nimmt das aber gleich zurück und sagt, wir alle bekämen hier alles, was wir brauchen. Er kommt mir vor wie ein alter Bekannter. Am Kottbusser Tor spielt eine tolle Saz-Band, der Kottbusser Damm ist von Menschen gesäumt und gleich nach der Brücke steht M., die heute Geburtstag hat – leider konnte ich nicht mit rein feiern. Umso toller, dass sie jetzt da ist. Ich rufe ihr Glückwünsche zu und bin schon vorbei. An der Hasenheide steht noch ein S. und reicht mir eine salzige Kartoffel. Boah, ist die lecker! Davon hätte ich später gerne noch eine gehabt. Gleich danach sitzt am Rand eine grauhaarige Frau im Rollstuhl. Sie reckt uns Zeige- und kleinen Finger beider Hände entgegen und brüllt unaufhörlich „Rock’n’Roll – YEAH!!! Rock’n’Roll – YEAH!!!“ Ich bin sehr gerührt! Am Südstern herzt der Wirt vom „Mädchen ohne Abitur“ (große Empfehlung!) gerade einen Läufer, den ich aber nur von hinten sehe, so dass ich leider noch nicht weiß, ob das sein Kompagnon ist. An der Gneisenaustraße flötet eine Andencombo in Federschmuck „El Condor Pasa“ – kennen die wirklich nur ein Stück? Wie ein Kondor fühle ich mich nun doch nicht gerade.

Wenig weiter vor dem Passat-Reisebüro stehen S. und W. – genau wie beim ersten Mal. Ich rufe, sie winken und jubeln, schon vorbei. Yorckbrücken, dann Halbmarathon – das Rechnen ist immer noch leicht. Potsdamer Straße, Grunewaldstraße – hier gibt es eine Überraschung: tinadoro hat ihr Schild von vor zwei Jahren rausgekramt. Ich habe sie eine Weile nicht gesehen und freu mich wie blöd. Ich hangele mich von einer Supporterin zur nächsten, denn schon am Rathaus Schöneberg steht meine Kollegin M., die ein paar Schritte mitläuft und berichtet, dass knopf_13 schon vor einer Viertelstunde hier durchkam.

Genau wie beim ersten Mal sind unter der S-Bahnbrücke am Innsbrucker Platz die Steeldrums – Gänsehaut! – und gleich danach die WG mit den Lautsprecherboxen auf dem Balkon. Sie haben den ganzen Balkon mit den „Marathonstrecke – hier nicht parken“-Schildern der letzten Jahre geschmückt und spielen einen Spitzensoundtrack zum Marathon (viele haben ein Lied gehört, das gerade passte, Firlefanzus „immer weiter gehen“, bei mir war es was mit „Renn…“ – hmm, habe so gesucht, aber das Lied nicht gefunden, noch jemand?) – ich glaube, denen muss ich mal ein Blümchen vorbei bringen – und nach der Playlist fragen – die sind eine echte Institution.

Hauptstraße, Wiesbadener Straße, Südwestkorso, ich laufe einfach, lache die Zuschauer an, freue mich an den Bands, werde ab und zu mal mit Namen angefeuert, Lentzeallee – buäh, hier gibt’s die Powerbar-Gels, davon klebt wieder die ganze Straße. Letztes Mal hat hier mein Knie so schlimm geschmerzt, dass ich auf den Grünstreifen ausgewichen bin, weil der nicht so klebrig war. Heute geht es mir einfach nur gut, ich laufe wie ein kleines Uhrwerk. Am Wilden Eber stehen die Leute wieder in mehreren Reihen, aber die Musik ist gerade etwas lahm. Am Hohenzollerndamm sitzt ein etwa 14-jähriger Junge mit Schlagzeug vor einem großen Transparent „Jan’s Drum Station“ – alle Achtung, der Knabe trommelt, was das Zeug hält, und das vor großem Publikum. A propos Hohenzollerndamm: Was mir vorhin aufgefallen ist – ich sollte bei den Zeitmessmatten nicht immer auf die Uhr gucken. Das sieht im Video (und die Kameras stehen alle an den Zeitmessmatten) einfach blöd aus. So langsam werden die Beine etwas schwerer, aber mir tut nix weh, jedenfalls nicht richtig. Ich denke daran, wie schwer es beim letzten Mal war – kein Vergleich – etwas schwere Beine sind kein Grund langsamer zu werden. Lauf einfach, Du kannst das, das Rechnen soll leicht bleiben. Fehrbelliner Platz, Konstanzer Straße, schon Ku’damm. Leute, Jubel, Bands (zu viel Jazz dieses Jahr, könnte ich vielleicht mal eine ordentliche Punkband haben?), Sonnenschein. Hinter dem Nollendorfplatz reicht eine Frau Duplos aus einer Schachtel, ihr Begleiter bietet Cola an – so reizend, aber ich habe keinen Bedarf. Potsdamer Straße – ha, eine Steigung zur Potsdamer Brücke! Ach was, auch das zählt nicht. Danach standen letztes Mal die Beatboxer. Dieses Mal weiß ich, dass ich am Potsdamer Platz nach den Jogmap-Supportern Ausschau halten darf. Da sind sie! Sie sehen mich auch und jubeln – Danke!

Und dann kommt ein echtes Highlight: An der Leipziger Straße unter den Arkaden sehe ich Schalk, ich brülle, muss langsamer werden und nochmal brüllen, da sieht er mich, lacht und sagt, auf mich habe er gerade gewartet. Ui! Und dann begleitet er mich, sagt mir, wo ich die Kurven lieber außen nehmen soll, um nicht abbremsen zu müssen, versichert mir, ich sähe noch locker aus und rechnet, dass ich etwa bei 4:11 im Ziel sein müsse. Er unterhält mich, macht ein Foto, bringt mir Wasser vom letzten VP, ich fühle mich einfach umsorgt und verwöhnt. Kurz vor Unter den Linden schickt er mich mit der Aufforderung weiter, den Rest zu genießen. Wow, das war toll, vielen, vielen Dank, Schalk!

Und wie ich den Rest genieße: die Fußgängerschleuse passiere ich rechts, Brandenburger Tor – es macht auch beim zweiten Mal noch Gänsehaut hindurch zu laufen! Die Zielgerade – die Luft reicht zum Beschleunigen, aber das rechte Bein krampft und sackt fast weg. Oh hoppla, dann einfach Tempo halten, strahlen, laufen, strahlen, laufen, laufen – Ziel! Ich halte die Uhr an und kann es kaum glauben, da steht eine 4:10 drauf. Mir wird eine Medaille umgehängt und ich habe meinen zweiten Berlinmarathon geschafft. Eigentlich war er genau wie der erste: wunderbar, berührend, beeindruckend, nicht ganz so sentimental (musste beim Zieleinlauf auch nicht heulen) – nur leichter.

Es war haargenau das, was ich an dem Tag laufen konnte – mehr, als ich mir vorgenommen hatte, anstrengend, aber ohne Quälerei. Andererseits hätte ich nicht eine Minute schneller sein können (da bin ich so sicher, weil ich im Ziel fürchterliche Krämpfe in beiden Beinen hatte – aber eben erst im Ziel, nicht vorher).

Hätte ich vorher einen Wunsch frei gehabt: genau so hätte mein Marathon sein sollen.

Zauberlauf

Schon kurz bevor der Wecker lärmt, spazieren die Katzen auf mir rum, schlecken an meinen Haaren und schnurren laut direkt neben meinem Ohr. Ich hab’s gern, außerdem wollte ich sowieso gleich aufstehen und vor der Arbeit laufen gehen.

Es ist kalt draußen, im Westen ist der Himmel noch dunkel. Die Beine sind von Anfang an leicht, der Plan erwartet eine Steigerung von 6:10 min/km auf 5:30 verteilt auf 8km. Ich laufe Richtung Tempelhofer Feld, und als ich durch den weiter westlich gelegenen Eingang am Columbiadamm trabe, liegt vor mir etwa menschhoher Nebel auf dem Feld. Die Stimmung ist herbstlichschön.

Der Blick nach links ist unglaublich: der Himmel ist ein einziges Leuchten aus türkis, himmelblau, rosa- bis orangeglühenden Wolken und Flugzeugkondensstreifen, und davor zeichnen sich wie ein schwarzer Schattenriss die Silhouette der Şehitlik-Moschee mit ihren zwei Minaretten, die alten Bäume des islamischen Friedhofs und daneben die Häuserzeile der Oderstraße ab. Weit weg bläst ein Schornstein dicke Schwaden in die Luft, aber auch das sieht als Umriss wunderschön aus. Diese Farben! Ich bekomme Gänsehaut und bin plötzlich ganz gerührt. Ich biege rechts auf den Rundweg ab, die Steinfassade des Flughafengebäudes fängt an, rosa zu leuchten. Noch brennen die Straßenlaternen auf dem Tempelhofer Damm und im Süden an der Autobahn vor dunklem Hintergrund. Eine S-Bahn, die auf dem Ring fährt, leuchtet golden. Aus dem Nebel taucht ein Paar mit Hund auf, die obere Hälfte der Menschen ragt schon schwarz aus dem Dunst, die untere ist unscharf grau, genau wie der Hund. Die Müllcontainer, die weiter weg am Rand der Landebahn stehen, sehen aus wie Kühe im Nebel. Es läuft wie von selbst, die Umgebung ist so schön, dass ich schon wieder ganz ergriffen bin. Ich muss an den Marathon denken. Am Sonntag, das sind nur noch vier Tage, ich bin aufgeregt, aber dieses Mal sicher, dass es toll wird. Bilder vom ersten Mal kommen mir in den Sinn.

Am Zaun des Hundeauslaufgebiets hängen weiß betaute Spinnennetze wie Weihnachtsdeko, und der wilde Wein der am Außenzaun des Geländes rankt, hat sich schon dunkelrot verfärbt. Einige Ahornbäume fangen an, es ihm nachzumachen. Das tut auch der Himmel, es wird heller, rosa wird zu gelb, bald muss die Sonne aufgehen. Das kann ich aber nicht sehen, denn ich bin inzwischen zu nah an Bäumen und Häusern. Links des Wegs sitzt ein Fuchs im nassen Gras. Soll ich langsamer werden? Er sitzt ganz still. Als ich wenige Meter von ihm entfernt einfach stehen bleiben muss – er ist so hübsch! – springt er mit allen Vieren gleichzeitig hoch, wendet in der Luft und schnürt dann gelassen davon.

Die Sonne ist inzwischen aufgegangen, sie spiegelt sich in den Fenstern des Flughafengebäudes und auf dem kugeligen Radarturm. Ich laufe weiter im Schatten, verlasse das Gelände und mache mich auf den Heimweg. Lilienthalstraße, Südstern, Körtestraße, schon da. Das war ein ganz verzauberter Lauf, der letzte nennenswerte vor dem großen Tag, und ich widme ihn allen, die am Sonntag in Berlin oder sonstwo starten werden: das wird toll.

Der Schweinehund ist ein Wasserschwein

Es gibt wieder einen Plan. Der sieht für heute 45 Minuten Schwimmen vor. Hmm. Samstag finde ich das nicht so günstig, denn das nahegelegene Prinzenbad ist meistens ziemlich voll (unter der Woche schwimme ich vor der Arbeit im Sommerbad Wilmersdorf, da sind immer drei Bahnen für „sportliches Schwimmen“ abgesperrt). Egal, der Plan ruft, also je früher, desto besser.

Voll ist es um kurz vor acht zwar nicht – vermutlich wegen der 13° Lufttemperatur – aber das Mehrzweckbecken ist gesperrt. Im nicht beheizten Sportbecken kraulen nur fünf oder sechs ganz Unerschrockene, zwei davon im Neo. Ich halte den Zeh rein, entscheide mich dann dagegen. Die Kälte halte ich keine Dreiviertelstunde aus.

Die weniger Tapferen teilen sich das etwas unregelmäßig geformte Nichtschwimmerbecken. Immerhin sind die Wasserfallpilze noch nicht an. Ich kraule also los, immer einer Naht am Boden entlang. Auf die Idee ist auch schon eine gekommen, die entgegen schwimmt. Elegant weichen wir einander aus, jede eine halbe Körperbreite nach rechts – so soll das sein. Am anderen Ende ist das Wasser so flach, dass ich mit der Hand den Boden berühre, also vor dem Ende schon wenden. Es schwimmt ziemlich viel Zeugs im Wasser, das meiste ist wohl von Bäumen reingefallen, und alles andere versuche ich mir lieber nicht so genau anzuschauen. Ein wenig graust es mir, und ich stelle fest, dass eine Schwimmbrille mit optischen Gläsern auch Nachteile hat. Nach vier Längen finde ich es doof hier. Ich schaue auf die Uhr oben auf dem Schwimmeisterausguck und finde, dass kaum Zeit vergangen ist. Könnte ich unter diesen widrigen Bedingungen nicht einfach nur eine halbe Stunde schwimmen? Oder zwanzig Minuten? Weiter geht’s. Ich versuche, schön zu gleiten, vor allem den vorderen Arm beim Atmen nicht absacken zu lassen. Die Rotation, die die TI-Theorie verlangt, ist zwar umstritten, macht aber viel Spaß. Das Wasser gleitet am Körper entlang, und die Bewegung ist zwar nicht schnell, aber ganz mühelos. Platsch, bekomme ich die Hand einer Rückenschwimmerin aufs Ohr. Ich erschrecke, es tut aber nicht weh. Sie entschuldigt sich, ich sage „Nix passiert“ und wir ziehen weiter unserer Wege. Wie wär’s denn auch mal mit Rückenschwimmen? Och nö, da ist der Arm zu lange in der Luft und wird zu kalt. Also weiter Kraulen. Wer hätte das gedacht, dass ich mal finde, dass das die entspannteste Disziplin im Wasser ist? Dann sind 25 Minuten vorbei. Jetzt raus? Aber das ist auch doof, eigentlich ist es doch gar nicht so schlimm, und wenn ich immer gleich um den Pilz eine große Kurve schwimme, laufe ich auch nicht mit dem Bauch auf Grund. Dennoch geht mein Blick nach jeder Runde zur Uhr. Mir wird kalt an Händen und Füßen. Noch zehn Minuten, da lohnt es sich auch nicht mehr früher aufzuhören. Dann sind es nur noch fünf – fertig.

Die Duschen im Prinzenbad sind super. Die Temperatur lässt sich regeln, und es ist prima, wieder aufzutauen. Auf dem Rückweg hole ich Brötchen, und als ich in die Küche komme, wird gerade der Frühstückstisch gedeckt. Perfekt! Bin total ausgehungert und ziemlich froh, dass ich nicht früher abgebrochen habe.